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Grenzen - Schutz oder Barriere?

RESPEKT Grenzen - Schutz oder Barriere?

Stand: 07.08.2019

  • Weltweit beträgt die gesamte Länge aller politischen Grenzen circa 250.000 km.
  • Ein Großteil der Grenzen sind "grüne Grenzen", wie etwa der Rhein oder die Alpen.
  • Andere Grenzen wurden von Menschen zu ihrem Schutz errichtet: zum Beispiel Mauern.
  • Grenzen kosten viel Geld und immer wieder auch Menschenleben.
  • Grenzenloser Vorteil: Durch den freien Warenverkehr in der EU gewinnt allein Deutschland pro Jahr 37 Milliarden Euro.

Grenzen können tödliche Hindernisse sein, aber auch Schutz vor Verfolgung. Wie sich Grenzen für Menschen auswirken, ist je nach Pass und sozialem Status höchst verschieden. Für Deutsche und die meisten anderen Europäer schien die Welt jahrzehntelang immer grenzenloser zu werden. Doch globale Fluchtbewegungen, der Brexit oder Trumps Pläne für eine Mauer zwischen USA und Mexiko bringen Grenzen machtvoll zurück – in unser Bewusstsein und ganz real in unser Leben. Das Prinzip von Grenzen ist, ein "Innen" vor einem "Außen" zu schützen. Aber was bewirkt das bei Menschen und bei der Gesellschaft? Auf der Suche nach Antworten übertritt RESPEKT-Moderator Ramo Ali selbst Grenzen.

Grenzschutz: Wo ist die Grenze zum Mord?

Ramo Ali trifft den Fluchthelfer Claus-Peter Reisch: Reisch rettet mit seinem Schiff "Lifeline" Menschen, die meist mit Schlauchbooten über das Mittelmeer in Richtung EU flüchten. Dabei erlebt er manchmal unfassbare Grausamkeit, die Menschen anderen Menschen zufügen, "um Grenzen zu schützen": Vor der libyschen Küste hat die libysche Küstenwache ein Schlauchboot mit 157 Menschen auf der Flucht zurück nach Libyen geschleppt. Zwei Frauen mit einem Baby weigerten sich, das Schlauchboot zu verlassen. Da zertrümmerten die Männer der Küstenwache das Boot und ließen die zwei Frauen und das Baby auf hoher See zurück. Eine Frau konnte gerettet werden, die Mutter und ihr Baby starben.

"Es gibt ja auch Menschen, die laufen mit Turnschuhen oder Flipflops die Zugspitze rauf und verunglücken. Die holen wir runter, mit großem Aufwand, mit Hubschrauber und anderem schweren Gerät. An jedem Badesee gibt's eine Wasserwacht. Wer aus dem Nichtschwimmerbereich rauspaddelt und von der Luftmatratze fällt, wird auch gerettet. Und hier sagt man: 120 Menschen in einem Schlauchboot, die retten wir jetzt nicht. Liegt's vielleicht doch an der Hautfarbe?"

Filmzitat Claus-Peter Reisch, Kapitän der 'Lifeline'

Lebensgefährliche Fluchtwege: Tunnel unter der Berliner Mauer

In der RESPEKT-Reportage erzählt Joachim Neumann, wie er 1961/1962 einen Tunnel unter der Berliner Mauer gegraben hat. Er konnte mit einem Schweizer Pass aus der DDR fliehen. Danach will er seinen Freunden bei der Flucht helfen. Er mietet mit seinen Helfern in West-Berlin einen Keller nahe der Mauer. Von dort aus graben sie in mühevoller Akkordarbeit einen Tunnel. Er ist eng, sehr eng: Ein Erwachsener kann gerade so drin liegen oder auf allen Vieren durchkriechen. Die Grabungsarbeiten erfolgen unter großem Risiko. Andere Tunnelbauer wurden verraten, manche sogar erschossen. Einige der selbst gegrabenen Tunnel brechen ein oder werden überflutet. Joachim Neumanns zukünftige Frau sitzt wegen eines verratenen Tunnels im Gefängnis, schafft es dann aber tatsächlich, durch Neumanns Tunnel in die Freiheit zu kommen.

Den Nazis entronnen, auf Schweizer Boden

Der Weg in die Freiheit: gegraben auf dem Rücken liegend, in einem 80 x 80 cm kleinen Tunnel

Grenzen können auch lebensrettend sein. Etwa zur Zeit des Nationalsozialismus. Ramo Ali begegnet dem Holocaust-Überlebenden Ladislaus Löb, dem die Schweizer Grenze 1944 das Leben rettete. Als Elfjähriger ist Löb zusammen mit anderen Juden aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen gegen ein Lösegeld an die Nazis freigekommen. Mit seinen Eltern fährt er in einem Zug Richtung Schweiz. Bis zum Schluss weiß die Familie nicht, ob die Nazis sich wirklich an die Vereinbarung halten werden, sie frei zu lassen. Als sie die Schweiz erreichen, atmen alle auf. Denn auf dieser Seite der Grenze haben Hitler und seine Gefolgsleute keine Macht: Ladislaus Löb und seine Familie sind in Sicherheit.

Grenzen: ein teurer "Spaß"

Wie sinnvoll sind Grenzen heute? Beispiel: Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich. In fünf Monaten hat die neue bayerische Grenzpolizei hier nur neun Migranten aufgegriffen – dafür aber Hunderte Kriminelle. Der jährliche Schaden für die deutsche Wirtschaft, zum Beispiel durch höhere Personal- und Lagerkosten wegen längerer Wartezeiten an der Grenze beträgt 15 Milliarden Euro (Schätzung von Wirtschaftsexperten).

Grenzen kosten Geld und Leben

  • Donald Trump hat für seine 3.000 Kilometer lange Mauer zu Mexiko allein für 2019 5,7 Milliarden Dollar im Haushaltsbudget eingeplant.
  • Der Schutz der EU-Außengrenzen kostet jährlich etwa 320 Millionen Euro.
  • Grenzen kosten auch Leben: An der Berliner Mauer zum Beispiel starben Schätzungen zufolge etwa 1.000 Menschen.
  • Bei der Flucht über das Mittelmeer starben 2018 mindestens 2.275 Menschen, also im Schnitt sechs pro Tag (laut UN-Flüchtlingshilfswerk).
  • Die EU-Grenzschutzagentur Frontex bekam im Jahr 2019 333 Millionen Euro für den Grenzschutz, im Jahr 2021 sollen es 1,6 Milliarden Euro sein (Quelle: report München).

Zahlen und Fakten: Quellen

Autorin: Monika von Aufschnaiter

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