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Fahrtüchtig trotz Cannabis-Medikament? Schmerzpatient streitet mit Augsburger Behörden

Wer starke Medikamente nimmt und trotzdem Auto fährt, macht sich strafbar. In Ausnahmefällen kann das Autofahren aber auch erlaubt sein, allerdings muss dies vom Arzt bescheinigt werden. Chris Zimmermann ist Schmerz-Patient, der Cannabis-Präparate verschrieben bekommen hat und auch Auto fahren darf. Vier Jahre lang geht alles gut, dann gerät er in eine Polizeikontrolle.

Von: Nikolaus Unkhuer

Stand: 30.06.2016

Hanf. Cannabis (Medizinalhanf) erhält man seit 10. März 2017 auf Rezept in der Apotheke. | Bild: picture-alliance/dpa

Seit seiner Jugend leidet Chris Zimmermann unter Morbus Scheuermann, einer schmerzhaften Wirbelsäulenverkrümmung. Einige Wirbel sind bereits brüchig, drücken permanent aufs Rückenmark.
Unzählige Schmerzmittel bis hin zu Morphium hat Chris über die Jahre verschrieben bekommen. Inzwischen müsste er sie in so hoher Dosierung einnehmen, dass Leber und Verdauungstrakt massiv geschädigt  würden.

"Ich habe über die Jahre das Lachen verlernt. Nur wenig macht mir noch Freude, bis auf die Fotografie. Man schließt irgendwo ab mit seinem Leben, die nächste Möglichkeit wäre, sich einen Strick zu nehmen, aber wo soll das hinführen."

Chris Zimmermann, Schmerzpatient

Führerscheinstelle stimmt ihm zu

Seit etwa vier Jahren bekommt er nun ein Cannabis-Präparat verschrieben. Der Effekt ist erstaunlich. "Es ist ein rein pflanzlicher Stoff, man kommt auch von der Chemie weg. Die Wirkung ist die Gleiche, wenn nicht sogar besser", sagt Chris. Sein Arzt bescheinigt ihm 2012, unter Einfluss des Medikaments auch Autofahren zu können. Die Führerscheinstelle folgt der Einschätzung des Mediziners.
Die Sonder-Genehmigung für sein Cannabis-Medikament hat Chris Zimmermann immer an Bord. Er ist viel unterwegs, und in einer ländlichen Gegend ist er aufs Auto angewiesen.

Vier Jahre lang gibt es keine Probleme

Dann kommt der 5. Juli 2015. Chris Zimmermann gerät in eine Polizeikontrolle.

"Ich wurde von der Polizei praktisch drogentypisch behandelt, was mir unverständlich war, weil sie ja mittlerweile meine Unterlagen vom Landratsamt und Führerscheinbehörde in der Hand hatten, wo klar daraus hervorgeht, dass ich Cannabis-Patient bin und das Medikament nehmen darf und unter dem Einfluss auch am Straßenverkehr teilnehmen darf."

Chris Zimmermann

Im Blut von Chris Zimmermann entdeckt die Polizei den Wirkstoff THC, also Cannabis. Wenige Wochen später schreibt ihm das Landratsamt.

"Die Fahreignung unter derart hohen Werten Cannabis-Wirkstoff wird angezweifelt." Landratsamt Augsburg, Führerscheinstelle

Jetzt auf einmal soll Chris Zimmermann doch nicht mehr fahrtauglich sein, nachdem vier Jahre lang alles in Ordnung war? Wir bitten das Landratsamt in Augsburg um ein Interview. Kann es sein, dass die Behörden ihn in die Drogenecke gestellt haben, ohne seine spezielle Situation zu berücksichtigen?

"Dieser Gedanke, da ist ein Rauschmittel, das als Medikament verschrieben wird und das sogar unter bestimmten Bedingungen die Teilnahme am Straßenverkehr ermöglicht, das ist schon etwas Neues. Wenn sie ein anderes Medikament nehmen, ein Schmerzmittel, das beeinträchtigt im Zweifel ihre Fahrfähigkeit auch, aber lässt sich nicht ohne weiteres feststellen. Es mag also dem Herrn Zimmermann sein konkretes Medikament ein Stück weit zum Verhängnis geworden sein."

Michael Püschel, Landratsamt Augsburg

Ab dem kommenden Jahr soll es deutlich leichter werden, Cannabis-Präparate auf Rezept zu bekommen. So sieht es ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. Die schwierige Frage der Fahrtauglichkeit muss dann endlich klar geregelt werden. Denn im Moment wissen die Behörden offenbar noch nicht so genau, wie sie mit diesen Sonderfällen umgehen sollen.

Geplanter Gesetzentwurf zu Cannabis:

Schmerzpatienten sollen künftig Cannabisauf Rezept in der Apotheke bekommen können. Nach jahrelangen Diskussionen brachte das Bundeskabinett Anfang Mai 2016 einen entsprechenden Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Gröhe auf den Weg. Patienten ohne therapeutische Alternative sollen getrocknete Cannabisblüten und -extrakte erhalten. Dafür soll der Anbau möglich gemacht werden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte soll als staatliche Cannabisagentur fungieren. Diese soll das medizinische Cannabis laut Gesetzentwurf an Hersteller von Cannabis-Arzneimitteln, Großhändler oder Apotheken weiterverkaufen. Bis es den geplanten staatlich kontrollierten Anbau in Deutschland gibt, soll die Versorgung mit Importen gedeckt werden.


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