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Slowakei Alte Burgen, neue Chancen

Die Slowakei ist wie kein anderer mitteleuropäischer Staat ein Land der Burgen. Doch der Stolz der Nation ist vom Untergang bedroht. Die meisten der 100 mittelalterlichen Burgen und Schlösser rotten langsam vor sich hin.

Von: Arndt Wittenberg

Stand: 12.06.2016 | Archiv

Burgruine von Kapucany mit Gerüst | Bild: BR

Früh morgens um Sieben ist Jaroslav Gazdatschko von Zuhause aufgebrochen, um seinen neuen Arbeitsplatz zu erreichen. Vor ihm liegt eine schweißtreibende Herausforderung: Zusammen mit anderen Arbeitslosen soll er die Burgruine von Kapucany wiederaufbauen. Arbeitslose als Retter alter Kulturdenkmäler - in der Slowakei ist ein europaweit einzigartiges Sanierungsprojekt angelaufen.

Jaroslav Gazdatschko

Unterhalb der Burgruine herrscht ungewohnte Betriebsamkeit. Wie die anderen Männer wird auch Jaroslav mit neuer Arbeitskleidung, Sicherheitsschuhen und einer Spitzhacke ausgerüstet. Es ist der Startschuss für ein landesweites Projekt: 20 Burgen in der Slowakei sollen in diesem Jahr vor dem Verfall gerettet werden. Über 800 Arbeitslose werden dabei eingesetzt. Eine Chance für den beruflichen Wiedereinstieg - Jaroslav Gazdatschko will sein Bestes geben:

"Ich glaube, dass es hart werden wird. Das wird schwere Arbeit, besonders, wenn es so wie jetzt so heiß ist. Aber ich bin hier, weil ich das Geld einfach brauche. Ich hoffe, wir arbeiten im Team gut zusammen. Das ist etwas ganz Neues für mich. Ich bin auf jeden Fall froh, hier zu sein, aber es wird sicher sehr anstrengend."

Jaroslav Gazdatschko

Ein Sozial- und Kulturprojekt

Mächtig und geheimnisvoll steht sie da, die Burgruine von Kapucany, im 13. Jahrhundert erbaut als Bollwerk gegen brandschatzende Mongolen. Vor dreihundert Jahren wurde die Burg niedergebrannt. Seitdem zerfällt die einst stolze Festung.

Heute ist der erste Arbeitstag auf Kapucany. Keiner der Männer weiß genau, was auf ihn zukommt. Deshalb muss Koordinator Martin Sarossy seine Leute genau einweisen. 90 Arbeitslose haben sich für diesen Job gemeldet. 20 davon hat Martin ausgewählt: nur die, die wirklich anpacken wollen.

80.000 Euro hat das slowakische Kultusministerium für dieses Jahr bewilligt. Ein Großteil der Mittel stammt aus den Sozialfonds der EU. Die Arbeitslosen erhalten davon bis zu 400 Euro im Monat. Das ist nicht viel, aber immer noch mehr als der slowakische Mindestlohn von 317 Euro:

"Ich denke, dass es für die Arbeitslosen eine Chance ist. Die Frage ist nur, ob es wirklich langfristige Perspektiven hat. Denn bislang haben wir nur Geld für eine Saison. Ich hoffe aber, dass das Projekt fortgesetzt wird. Wir haben jetzt begonnen, und wir werden mit Mitteln versuchen, dass das Projekt weiterläuft."

Martin Sarossy

Die meisten Arbeitslosen stammen aus der Region, viele aus dem Städtchen Kapucany direkt unterhalb der Burg. Arbeit gibt es kaum in dem 2000-Seelen-Ort, wie in vielen Städten im Osten der Slowakei. Wer Mut hat, zieht weg und sucht sein Glück im reicheren Westen des Landes.

Land der Burgen

Bratislava, früher Pressburg, hat in den letzten Jahrzehnten einen Boom erlebt. Es herrscht nahezu Vollbeschäftigung, die Lebenshaltungskosten sind vergleichbar mit denen in westdeutschen Städten. Doch der Wirtschaftsmotor Bratislava kann nicht das ganze Land versorgen. So ist man im Sozialministerium heilfroh über die 3,4 Millionen Euro, die die EU für das landesweite Burgenprojekt bereitgestellt hat.

Über der Altstadt thront die Burg von Bratislava. Gerade restauriert, ist sie Symbol für eine Entwicklung, die vor knapp zehn Jahren eingesetzt hat: die Slowakei ist im Burgenfieber.

