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Mit dem Forschungsschiff „Sonne“ nach China Wie Wissenschaftlerinnen das Meer erforschen und gleichzeitig um Anerkennung kämpfen

Wissenschaftlerinnen aus Deutschland und China untersuchen mit dem Forschungsschiff „Sonne“ die Umwelt im südchinesischen Meer. Zugleich wollen sie die Lage der Frauen in der Wissenschaft verbessern.

Von: Jan Kerckhoff

Stand: 04.11.2019

Der Hafen von Singapur im August 2019: Hunderte Schiffe warten darauf abgefertigt zu werden. Symbol für ein neues, sich gerade entwickelndes, Weltzentrum in Südostasien. Im Hafen liegt auch das deutsche Forschungsschiff „Sonne“, mit dem 37 Wissenschaftlerinnen aus Deutschland und China aufbrechen zu einer besonderen Expedition. Sie erforschen die Folgen der Megastädte für die Umwelt der Meere. Und zugleich wollen sie die Lage der Frauen in der Wissenschaft verbessern.

Prof. Dr. Joanna Waniek, physikalische Ozeanographin, Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

"Wir wollen auch erreichen, dass in allen Disziplinen und allen Fächern Frauen genauso repräsentiert sind wie Männer."

Prof. Dr. Joanna Waniek, physikalische Ozeanographin, Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

An der Küste des Südchinesischen Meeres wachsen die größten Städte der Welt.

China plant die bei Hongkong gelegenen Städte Guangzhou und Shenzhen und weitere zu einer, der Pearl-River-Megacity, zusammenzulegen. Sie wäre dann etwa halb so groß wie Bayern und hätte über 100 Millionen Einwohner. Welche Folgen hat das für das Meer? Welche Schadstoffe gelangen über den Perlfluss ins Wasser und was richten sie dort an? Und wie lässt sich das verhindern? Fragen, die Joanna Waniek und ihr Team beantworten wollen.

Mit aufwendiger Technik werden sie daher vor Hongkongs Küste über vier Wochen lang von der Wasseroberfläche bis zum Meeresgrund in über 3000 Meter Tiefe nach Spuren von Antibiotika, Stickstoffverbindungen, Hormonen, giftigen Kohlenwasserstoff- und -chlorverbindungen sowie dem Insektizid DDT, aber auch Mikroplastik, UV-Schutzfiltern und anderen Einträgen suchen. Nicht nur im Wasser, sondern auch im Meeresboden und der Luft. Bei Tag und Nacht, rund um die Uhr, bei Wind und Wetter. Und immer mit der Gefahr von Stürmen, sogar Taifunen, die Wellen bis zu einer Höhe von 20 Metern bilden können.

"Wir sind an den anthropogenen Stoffen interessiert. Das heißt an den Stoffen, die vom Menschen produziert werden. Wir wollen wissen, welche Wirkung sie haben und wie viel davon bereits im Ozean vorhanden ist."

Prof. Dr. Joanna Waniek, physikalische Ozeanographin, Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

Über die Hälfte der an Bord mitfahrenden Wissenschaftler sind weiblich – außergewöhnlich, denn auf Forschungsschiffen sind Frauen meist unterrepräsentiert. Nur 8% der Fahrtleiter solcher Expedition sind Frauen. Einer der drei Offiziere, die das Schiff steuern, ist Heike Dugge. Sie „parkt“ gerade das knapp 120 Meter lange Forschungsschiff an der ersten Station ein. Also dort, wo die Forscher ihre Mess- und Probenentnahmegeräte ins Wasser lassen wollen. Das macht sie an einem Pult mit ein paar Schaltern und Hebeln. Gesteuert wird per nur fingergroßem Joystick statt großem Steuerrad.

"Das hat ja hier alles nichts mehr mit schwerer körperlicher Arbeit zu tun. Es ist Kopfarbeit. Dennoch war es schwierig in diesen Beruf reinzukommen. Deutschland ist nicht weit mit der Gleichberechtigung." Heike Dugge, nautische Offizierin

Immerhin: Ihr Arbeitgeber, eine Reederei, fördert mittlerweile Bewerbungen von Frauen. Aber gerade höhere Stellen sind deutlich seltener mit Frauen als Männern besetzt. Und das gilt auch für die Wissenschaft.

