NSU-Prozess


4

422. Verhandlungstag, 2.5.2018 Carsten S.: Verteidiger fordern Freispruch

Ohne das Geständnis von Carsten S. gäbe es im NSU-Prozess weite Teile der Anklage nicht. Frühzeitig hat er eingeräumt, zusammen mit Ralf Wohlleben die Waffe beschafft zu haben, mit der Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos neun ihrer zehn Morde verübten. Dass die beiden Verteidiger von Carsten S. dennoch auf Freispruch plädieren, stößt bei vielen Opferanwälten auf Unverständnis.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 02.05.2018 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: BR / Jutta Müller

02 Mai

Mittwoch, 02. Mai 2018

Welches Urteil ist tat- und schuldangemessen?  Darüber  müssen die Richter am Ende eines  jeden Strafprozesses entscheiden. Auch bei Carsten S., der unter den fünf Angeklagten im NSU-Verfahren von Anfang an eine Sonderrolle einnimmt. Nach dem Selbstmord der beiden NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im November 2011, hatte er aus freien Stücken ein umfassendes Geständnis abgelegt. Er räumte damals ein, zusammen mit Ralf Wohlleben im Auftrag von Böhnhardt und Mundlos die Ceska-Pistole besorgt zu haben. Eine Aussage, aufgrund derer überhaupt erst Ralf Wohlleben der Prozess gemacht werden konnte. Die aber auch Carsten S. wie Wohlleben eine Anklage wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen einbrachte.

Die Forderung der Bundesanwaltschaft

Trotzdem bewertet die Bundesanwaltschaft die Schuld der beiden Angeklagten völlig unterschiedlich. Führ Wohlleben fordert sie eine Haftstrafe von zwölf Jahren, bei Carsten S dagegen nur eine Jugendstrafe von drei Jahren. Als Grund führt die Anklagebehörde  nicht nur den Aufklärungswillen von Carsten S. an. Auch, die Tatsache, dass er sich bereits im Jahr 2000 von der rechten Szene völlig abgewandt hatte und im Verfahren zudem echte Reue zeigte, bewog die Bundesanwaltschaft, für diese verhältnismäßig milde Haftstrafe zu plädieren.

Die Verteidiger plädieren dennoch auf Freispruch

Aus Sicht der Verteidiger wäre die aber immer noch nicht tat- und schuldangemessen. Jacob Hösl und Johannes Pausch plädieren heute beide auf Freispruch. Sie betonen, dass ihrem Mandanten kein bedingter Vorsatz unterstellt werden könne. Carsten S. sei nicht aus ideologischen Gründen in die rechte Szene gekommen, sondern weil er sich als Jugendlicher gemobbt gefühlt habe. Von den rechtsextremen Straftaten, die Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe in den Jahren 1996 bis 1998 verübten, habe er nichts gewusst. Erst als die drei Anfang 1998 in den Untergrund gingen, habe ihn Ralf Wohlleben beauftragt, Kontakt zu dem Trio zu halten. Im Jahr 2000 kam es dann zur Lieferung der Ceska-Pistole.

Differenzen zwischen Verteidigern und Anklägern

Seine Beteuerung, vom bestellten Schalldämpfer habe er nichts gewusst, wozu die Waffe eingesetzt werden könne, darüber habe er sich keine Gedanken gemacht, glaubt ihm die Bundesanwaltschaft allerdings nicht. Sie spricht deshalb von einem taktischen Aussageverhalten, mit dem sich Carsten S. entlasten wolle. Ein Vorwurf, der seine beiden Verteidiger ärgert. Sie verweisen auch darauf, dass Carsten S. ja nicht lange der rechtsextremen Szene angehört habe. Und anschließend ein völlig neues Leben begonnen habe, als er ein Studium begann und als Sozialarbeiter in Düsseldorf tätig war. Als der NSU dann aufflog, sei er mit einem Weinzusammenbruch in der Küche gesessen. Erst da, so seine Anwälte, sei ihm klar geworden, dass die von ihm beschaffte Waffe bei den Morden des NSU eingesetzt worden sein könnte. Sie fordern deshalb einen Freispruch.

Nebenkläger kritisieren Verteidiger

Bei den Vertretern der Opfer stößt dies auf Unverständnis. Nach dem Verhandlungstag betonen zwar mehrere Nebenklageanwälte, dass sie Carsten S. seine Reue abnehmen. Aber dass ihm nicht bewusst gewesen sein will, wozu die Waffe genutzt werden könnte, ziehen sie in Zweifel. "Wenn man eine Waffe besorgt mit Schalldämpfer, dann muss einem klar sein, was mit dieser Waffe geschehen wird", sagt etwa Mehmet Daimagüler, der die Angehörigen zweier NSU-Mordopfer vertritt. "So eine Waffe mit Schalldämpfer ist keine Waffe, die man nutzt bei einem Überfall oder zur Selbstverteidigung, insofern ist es an dieser Stelle nicht glaubhaft." Daimagüler hält deshalb wie andere Opferanwälte auch eine Bewährungsstrafe für angemessen.


4