Die Burgen sind der Stolz der slowakischen Nation. Über 100 gibt es in dem kleinen Land. Die meisten sind verfallen. Die Ruine Uhrovec, verborgen im Strazov-Gebirge im Nordwesten des Landes, gehört zu den wertvollsten Burgen aus der romanischen Epoche. Im 17. Jahrhundert wurde Uhrovec von den Türken belagert. Einnehmen konnten sie die Festung nicht.

Pavel Paulis

Seit einiger Zeit hat die Ruine wieder einen Bewohner. Pavel Paulis hat die Rettung von Uhrovec zu seiner Lebensaufgabe gemacht. Im oberen Teil der Burg hat sich der ehemalige Bergwerksarbeiter einen kleinen Verschlag gebaut – das ist jetzt sein Zuhause. Seit vier Jahren haust der 53-jährige Arbeitslose hier und ist rundum glücklich.

"Die Burg ist einfach meine Herzensangelegenheit und ich hoffe, dass ich bis ins hohe Alter hier leben kann. Ich will hier mitarbeiten, solange ich kann. Denn hier oben auf der Burg mitten in der Natur zu leben, das ist etwas Wunderschönes. Ich kann mir kein anderes Leben mehr vorstellen."

Pavel Paulis

Ein Leben auf der Burg

Ein karges Abendessen, das muss reichen für diesen Tag. Pavel will jetzt ruhen, denn früh am nächsten Morgen sollen die Arbeiten an der Burg weitergehen.

Lange Zeit hat Pavel hier unentgeltlich geschuftet. Seit diesem Jahr wird er bezahlt, im Rahmen des Arbeitslosenprojektes, das auf Uhrovec nun schon die zweite Saison läuft. 20 Arbeitslose werden zur Sanierung der Burg beschäftigt. Die Erfahrungen aus dem letzten Jahr waren so gut, dass die slowakische Regierung für diese Saison wieder 40.000 Euro bewilligt hat. Pavel Paulis ist mittlerweile zum Vorabeiter aufgestiegen. Sorgsam überwacht er die Arbeit seiner Kollegen. Denn mit normalen Mauerarbeiten hat das hier nichts zu tun. Stein um Stein muss richtig gesetzt werden. Bis er wirklich passt.

"Wir benutzen hier nur die Dinge, die wir auf der Burg finden: Wir nutzen Regenwasser und den Sand, der schon im Mittelalter heraufgetragen worden ist und Kalk, den wir dann mit Regenwasser ablöschen. Ganz traditionell."

Pavel Paulis

Pavel Paulis hat einen Traum: In zehn, fünfzehn Jahren könnte Uhrovec wiederaufgebaut sein. Und er möchte dann die Touristen durch die Burg führen:

"Ich würde gerne Burgverwalter werden, mit einem schönen Museum für die Touristen. Am liebsten würde ich mein Leben hier oben zu Ende bringen. Reich werden kann man dabei nicht. Bei einer solchen Arbeit darfst du nicht aufs Geld schauen. Du musst dein Körper und deine Seele geben, nur so kannst eine Burg wie diese wieder zum Leben erwecken."

Pavel Paulis

Geisterstunde in der Burg

Zukunftsträume, denn touristisch ist die Slowakei in vielen Regionen wenig erschlossen. Dabei hat das kleine Land landschaftlich und kulturell viel zu bieten. In den Hoffnungen auf einen touristischen Aufschwung spielen die vielen mittelalterlichen Burgen und Schlösser eine wichtige Rolle. In Bojnice, 50 Kilometer südöstlich der Stadt Trencin gelegen, hat sich der Traum vom Schloss als Touristenmagnet bereits verwirklicht. Jahr für Jahr strömen Tausende auf das Schloss, zum Internationalen Geister- und Gespensterfestival. In aufwendigen Inszenierungen werden die Besucher in eine mittelalterliche Phantasiewelt entführt, mit Hexen, Teufeln und gespenstischen Drachen.

Im Innenhof des Schlosses wird gerade eine Hexenszene aufgeführt: Um ihren geliebten Gatten wieder zu bekommen, hat Schlossherrin Helena zwei Hexen beauftragt, einen Zaubertrank zu brauen - aus Menschenblut, magischen Kräutern und Bärenurin. Die Kleinen staunen.

(Dieser Text ist eine stark gekürzte und geänderte Fassung des Sendungsmanuskripts.)

(Dieser Film wurde zum ersten Mal am 20.05.2012 gesendet.)

Sendungstext zum Download Format: PDF Größe: 115,87 KB


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