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Richter ohne Gesetz Islamische Paralleljustiz in Deutschland

Die Politik in Bayern treibt es schon länger um – und mit dem Zustrom von Zuwanderern aus fremden Kulturen wird das Thema immer brisanter: Paralleljustiz - wenn das Recht in die eigene Hand genommen wird. Was verbirgt sich hinter dem Begriff und wie geht man damit um?

Von: Karin Schirner

Stand: 14.01.2016 | Archiv

 Gläubige beten am Freitag (06.04.2012) in Mannheim in der Yavuz Sultan Selim Moschee während des Freitagsgebets.  | Bild: picture-alliance/dpa/Uwe Anspach

Friedensrichter und Clanchefs

Vor mehr als 10 Jahren machte der Fall der Ermordung eines sogenannten Friedensrichters in Berlin Schlagzeilen. Damals wurde erstmals eine breite Öffentlichkeit mit einem neuen Phänomen konfrontiert. Abseits der Strukturen aus Polizei, Richtern und Staatsanwälten wird in manchen muslimischen Gemeinden Recht gesprochen, eine Form von Paralleljustiz. Friedensrichter, die vor allem in den Großstädten tätig sind, genießen hohes Ansehen. Oft sind es religiöse Führer einer islamischen Gemeinde, aber nicht nur. Auch Oberhäupter einer besonders angesehen Familie können bei Streitigkeiten angerufen werden. Gemeinsam ist beiden, dass sie Fälle klären, die nach deutscher Auffassung eigentlich vor Gericht gehören, wie Diebstähle, Körperverletzung oder Erbstreitigkeiten.

Paralleljustiz bei Straftaten?

Es gibt Stimmen, die diese Form der Rechtsprechung als durchaus praktikabel bezeichnen. Denn es entlastet die Justiz, wenn kleinere Streitigkeiten gar nicht erst vor Gericht gelangen. Doch bei Straftaten sieht das anders aus. Eine Studie des Juristen und Islamwissenschaftlers Mathias Rohe von der Uni Erlangen-Nürnberg kommt zu beunruhigenden Ergebnissen: Er untersuchte im letzten Jahr mit seinem Team Strukturen in einigen Berliner Stadtteilen und fand heraus, dass immer mehr kriminelle Clans die sogenannte "Paralleljustiz" dominieren.

Viele Zuwanderer sehen den Staat als Feind

Schweinfurt 2010: Aus Wut über den modernen Lebensstil soll Mehmet Ö. seine 15-Jährige Tochter mit 68 Messerstichen getötet haben.

Dabei geht es zum Beispiel bei Straftaten um die Einschüchterung von Zeugen und Opfern, mit dem Ziel, dass die reguläre Strafverfolgung gar nicht erst zum Zuge kommt. Ein typischer Fall: Ein junger Mann verletzt einen anderen mit einem Messer. Da die Familie des Täters "mächtiger" ist, als die andere, wird das Opfer gezwungen, keine Anzeige zu erstatten, vielleicht gegen Zahlung eines Schmerzensgeldes. Erzwungene Falschausaussagen, Rücknahme von Anzeigen, Auskunftsverweigerung – die Möglichkeiten, die eigene Rechtssicht durchzusetzen, sind zahlreich. Das Argument der "Ehre" wird vielfach genutzt, um Druck auszuüben. Nach den kulturellen Vorstellungen mancher Zuwanderer aus dem arabischen Raum, aber auch von Sinti und Roma, gelten viele Vorfälle als "Familienangelegenheit", und staatliche Rechtsprechung als Einmischung, derer man sich schämen müsse.

"Probleme im Sinne von Paralleljustiz entstehen bei Ausübung starken sozialen Drucks vor dem Hintergrund patriarchalischer Prägungen und einer 'Schamkultur', die ein Offenlegen 'interner' Konflikte meidet und die hierzulande starke Rolle des Staates als Schutzinstrument für Schwächere nicht kennt oder ablehnt."

Studie Paralleljustiz, Professor Mathias Rohe, Uni Erlangen-Nürnberg

Besonders betroffen: Das Familienrecht

Darmstadt 2015: Eine Mutter muss sich mit ihrem Mann wegen gemeinschaftlichen Mordes an ihrer 19-jährigen Tochter verantworten.

