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Der neue Terror-Tätertyp Prävention Fehlanzeige

Kriminell und Terrorist. Der neue Attentäter Typ agiert in Europa mehr denn je als sogenannten "Lone Wolf", als Einzeltäter. Anschläge bereitet er eigenständig vor und finanziert sie selbst. Spätere Terroristen finden sich in der Vorphase der Attentate im kriminellen Milieu. Darauf ist die Terrorismus Bekämpfung in Deutschland nicht ausreichend vorbereitet. 

Von: Sabina Wolf

Stand: 18.05.2017

Ein Passant befestigen ein Plakat am 20.12.2016 in Berlin am Ort des möglichen Anschlags. Bei einem möglichen Anschlag war ein Unbekannter am Montag (19.12.) mit einem Lastwagen auf einen Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gefahren. | Bild: picture-alliance/dpa/Rainer Jensen

Das Dogma "entweder Organisierte Kriminalität oder Terrorismus" sei in dieser Absolutheit nicht mehr aufrechtzuerhalten, mahnt Prof. Arndt Sinn, der diesen Bereich erforscht und dazu die Studie "Organisierte Kriminalität 3.0" herausgegeben hat.  Er fordert, dass Strafverfolgungsbehörden jetzt präventiv schnell reagieren, insbesondere Datenbestände aus den Bereichen Kleinkriminalität und Terror miteinander verknüpfen.

Attentate in Frankreich und Deutschland

Ein solcher Abgleich hätte u.a. diese Personen ausgespuckt, die später Attentate in Deutschland und Frankreich verübten:

  • Anis Amri (Berliner Attentäter, 19.12.16,) Drogenhändler, islamistische Szene
  • Abdelhamid Abaaoud (Planer Anschläge Paris, 15.11.2015), Drogenhändler, Produktpiraterie
  • Kouachi-Brüder (Charlie Hebdo, 07. Bis 09.01.15), Produktpiraterie Händler, islamistische Szene
  • Amedy Coulibaly (Charlie Hebdo, 07. Bis 09.01.15), Schmuggler, islamistische Szene    

Die Liste ließe sich unschwer verlängern.

Drogengeschäft als Terrorfinanzierung

Der Zusammenhang heißt: Kriminalität und Terrorismus zugleich. Dies findet bei der Terrorbekämpfung in Europa langsam Beachtung: Wie in Nürnberg, Ende April. Hinter verschlossenen Türen tagen auf Einladung des bayerischen Landeskriminalamts internationale Experten. Ihr Top-Thema: Der Zusammenhang zwischen Drogenhandel und Terror:

"Jeder versucht, möglichst viel, möglichst schnell Geld zu machen, insbesondere die organisierten Gruppen, das bestätigen uns die amerikanische Kollegen. Sie müssen sich die Tätigkeitsfelder der Kriminellen vorstellen, wie Kreise und wie in der Mathematik überschneiden sich diese in bestimmten Bereichen. Drogenhandel, Menschenhandel, organisierter Betrug, aber eben auch Terrorismus."

Jörg Beyser, Bayerisches Landeskriminalamt

Keine klaren Zuständigkeiten

Anis Amri

Hinzu kommt, dass Deutschland völlig planlos Gelder bei der Terrorbekämpfung verschwendet, mahnen Experten. So waren für den Behörden-bekannten Anis Amri, teils als Krimineller, teils als Islamist, 40 verschiedene Ämter zuständig, je nach Reisebewegung von Amri.

Die Terroranschläge der vergangenen Jahre haben eines gemeinsam: Große finanzielle Unterstützung der Attentäter im Vorfeld gab es nicht. Ganz bewusst fischt der IS spätere Täter aus dem kleinkriminellen Milieu: Das Kalkül: "Der IS hat dazu aufgerufen, sich selbst zu finanzieren." Kriminalität 3.0 nennt der Strafrechtler Professor Arndt Sinn von der Universität Osnabrück dieses Phänomen. Eine Abgrenzung zwischen Terror und organisierter Kriminalität helfe nicht weiter, die Täter seien in beiden Bereichen zu finden.

"Da ist aufgefallen, mindestens in den letzten zehn Jahren, das sich Terrorismus über Erscheinungsformen finanziert, die bisher der Organisierten Kriminalität zugewiesen wurden, also Drogenhandel, Zigarettenschmuggel, gefakte Artikel usw. und das sind eben diese neuen hybriden Gruppierungen."

Prof. Arndt Sinn

In diesen Fällen haben die Ermittlungsbehörden Informationen über ihre islamistische Aktivitäten im Vorfeld der Attentate missachtet, in der Annahme, das seien ja "nur" Kriminelle. Eine fatale Fehleinschätzung.

Was lief im Fall Amri schief?

Dabei wurde Anis Amri früh dem islamistischen Spektrum zugeordnet. Der Parlamentarische Kontrollausschuss des Bundestages schreibt dazu: Amri sei im Februar 2016 als "islamistischer Gefährder" eingestuft worden. Doch weil das Berliner LKA ihn als Kleinkriminellen eingestuft habe, seien ab September 2016 keine Überwachungsmaßnahmen mehr durchgeführt worden. Elf Menschen ermordet Amri auf dem Weihnachtsmarkt, 55 werden verletzt. Und das womöglich nur, weil Behörden nicht erkennen, dass einer "Krimineller" und "Terrorist" gleichzeitig sein kann.

"In Deutschland muss noch mehr Aufmerksamkeit diesem Phänomen geschenkt werden."

 Prof. Arndt Sinn

Jetzt hat der Berliner Senat das Landeskriminalamt von Berlin angezeigt, man habe gewusst, Amri sei kein Kleinkrimineller gewesen, sondern hätte mit größeren Mengen gedealt. Diese hätte zu seiner Verhaftung ausgereicht. Das LKA hätte dies vertuscht.

Streitfall Schleierfahndung

Und noch ein Problem bei der Terrorprävention: Die Bundesländer geben ihren Polizeien unterschiedliche Befugnisse. In Bayern gibt es eine Schleierfahndung, mobile Polizei-Einheiten, die verdachtsunabhängig kontrollieren dürfen. Anfang November 2015 spüren bayerische Fahnder in einem VW Golf Waffen und Sprengstoff auf, vermutlich für den Anschlag wenig später in Paris bestimmt. Keine Schleierfahnder einzusetzen halten Sicherheitsexperten für ein Risiko.

Berlin zum Beispiel hat keine Schleierfahndung und daran ändere sich auch durch das Berliner Attentat nichts, das teilt uns der Innensenat auf Anfrage mit.

"Ich kann nur sagen, ich stehe zum Föderalismus. Aber es ist für mich eben unbegreiflich, dass gerade die, die eine wesentlich höhere Kriminalitätsziffer haben, dass ausgerechnet die sagen, wir brauchen keine weiteren Instrumente. Das ist völlig unverständlich und wir werden da auf jeden Fall am Ball bleiben. Und ich werde mich für eine flächendeckende Schleierfahndung einsetzen."

Bayerns Innenminister Herrmann


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