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alpha-retro: München in den Siebzigerjahren alpha-retro: Schillerstraße 3 - 53 (1977) Lebensalter und Gesichter einer Straße

Freitag, 28.02.2020
20:15 bis 21:10 Uhr

  • Video bereits in der Mediathek verfügbar

ARD alpha
Deutschland 1977

Auch Straßen sind Lebewesen, waren einmal jung, haben irgendwann den kraftvollsten Zeitpunkt ihrer Existenz. Und sind ebenso irgendwann nicht mehr ganz so jung, auch wenn das, was sie säumt und belebt, sich ständig erneuert.

Zumindest drei Gesichter hatte die Schillerstraße im Münchner Bahnhofsviertel schon immer: das Hotel- und Animiergesicht am Anfang der Straße, das des Handwerks - heute der Elektronik - in der Mitte, und das vom Klinikviertel geprägte am Ende.

Der Film beginnt, wenn um sechs Uhr morgens die Kehrmaschine in die Straße einbiegt und die Nachtclub-Tänzerin noch schnell ihren Hund spazieren führt, und er endet vorläufig, wenn so gegen 23 Uhr der Abendbetrieb in Bahnhofsnähe noch einmal zunimmt. Aber dieser Wesenszug erweist sich als überraschend nebensächlich.

Das Porträt setzt sich zusammen aus der Beobachtung der Menschen, die in und mit dieser Straße leben. Und so gesehen werden alle zu gleichermaßen authentischen Auskunftgebern: die Stripperin ebenso wie die alteingesessene Bäckermeisterin, der Parkwächter der chirurgischen Klinik nicht anders als der neu hinzugekommene Antiquitätenhändler oder der fünfjährige Jugoslawe Senaj, den nur seine Schaukel im Hof interessiert.

Der Film beginnt mit folgenden Worten: "Es ist sechs Uhr morgens, vielleicht auch erst halb sechs, sie hat sich gerade erst hingelegt, unüberzeugt wie jemand, der weiß, dass er ja doch gleich wieder aufstehen und jemand hinaus- oder hereinlassen muss. Sie ist jetzt 117 Jahre alt und dass sie, wenn überhaupt, eher eine Nachtschönheit ist, weiß sie, die Schillerstraße. Ihre morgendlichen Handgriffe waren immer schon eine Spur zu energisch – wie man sie macht, wenn man weiß, dass das Meiste ja doch nicht mehr weggeht. Aber auch wie von jemand, der weiß, dass er ganz ohne Wirkung noch immer nicht ist. Der Bahnhof war von je her ihr Vormund… Alles was am Bahnhof geschah, bröselte von Anfang an auch in sie hinein.“

Die für die Recherchen aufgewendete Zeit bezifferte der Autor Georg Friedel auf "knapp 50 Jahre". Er ist dort aufgewachsen.

Autor/Autorin: Georg Friedel
Redaktion: Corbinian Lippl