Besonders stark betroffen von Paralleljustiz ist auch das Familienrecht. Hier herrscht besonders große Unkenntnis über die rechtlichen Grundlagen in Deutschland. Viele Frauen wissen nicht, dass sie bei einer nach islamischem Recht geschlossenen Ehe keine staatliche Unterstützung im Falle einer Scheidung durchsetzen können. In ihrer sozialen Umgebung brauchen sie bei einer Trennung ein religiöses Attest. Was oft verweigert wird. Der Druck zu schweigen ist hoch. Viele Frauen haben auch Angst, dass man ihnen die Kinder wegnimmt, wenn sie sich zum Beispiel ans Jugendamt wenden.

Der Rechtsstaat als Unterrichtsfach in Bayern

Die Unkenntnis der Rechte, die der Bürger in Deutschland genießt, hat Gründe. Vielen Zuwanderern ist die Vorstellung, dass der Staat seine Bürger schützt schlichtweg fremd.

"Die in vielen Herkunftsstaaten gewonnene Lebenserfahrung lässt den Staat und seine Organe als feindliches Unterdrückungsinstrument erscheinen. Die Erfahrung rechtsstaatlicher Verhältnisse und der Möglichkeit, eigene Rechte in diesem Rahmen durchsetzen zu können, muss erst verinnerlicht werden.“"

Studie Paralleljustiz, Professor Mathias Rohe, Uni Erlangen-Nürnberg

Initiative des Bayerischen Justizministeriums

Hier setzt eine Initiative des Bayerischen Justizministeriums an. Bayern hat sich als erstes Bundesland des Phänomens "Paralleljustiz" angenommen. Bereits seit 2011 gibt es einen Runden Tisch. Er soll Maßnahmen erarbeiten, um einerseits Richter und Staatsanwälte zu sensibilisieren und andererseits Bürger mit Migrationshintergrund zu informieren. Seit 2014 kümmert sich eine bundesweite Arbeitsgruppe unter Bayerns Vorsitz um das Thema. Der anhaltende Zustrom von Flüchtlingen, aber auch die Ereignisse von Köln machen eines klar: Aufklärung über die Grundsätze des deutschen Rechtsstaates ist nötiger denn je. Deshalb kommt eine gerade gestartete Kampagne des bayerischen Justizministeriums gerade im rechten Moment. In einem kurzen Film, den man in vielen Sprachen abspielen kann, wird den Neuankömmlingen erklärt, wie Demokratie funktioniert:

  • dass bei uns Mann und Frau gleichberechtigt sind
  • dass Polizei und Gerichte die Menschen schützen und nur sie das Recht durchsetzen dürfen
  • dass staatliche Behörden nicht korrupt sind.

Bei der Vorstellung in Ansbach machte Justizminister Winfried Bausback klar: Wer sich nicht an die Regeln hält, hat bei uns keinen Platz.

"Richter und Staatsanwälte sind dafür da, dass Regeln und Gesetze durchgesetzt werden und die Menschen, die in Deutschland und Bayern leben, ihr Recht erhalten. Eine 'Paralleljustiz' etwa durch Imame hat in Deutschland keine Berechtigung."

Winfried Bausback

Mehr Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat

Zusätzlich sollen in einem Pilotprojekt bis zum Frühjahr Kurse in Flüchtlingsunterkünften abgehalten werden. Mehr als 800 Staatsanwälte, Richter und Rechtspfleger haben sich freiwillig als Lehrer gemeldet, viele von ihnen werden ehrenamtlich arbeiten. Vor allem junge Asylbewerber mit hoher Bleibeperspektive sollen diesen Rechtskundeunterricht nutzen. Nach Ostern will die bayerische Landesregierung prüfen, ob man diese Kurse fortführt. Für das Justizministerium ist das Projekt ein wichtiges Instrument für die Integration. Um Phänomene wie Paralleljustiz zu verhindern. Und das Vertrauen in unseren Rechtsstaat zu stärken.


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