"In der Wissenschaft haben wir deutschlandweit nur 20 % Professorinnen. Da sieht man deutlich diese Ungleichheit. Wir wollen erreichen, dass in allen Disziplinen und allen Fächern Frauen genauso repräsentiert sind wie Männer."

Prof. Dr. Joanna Waniek, physikalische Ozeanographin, Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

Dass Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind, bestätigen auch ihre männlichen Kollegen. Ein Grund könnte das individuelle Auftreten sein – Männern gelingt es bei Bewerbungen offenbar, sich besser zu verkaufen.

"Männer kommen oft ‚straighter‘ rüber, loben sich selber mehr. Aber auf dem Papier, sind ihre Leistungen dann gar nicht besser."

Prof. Dr. Detlev Schulz-Bull, Meereschemiker, Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

Joanna Waniek hat daher mit anderen Meeresforscherinnen ein Konsortium gegründet, um junge Wissenschaftlerinnen in der Meeresforschung zu fördern: Baltic Gender. Es bietet Kurse, um das Auftreten bei Bewerbungen zu verbessern und vermittelt auch zusätzliche Kenntnisse und Qualifikationen. Mit dem Ziel, Frauen vor allem nach der Promotion weiter in der Wissenschaft zu halten und ihnen dort auch bessere Aufstiegschancen zu geben. Gerade zu diesem Zeitpunkt werden noch immer viele Frauen in der Wissenschaft durch die Familienplanung ausgebremst, sorgt sich die mitfahrende Wissenschaftlerin Kathrin Fisch, die gerade ihren Doktor gemacht hat und sich mit ihrer Arbeit auf dieser Forschungsfahrt auch weiter bewerben will.

"Forschungsstellen werden nach Publikationsleistung vergeben. Wenn man als Frau Familie gegründet hat und wegen der Schwangerschaft kurzzeitig aus der Forschung ausgestiegen ist und dann auch weniger publiziert hat, hat man geringere Chancen. Das ist nicht fair."

Dr. Kathrin Fisch, Chemikerin, Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

Zwar wird inzwischen bei Bewerbungen eine Kinderbetreuungszeit berücksichtigt. Dennoch will „Baltic Gender“ auch hier unterstützen – mit Fördermitteln, damit Frauen ihre Forschungsarbeit trotz Pausen durch Schwangerschaft fertigstellen können und nicht Gefahr laufen, aus der Wissenschaft zu fliegen. Das ist auch wichtig für den Wissenschaftsstandort Deutschland, so die Offizierin Heike Dugge.

"Da muss sich in Deutschland was ändern, wenn man die klugen Köpfe halten will. Dann muss man Wissenschaftlerinnen auch eine bessere Zukunft bieten. Und die Chance, dass sie Familien gründen können. Es hilft uns ja auch nicht weiter, wenn wir jetzt hoch ausgebildete Frauen haben, die dann kinderlos bleiben."

Heike Dugge, nautische Offizierin

Mess- und Probennahmegeräte (Auswahl)

Der MUC

Der MUC, der „Multicorer,“ kann bis zu acht Proben (‚Kerne‘, daher der Name „core“) des Meeresbodens nehmen. Auch aus der Tiefsee. Der 700 Kilogramm schwere MUC wird langsam und vorsichtig auf den Boden aufgesetzt und sinkt dann in den Boden ein. Jeder Probenbehälter hat einen Federmechanismus, der dann auslöst und den Behälter schließt. Weil der MUC langsam in den Boden eindringt, wird die Probe nicht verändert. Das heißt, er „stanzt“ acht Löcher in den Meeresboden und gewährt so einen Einblick in die meist unbekannte Tiefe.

