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Direkte Demokratie

RESPEKT Direkte Demokratie

Stand: 29.01.2020

  • Volksentscheide sind in Deutschland bislang nur auf kommunaler und Landesebene möglich, nicht aber auf Bundesebene.
  • Volksbegehren und Volksentscheide sorgen für Diskussionen und politisches Engagement von Bürger:innen.
  • In der Schweiz gehören auch Abstimmungen auf nationaler Ebene zum Alltag.
  • Ob nationale Volksentscheide bei komplexen politischen Fragen sinnvoll sind, ist umstritten.

In Deutschland gibt es auf kommunaler Ebene Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, auf Landesebene Volksbegehren und Volksentscheide - hierbei handelt es sich um Formen von direkter Demokratie. Die Wahlberechtigten entscheiden in direkten Abstimmungen, ob sie für oder gegen eine Sache sind. Viele wünschen sich diese Abstimmungen auch auf Bundesebene. Andere sind der Meinung, dass sich komplexe politische Sachverhalte nicht auf Ja- und Nein-Fragen herunterbrechen lassen. In der RESPEKT-Reportage kommen beide Seiten zu Wort.

Entscheidungen per Volksentscheid

Wenn nicht die gewählten Politiker:innen über eine Fragestellung entscheiden, sondern die stimmberechtigten Bürger:innen in einer direkten Abstimmung, nennt man das Volksentscheid oder auch Plebiszit. Entstanden ist die direkte Demokratie im alten Griechenland. In Deutschland gibt es auf Bundesebene keine Volksentscheide. Dafür aber auf Landesebene, in allen 16 Bundesländern. In Bayern sind Volksbegehren und -entscheide in der Bayerischen Verfassung festgeschrieben, die 1946 in Kraft trat. Die Möglichkeit, Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene durchzuführen, wurde in Bayern 1995 per Volksentscheid durchgesetzt.

Abstimmungen auf Landesebene:

Wie laufen Volksbegehren und Volksentscheide in Bayern ab?

  • Ein Antrag auf ein Volksbegehren in Bayern benötigt mindestens 25.000 Unterschriften von Stimmberechtigten.
  • Das bayerische Innenministerium prüft, ob der Antrag zulässig ist.
  • Ist der Antrag zulässig, müssen sich innerhalb von 14 Tagen mindestens 10% der Stimmberechtigten (in Bayern knapp eine Million) im Rathaus oder in ihrer Gemeinde in Unterschriftenlisten eintragen.
  • Ist die Zahl erreicht, legt der/die Ministerpräsident:in das Volksbegehren dem Landtag vor.
  • Lehnt der Landtag das Volksbegehren ab, kommt es innerhalb von drei Monaten zum Volksentscheid.
  • Angenommen ist der Volksentscheid, wenn er mehr gültige Ja- als Neinstimmen erhält. Eine einfache Mehrheit genügt, außer der Volksentscheid umfasst eine Verfassungsänderung - dann muss zusätzlich ein Zustimmungsquorum erfüllt werden (die Zahl der Ja-Stimmen muss mindestens 25% aller Stimmberechtigten ausmachen).

Abstimmungen auf kommunaler Ebene:

Wie laufen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Bayern ab?

  • Um ein Bürgerbegehren einzureichen, müssen Unterschriften gesammelt werden. Je nach Größe der Gemeinde von mindestens 3% bis 10% der Wahlberechtigten.
  • Innerhalb eines Monats nach Einreichung muss der Gemeinderat über die Zulässigkeit des Begehrens entscheiden.
  • Ist es zulässig, findet ein Bürgerentscheid statt (Spätestens nach drei Monaten. Wenn die Vertreter:innen des Bürgerbegehrens zustimmen, spätestens nach sechs Monaten).
  • Angenommen ist der Bürgerentscheid, wenn er mehr gültige Ja- als Neinstimmen erhält. Aber nur, wenn die Mehrheit ein Abstimmungsquorum erfüllt (mindestens 20% aller Stimmberechtigten bei bis zu 50.000 Einwohner:innen, mindestens 15% bei bis zu 100.000 Einwohner:innen, mindestens 10% ab 100.000 Einwohner:innen).
  • Bei Stimmengleichheit gilt die Frage als mit "Nein" beantwortet.

