NSU-Prozess


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261. Verhandlungstag, 17.2.2016 Zeugenaussage: "Es lief wie in einem Film ab"

Eine geladene Pistole. Den Lauf direkt an den Kopf gehalten. Der Vormittag des 5. Oktober 2006 hat tiefe Narben bei den Sparkassen-Mitarbeitern in Zwickau hinterlassen, sie wurden am dem Tag Opfer eines Banküberfalls. Zwei von ihnen und ein Kunde sagten heute im NSU-Prozess aus.

Von: Mira Barthelmann

Stand: 17.02.2016 | Archiv

Mira Barthelmann | Bild: BR

17 Februar

Mittwoch, 17. Februar 2016

Nico R. ist heute 29 Jahre alt. Er wirkt unaufgeregt. Freundlich. Als der Überfall passiert, hat er gerade seine Lehre bei der Sparkasse in der Zwickauer Kosmonautenstraße begonnen. Dort allerdings arbeitet er inzwischen schon lange nicht mehr. Er hat umgeschult zum Tischler. Aus psychischen Gründen. Doch auch diesen neuen Beruf kann er nicht voll ausüben - zu schwer sind die Folgen seiner Verletzungen, die er vor über neun Jahren erlitten hat.

Nico R. gerät in jenem Oktober 2006 mit dem maskierten Täter im Schalterraum in ein Handgemenge. „Ich hab die gedacht, die Pistole ist eine Schreckschusswaffe.“ Es ist aber keine. Der 1,80 Meter große, schlanke Täter hält ihm die Pistole an den Bauch und drückt in aller Ruhe ab. Der Auszubildende bemerkt Blut und sackt zusammen.

Bis heute schwere Narben

zum Artikel 261. Tag im NSU-Prozess "Brutal und rücksichtlos!"

"Brutal und rücksichtslos", so haben Zeugen vor Gericht den Mann beschrieben, der am 5.Oktober 2006 eine Zwickauer Sparkasse überfiel und einen Banklehrling niederschoss. Wie man heute weiß, war der Täter: Uwe Böhnhardt. Von Oliver Bendixen [mehr]

Danach hat Nico R. Glück im Unglück. Denn ein Kunde, der an seinem Auto steht und dem der Täter die Pistole für mehrere Sekunden an die Stirn hält, wird verschont. Der Kunde ist Arzt und geht sofort zurück in die Filiale und leistet Erste Hilfe. „Was man halt so macht: Der hat eine Infusion gekriegt und Schmerzmittel. Er hat über Schmerzen geklagt.“ Der Allgemeinmediziner wirkt vollkommen abgeklärt. Im Krankenhaus muss Nico R. die Milz entfernt werden. Knochenteile der Wirbelsäule sind durch den Schuss abgesplittert.

Aufgrund der Operationsnarben darf er bis heute maximal 20 Kilogramm schwere Gegenstände heben. Der 29-Jährige beschreibt eindringlich, dass er mit diesem Überfall nur weiterleben kann, weil er versucht, diesen Tag zu verdrängen. So gut es eben geht.

Opfer kämpft mit den Tränen

Auch seine Kollegin, Danille G., ist an dem Tag des Überfalls in der Filiale anwesend. „Ich bin erstarrt als ich den Täter gesehen habe“. Der maskierte Mann wirkt sehr nervös, geradezu irre auf sie. Er habe herumgeschrien, mit einem Ventilator auf das Genick einer Kollegin eingeschlagen, auf den Boden geschossen und ihr die Pistole schließlich an die Stirn gehalten. Nach drei Sekunden lässt er schließlich von ihr ab.

Der heute 50-Jährigen kommen im Gerichtssaal fast die Tränen. Mit erstickter Stimme beschreibt sie die Zeit nach dem Überfall. „Wir haben alle gleich weitergearbeitet. Wir haben uns jeden Tag in die Küche gesetzt und miteinander geredet. Das war uns eine gute Hilfe, das zu verarbeiten.“ Trotzdem: Auch sie wirkt, also ob sie den Überfall nicht verkraften kann. Auch nach über neun Jahren nicht.


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