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Flugverspätungen Klageflut am Erdinger Amtsgericht

Das Amtsgericht Erding ist an der Grenze seiner Kapazität. Denn Fluggäste des benachbarten Münchner Flughafens klagen massenweise gegen Fluggesellschaften, wenn ihre Flüge nicht so abliefen wie geplant.

Von: David Herting

Stand: 06.08.2016

Ein Flugzeug bei Mondschein im Landeanflug. | Bild: pa/dpa/Daniel Reinhardt

Wenn ein Flugzeug zu spät am Zielort landet, oder der Flug gleich ganz annulliert wird, steht dem Fluggast oft eine Entschädigung zu. Das Amtsgericht Erding bekommt die Folgen zu spüren: Vor sechs Jahren hatte es noch 1.500 Fälle zu bearbeiten - heuer werden es wohl 4.000 sein. Anwältin Daniela Meindl ist im Schnitt dreimal pro Woche bei Gericht.

"Oftmals sagen Mandanten, der Flug habe zwar geklappt, aber sie seien zu spät gelandet, und dadurch hätten sie ihren Anschlussflug verpasst. Da werden dann Zeugen vernommen, und es wird wird überprüft, ob die Mandanten alles unternommen haben, um rechtzeitig zu ihrem Gate zu kommen."

Daniela Meindl, Rechtsanwältin

Gewinn für Passagiere und Kanzleien

Ein Prozess kann sich lohnen für Passagiere, gerade wenn sie einen Billigflug gebucht haben. Voraussetzung ist, dass der Flug drei Stunden Verspätung hat. Trotz des geringen Streitwertes lohnen sich diese Klagen auch für die Kanzleien.

"Es geht hier hier um die Masse der Verfahren: Je öfter man das macht, desto mehr Routine hat man natürlich. Ich denke: Die Kanzleien, die das regelmäßig machen, leben von der Anzahl der Verfahren."

Daniela Meindl, Rechtsanwältin

Zehn bis 15 Minuten pro Fall

Der Erdinger Amtsrichter Andreas Wassermann hat oft einen gedrängten Terminkalender, in vielen seiner Fälle sind Fluggesellschaften die Beklagten. Im Gerichtssaal hat er zehn bis 15 Minuten pro Fall.

"Vor ein paar Jahren haben wir maximal 1.000 bis 2.000 Zivilfälle verhandelt. Jetzt steuern wir auf die 4.000 bis 5.000 pro Jahr zu, und das liegt ausschließlich an diesen Klagen wegen Flugannulierung oder Flugverspätung. Das Ganze ist nur deswegen ansatzweise zu schaffen, weil glücklicherweise noch sehr viel außergerichtlich erledigt wird, also durch Vergleiche, wenn Flugunternehmen dann doch noch zahlen, bevor verhandelt wird."

Andreas Wassermann, Erdinger Amtsrichter

Klageflut könnte fünf mal so hoch sein

Bislang werden übrigens erst 20 Prozent aller Verspätungen von Fluggästen moniert. Dabei ist es relativ einfach geworden zu klagen. Denn im Internet gibt es Klageportale wie flightright oder fairplane , die es nicht nur Deutschen leicht machen, ihre Verspätung in Geld umzuwandeln.

"Das ist natürlich auch sehr auffällig, dass zum Beispiel spanische Passagiere lieber in Deutschland klagen als in Spanien, wo sie das Gericht direkt vor Ort hätten. Das kann nur daran liegen, dass die Bearbeitungszeiten in anderen Ländern wohl noch höher liegen als bei uns."

Andreas Wassermann, Erdinger Amtsrichter

Flughafen macht Hälfte der Fälle aus

Diese Masse an Fluggastrecht-Verhandlungen muss das Amtsgericht Erding mit seinen Richtern und anderen Mitarbeitern irgendwie stemmen. Dazu kommen zum Beispiel auch Verfahren wegen Abschiebungen von Flüchtlingen am Flughafen. Laut der Direktorin des Erdinger Amtsgerichts, Ingrid Kaps, ist die Hälfte der Arbeit ihres Gerichts auf den Flughafen zurückzuführen. Dabei ist das Erdinger Amtgericht nur ein kleines Gericht mit nur 14 Richtern.

