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Schweiz Beschleunigung des Asylverfahrens

Es ist ein Versuchslabor, das so gar nicht danach aussieht. Und die Teilnehmer am Experiment hatten keine Wahl. Es sind Asylbewerber aus aller Welt, die auf ihrem Weg nach Europa in der Schweiz strandeten.

Von: Daniel Hechler

Stand: 24.07.2016 | Archiv

Asylbewerber | Bild: BR

Etwa 300 leben in dieser Unterkunft bei Zürich. Sie wurden per Zufallsprinzip ausgewählt. Die meisten werden die Schweiz schon nach wenigen Tagen wieder verlassen müssen. Noch aber hoffen sie alle, hier bleiben zu können.

"Es gefällt mir hier sehr gut. Die Menschen behandeln uns anständig, helfen uns. Das Essen, die Unterkunft ist gut. Alles, was wir brauchen, bekommen wir."

Ein Asylbewerber

"Sie sind sehr nett zu uns. Ich habe mit niemandem Probleme."

Ein anderer Asylbewerber

"Ich werde ein neues Leben beginnen, zur Universität gehen. Alles geht hier so schnell und einfach im Vergleich zu anderen Ländern."

Ein weiterer Asylbewerber

Barbara Büschi

Das gilt vor allem für das so genannte Verfahrenszentrum. Hier werden Asylanträge im Eilverfahren abgefertigt werden. Seit 2014 läuft in Zürich der Testbetrieb, der das Schweizer Asylsystem revolutionieren soll.

"Wir werden in jeder Region ein Verfahrenszentrum haben und in diesem sind alle Akteure eines Verfahrens unter einem Dach zusammengeführt. Das führt zu effizienten Prozessen und mit der Taktung und Befristung, sowohl des Verfahrens, wie auch des Beschwerdeverfahrens, als auch der Behandlungsfrist des Bundesverwaltungsgerichtes erreichen wir eben eine deutliche Beschleunigung."

Barbara Büschi, stellvertretende Direktorin Staatssekretariat für Migration

Am Anfang steht der elektronische Fingerabdruck: Jeder Asylbewerber wird registriert, seine Daten europaweit abgeglichen. Es folgt eine Kurzeinführung in das Schweizer Asylwesen am Bildschirm in allen erdenklichen Sprachen. Danach eine erste Befragung und ein verlockendes Angebot. Knapp 2000 Euro für jeden, der seinen Asylantrag wieder zurückzieht und die Schweiz verlässt. Je länger das Verfahren dauert, desto kleiner das Bonbon.

"Die Gesuchsteller merken natürlich, dass das Angebot recht großzügig ist und deswegen haben wir auch einen recht guten Effekt erzielt. Man merkt das bei den Zahlen: Wir haben über 70 Prozent der Gesuchsteller, die in der ersten Phase zurückziehen."

Martin Bucher, stellvertretender Abteilungsleiter Testbetrieb Staatssekretariat für Migration

Wer dem Angebot widersteht, erhält nach einer weiteren Anhörung seinen Asylentscheid. Gerade einmal acht bis zehn Tage dauert diese heiße Phase. Währenddessen hat jeder einen kostenlosen Anwalt an der Seite, damit das Turboverfahren auch rechtsstaatlichen Grundsätzen genügt.

"Ich denke, es ist ein großer Vorteil für die Gesuchstellenden, wenn sie schnell wissen, ob sie Schutz gewährt kriegen, im Vergleich zum bisherigen Verfahren, in dem teils bis drei Jahre zugewartet werden musste bis zum ersten instanzlichen Entscheid, auch aus rechtlicher Sicht."

Dominique Wetli, Leiter Rechtsvertretung

Bleiben noch zehn Tage für eine Beschwerde. Viele aber verzichten darauf. Die Beschwerdequote jedenfalls liegt ein Drittel niedriger als anderswo in der Schweiz. Und so steht am Ende eine beeindruckende Zahl: Nach durchschnittlich nur 59 Tagen wissen die Asylbewerber definitiv, ob sie bleiben dürfen oder nicht.

"Unsere Erwartungen sind erfüllt. Wir können mit dieser Testphase zeigen, dass wir tatsächlich eine Beschleunigung von fast 40 Prozent erreichen, dass wir die freiwilligen Rückkehren erhöhen konnten, dass der Vollzug besser organisiert ist und konsequenter abgewickelt werden kann und, dass die Qualität der Entscheide gleich bleibt, trotz der Beschleunigung."

Barbara Büschi, stellvertretende Direktorin Staatssekretariat für Migration

Andrea Karle

Selbst Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International halten das Verfahren im Grundsatz für fair und sinnvoll. Kein Wunder – sie waren von Anfang an eingebunden. Und doch gibt es Kritik im Detail:

"Die Hauptkritikpunkte von unserer Seite ist, dass das beschleunigte Verfahren für stark traumatisierte Leute nicht geeignet ist und weil man für eine psychologische Betreuung ein Vertrauensverhältnis aufbauen muss. Und das geht in der kurzen Zeit nicht. Da müsste man andere Lösungen finden. Der zweite Kritikpunkt ist: Die kostenlose Rechtsberatung ist gut aber es gibt zu wenig Anwälte und Juristen. Das heißt sie müssen zu viele Dossiers betreuen und können diese dementsprechend nicht gut betreuen."

Andrea Karle, Amnesty International Schweiz

Mit allerlei Horrorszenarien polemisiert die rechtspopulistische SVP gegen das neue Asylsystem. Bei der Volksabstimmung am 6. Juni allerdings sprechen sich zwei Drittel der Bürger dafür aus, das Zürcher Experiment zum Schweizer Regelfall zu machen. Was aber halten die von dem Turboverfahren, die es am eigenen Leib zu spüren bekommen?

"Es ist schneller und besser. Schließlich ist Zeit auch Geld."

Ein Asylbewerber

"Es ist so schnell: Ich warte gerade auf mein Urteil in zweiter Instanz und habe schon alle erforderlichen Papiere für mein neues Leben bereit."

Eine Asylbewerberin

Die wenigsten rechnen mit einem Nein, dem wahrscheinlichsten Ergebnis. Häufig genug müssen die Behörden den Abschied aus der Schweiz dann auch erzwingen.


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