Das Schwerelot

Das Schwerelot besteht aus einem Metall-Rohr, in dem ein Plexiglasrohr steckt. Am Kopfende ist ein 1,5 Tonnen schweres Gewicht angebracht. Das Rohr wird vorsichtig, mit etwa 0,4 Meter pro Sekunde, auf dem Meeresboden aufgesetzt und dringt dann durch das Gewicht langsam in den Boden ein. So ist ein mehrerer Meter langer Bohrkern des Meeresbodens möglich, der dann im Plexiglasrohr steckt und dort sicher verpackt ist und später in kürzere Bohrkerne zerschnitten werden kann. Damit eine gute Probenahme gelingt, müssen die Wissenschaftler zuvor per Sonar erkunden, aus welchem Material der Meeresboden beschaffen ist.

Das Multischließnetz

Das Multischließnetz besteht aus fünf einzeln steuerbaren Netzen, mit den Plankton gefangen werden kann. Die Netze können ferngesteuert in beliebiger Tiefe geöffnet werden. Bei dieser Forschungsfahrt wird Plankton auf den Schadstoffgehalt hin untersucht. Das ist wichtig, da Plankton im Meer den Beginn der Nahrungskette darstellt. Schadstoffe, die im Plankton in nur geringen Konzentrationen vorkommen, können sich über Fische anreichern und letztlich zum Menschen gelangen.

Die CTD-Sonde

CTD steht übersetzt für Leitfähigkeit-Temperatur-Tiefe. Die Sonde misst kontinuierlich in der Wassersäule Temperatur, Leitfähigkeit und Druck. Daraus kann dann auch Salzgehalt und Tiefe berechnet werden. Zusätzliche Sensoren können die Fluoreszenz (Rückschluss auf die Aktivität des Phytoplanktons) und den Sauerstoffgehalt messen.  Zudem hat die CTD auch 24 Wasserschöpfer montiert, die ferngesteuert in beliebiger Tiefe geschlossen werden können und so von dort Wasserproben ermöglichen. Auf dieser Fahrt ist zudem noch eine zweite, kleinere CTD mit an Bord, die kontinuierlich Wasserproben aus der Tiefe in die Labore des Forschungsschiffes pumpt.

Das Forschungschiff „Sonne“

Forschungsschiff "Sonne" im Hafen von Honkong

2014 wurde das Flaggschiff der deutschen Forschungsflotte – neben der etwa gleich großen ‚Polarstern‘ - in Betrieb genommen. Es ist 116 Meter lang und spezialisiert auf Fahrten in tropischen Gewässern. Die Sonne wird diesel-elektrisch angetrieben. Das heißt zwei Dieselmotoren erzeugen Strom, der wiederum die Schrauben antreibt. Das ermöglicht auch sehr langsame Fahrten, was für manche Forschungstätigkeit wichtig ist. Zudem ist der elektrische Betrieb leiser. Der Verbrauch liegt bei gut 27.000 Liter Diesel in 24 Stunden. Aber es wird kein Schiffsdiesel beziehungsweise Schweröl verbraucht, sondern schwefelarmer Dieselkraftstoff (der Schwefelanteil beträgt 0,02%, bei PKW sind es 0,2%). Die Sonne hat zudem Katalysatoren, Dieselrußpartikelfilter und eine Abgasreinigung. Dass hat nicht nur Umweltschutzgründe, sondern soll auch dafür sorgen, dass die Messungen der Wissenschaftler nicht verfälscht beziehungsweise die Proben verunreinigt werden. Zusätzlich zu den Schrauben verfügt das Schiff über je einen drehbaren Ruderpropeller an Heck und Bug. Sowie einen mittig unter dem Schiffsrumpf montierten Pump-Jet, einen Wasserstrahlantrieb mit rund 3000 KW, der Meerwasser ansaugt und seitlich herausdrückt und so Schub liefert. Diese frei drehbaren Antriebe ermöglichen es, das Schiff an Forschungsstellen punktgenau auf der Stelle zu halten.

Infos zum Forschungsschiff "Sonne":

Beteiligte Institutionen

  • IOW- Leibniz Institut für Ostseeforschung, Warnemünde
  • Helmholtz-Zentrum Geesthacht, Zentrum für Material- und Küstenforschung GmbH
  • Universität Hamburg, Institut für Geologie
  • Universität zu Köln, Institut für Geologie und Mineralogie
  • Shanghai Jiao Tong University
  • Guangzhou Marine Geological Survey

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