"Zur Lösung des Problems haben wir letztes Jahr das Grundbuchamt ausgelagert, damit wir Platz bekommen - insbesondere auch für einen dringend benötigten vierten Sitzungssaal. Die Räumlichkeiten sind aber jetzt wieder belegt, und es stehen uns eigentlich noch weitere sieben Richter und 13 Mitarbeiter zu, so dass sich die Frage auch für Zukunft stellen wird: Wie soll dieses Gericht weitermachen? Brauchen wir eine Aufstockung, brauchen wir eine neues Gebäude, um alle Mitarbeiter wieder unterzubringen?"

Ingrid Kaps, Direktorin des Erdinger Amtsgerichts.

Klagewelle wird höher werden

Eines ist sicher: In Zukunft werden noch mehr Menschen klagen. Das glaubt auch Anwalt Klaus-Holger Herrlinger, der immer wieder Fluggesellschaften vertritt – und damit einen Großteil seines Geldes verdient.

"Ich glaube, dass es sich steigern wird, denn wir haben immer mehr Fluglinien. Und es spricht sich immer mehr herum, dass man auf diese Weise unter Umständen ein bisschen Geld zurückbekommt von seinem Flugpreis. Für den Fluggast geht das ohne Risiko: Ich gehe einfach zu einem Flugdienstleister, gebe meine Daten ein, und der klagt für mich. Ich kann nur gewinnen."

Klaus-Holger Herrlinger, Rechtsanwalt


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flugverspäteter, Sonntag, 07.August 2016, 13:27 Uhr

3. Richtig, und wichtig, !

Warum gibt es die Geschäftsmodelle?

Genau, weil der Passagier ein ganz armes Schwein ist ,wenn er sich mit einer Fluggesellschaft wegen Entschädigungszahlungen zofft.
Diese Zahlungen stehen ihm nach EU-Recht zu,aber die Fluggesellschaften halten die Leute hin,und versuchen sich um diese Zahlungen zu drücken.
Allen voran die deutsche Air Berlin macht hier besonders von sich reden.

Also Leute keine Aufregung, wären die Airlines an einer Einigung mit den betroffenen Passagieren interssiert ,gäbe es dieses Geschäftsmodell nicht ,und die deutsche Justiz könnte die wichtigen Fälle abarbeiten. Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
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schneiderle, Samstag, 06.August 2016, 20:56 Uhr

2. Geschäft

@Rechte
Nein, die Äußerung des Fluglinien-Anwalts verstehen Sie falsch. Besuchen Sie mal das Amtsgericht Erding, dann wird Ihnen klar, was gemeint ist.
Es klagen nämlich in aller Regel nicht die Passagiere selbst, sondern die Passagiere treten ihre Forderung an eine GmbH ab, die dann klagt.
Das ist wie bei Inkassounternehmen. Anscheinend gibt es mindestens zwei solche Unternehmen, die das EInklagen von Forderungen als Geschäftsmodell haben . jedenfalls wenn man mal am Amtsgericht Erding ist, sieht man auf den Listen, die vor den Sitzungssälen aushängen also wann welche Verhandlung stattfindet) hauptsächlich zwei Firmen als K,läger und verschiedene Fluglinien als Beklagte

HinterTürkisch, Samstag, 06.August 2016, 17:05 Uhr

1. Rechte

Hier gibt es zwei Auffälligkeiten: (1) Ein Gericht, das für in seinem "Einzugsgebiet" anfallende Rechtsfälle zuständig ist, kann dieser Zuständigkeit nicht gerecht werden und (2) gibt es die vom Fluggesellschaften-Anwalt geäusserte Haltung: "Für den Fluggast geht das ohne Risiko: Ich gehe einfach zu einem Flugdienstleister, gebe meine Daten ein, und der klagt für mich. Ich kann nur gewinnen.". Auffälligkeit (1) hat etwas Tragisches, weil man meinen könnte, diese Rechtsgegenstände sollten hinsichtlich ihres Einklagens unattraktiv gemacht werden, worauf auch Auffälligkeit (2) hindeutet-hier aber insbesondere deswegen, dass es nach Meinung des aussprechenden Anwalts offenbar nur ein Für-Flugunternehmensrecht geben sollte...