NSU-Prozess


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163. Verhandlungstag, 25.11.2014 Prozess ist sein Hobby

Sport in der Freizeit hat er hinter sich. Genauso wie Ausflüge in die Umgebung. Auch in den Keller gehen und mit der Eisenbahn spielen, kommt für Rainer G. Leuthold nicht in Frage. Stattdessen besucht er lieber den NSU-Prozess.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 25.11.2014 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

25 November

Dienstag, 25. November 2014

163. Verhandlungstag, wieder einmal bringt die Verhandlung nichts wirklich Wichtiges. Das gute Dutzend Journalisten, das auf der Besuchertribüne arbeitet, verfolgt den Prozess mit routinierter Langeweile. Nicht so Rainer G. Leuthold. Gut gelaunt sitzt der 68-jährige Rentner hier oben, hält in jeder Prozesspause ein Schwätzchen. Mal mit den Wachtmeistern, mit denen er genauso per Du ist wie mit den meisten Journalisten, mit denen er auch immer wieder im Gespräch ist.

Wenn der Bundesanwalt auf den Tisch haut

Rainer G. Leuthold

Dass ein Sitzungsvertreter der Anklage sich auf der Zeugenbank wiederfindet, so wie heute Bundesanwalt Jochen Weingarten, kommt in einem deutschen Gerichtssaal nicht alle Tage vor. Für Leuthold natürlich ein Thema, vor allem die Schilderung des Anklagevertreters, wie dieser bei der Vernehmung eines Umfeldzeugen fast aus der Haut gefahren wäre. Als der Befragte die Ermittlungsbeamten mit Desinteresse, Gleichgültigkeit und Erinnerungslücken provoziert habe,  „ist meine Hand auf den Tisch gefallen und ich bin aufgesprungen“, schildert Weingarten vornehm seinen Wutausbruch über die Erinnerungslücken von Enrico T., der bei der Beschaffung der NSU-Tatwaffe Ceska ein Rolle gespielt haben soll. „Ja, so kennen wir unseren Weingarten“, sagt Leuthold hinterher. Er hat den 45-jährigen Juristen aus Karlsruhe schließlich schon an 156 Prozesstagen beobachtet.

Nur sieben Verhandlungstage versäumt

So oft wie der gelernte Schriftsetzer und Drucker waren wohl nur die unmittelbaren Prozessbeteiligten – Richter, Angeklagte, Verteidiger, Bundesanwälte und Nebenklagevertreter – im Saal. Leuthold war nur an den ersten vier Verhandlungstagen nicht da, „weil da sowieso nur Befangenheitsanträge gestellt werden“. Einmal musste er einen Reservistentreffen bei der Bundeswehr organisieren, zweimal hatte er „keine Lust, weil ganz langweilige Zeugenbefragungen anstanden“. Aber sonst war immer da. Anfangs war es die Neugier, zu erfahren, wie Rechtsextreme heute ticken. Denn schon vor 35 Jahren hat er in der Münchner Fußgängerzone mit Jürgen Busse zu diskutieren versucht, damals einer Größe aus der rechten Ecke.

„Im Prozess unheimlich viel gelernt“

Jetzt lässt ihn der NSU-Prozess nicht mehr los. Weil er immer da ist, kann er auch die kleinen Details einordnen. Und wenn nicht, Leuthold weiß ja, wen er fragen muss. „Ich habe unheimlich viel gelernt“, sagt er, „auch über türkisches Recht“. Durch den Prozess hat er einen Rechtsprofessor aus der Türkei kennengelernt, der immer wieder mal für eine Woche nach München  kommt. Dann zeigt ihm Leuthold die Stadt und der Besucher referiert über die Strafprozessordnung am Bosporus. Vorausgesetzt, die beiden haben Zeit dafür, denn die Diskussion über das NSU-Verfahren steht bei diesen Begegnungen stets im Mittelpunkt.

Angeklagter S. sagt erneut aus

Heute hätten sie vermutlich nicht viel zu diskutieren gehabt. Die Verlesung des Vernehmungsprotokolls des Schweizer Zeugen M., der die Tatwaffe in seiner Heimat erworben haben soll, aber nicht bereit war, sich beim Prozess in München befragen zu lassen, brachte nichts Neues. Und auch die neuerliche Befragung des geständigen Angeklagten Carsten S. lieferte meist die Anwort: „Das weiß ich nicht, das kann ich mir nicht erklären.“

Leuthold liest keine NSU-Berichte mehr

In der Zeitung wird er das morgen nicht nachlesen. Er habe ja alles selbst erlebt, sagt der 68-Jährige. Und liefert, wenn man ihn fragt, überraschend präzise Analysen, die mit denen vieler Profibeobachter meist übereinstimmen. Beispielsweise, dass die Verteidiger von Ralph Wohlleben effektiver verteidigen als die von Beate Zschäpe. „Weil die einen mehr Ahnung haben von der rechten Szene als die anderen.“ Prognosen, wie der Prozess enden wird, liefert Leuthold dennoch nicht. Eine Zurückhaltung, die man bei Dauerzaungästen im Gericht nur selten erlebt. Und die den Hans Dampf in allen NSU-Prozesswinkeln sympathisch macht.

Ein weiteres Hobby: der Perkovic-Prozess

Seit zwei Wochen hat Leuthold übrigens noch ein zweites Hobby: den Perkovic-Prozess. Dort geht es vor dem anderen Staatsschutzsenat des OLG München um einen Mord im Agentenmillieu des früheren Jugoslawien. Wenn die Verhandlungen parallel laufen, muss Leuthold aber keine Sekunden überlegen, wo er hingeht: „In den NSU-Prozess.“


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