Politisches Engagement und Mitbestimmung

Bürger- und Volksbegehren sind für die Befürworter:innen nicht nur ein geeignetes und wichtiges Mittel, um in die lokale Politik einzugreifen oder Gesetzesvorlagen einzubringen. Es geht ihnen auch darum, dass die Bevölkerung dadurch mehr einbezogen wird und sich stärker für Politik interessiert und engagiert. Manchmal reicht ein Volksbegehren, um politisch etwas anzustoßen: Beim "Volksbegehren Artenvielfalt" in Bayern Anfang 2019 kam es gar nicht erst zum Volksentscheid. Die Bayerische Staatsregierung übernahm den Gesetzentwurf des Volksbegehrens und ergänzte ihn.

Und selbst wenn ein Volksbegehren oder der anschließende Volksentscheid scheitert, kann er trotzdem etwas anstoßen: die Menschen zusammenbringen und zu Diskussionen anregen.

"Ich bemerke heftige Diskussionen und zwar für die Inhaltsfrage. Wenn ich feststelle, dass wir, egal wo ich hingehe, über diesen Bürgerentscheid reden, dann sind wir beim Thema: Das ist direkte Demokratie, das ist Beteiligung der Bürger. Genau so soll's ja auch sein."

Thorsten Wozniak, 1. Bürgermeister Gerolzhofen, CSU

Direkte Demokratie in Europa

  • Die Anzahl der Volksbegehren und Volksentscheide in Deutschland nimmt zu.
  • Themen-Schwerpunkte 2018 in Deutschland: Soziales, v.a. Pflege und Krankenhäuser, Bildung, Demokratie-Themen, Innenpolitik. Klarer neuer Trend: Nachhaltigkeit und Umweltschutz.
  • Weltmeister in Sachen direkte Demokratie ist die Schweiz: Das Volk kann auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene direkt entscheiden.

Alle Gesetzgebung direkt vom Volk?

So gut Volksabstimmungen in manchen Bereichen funktionieren - Kritiker:innen halten vor allem Volksentscheide auf Bundesebene für gefährlich bzw. nicht sinnvoll. Komplexe politische Fragen lassen sich laut dem Politikwissenschaftler Professor Klaus H. Goetz schwer auf eine Ja- oder Nein-Entscheidung herunterbrechen. Es geht hier oft um ein zähes Ringen, die parlamentarische Beratung über ein Gesetz kann daher im Bundestag auch mal ein Jahr dauern. Hier wäre Volksgesetzgebung seiner Meinung nach nicht angebracht bzw. auch schwer zu realisieren.

"Wir haben z. B. ein Gesetz, es ist durch eine Volksabstimmung verabschiedet. Und dann soll das Gesetz im nächsten Jahr geändert werden. Sehr viele Gesetze, die wir haben, bleiben ja nicht unverändert im Gesetzbuch, sondern werden novelliert, geändert. Sollen Gesetze, die vom Volk direkt angenommen sind, von einer solchen Änderung ausgeschlossen werden oder müsste die Änderung wieder Gegenstand der Volksabstimmung sein?

Ich denke nicht, dass die detaillierte Gesetzgebung, das einfache Gesetz, Sozialgesetzgebung, Gesetzgebung über Renten, über das Gesundheitssystem, über wirtschaftliche Angelegenheiten zum Gegenstand von Volksgesetzgebung werden soll."

Prof. Klaus H. Goetz, Politikwissenschaftler, LMU München

Negativ-Beispiel Brexit

Ein Beispiel mit weitreichenden Folgen für die Bevölkerung ist die Volksabstimmung in Großbritannien, ob das Land die EU verlassen soll - der Brexit. 51,9 Prozent der Wähler:innen, die am Referendum teilgenommen haben, stimmten im Juni 2016 für den Austritt. Viele fragen sich seitdem, ob das Volk wirklich repräsentiert ist bei einem derart knappen Ausgang der Abstimmung.

Das Reduzieren auf eine simple Ja-Nein-Frage kann auch Populisten in die Hände spielen. Manche Brexit-Befürworter nutzten die Zeit vor der Abstimmung, um gezielt falsche Informationen zu verbreiten. So beeinflussten sie die Stimmung in Richtung EU-Austritt.

Autorin: Claudia Sarrazin

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