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Niederlande Erdbeben durch Gasförderung

Windmühlen und buntgefleckte Kühe – auch in der Provinz Groningen bestätigt sich das Klischeebild von den Niederlanden. Doch hier gerät es immer öfter sprichwörtlich ins Wanken.

Von: Manuela Roppert

Stand: 25.10.2015 | Archiv

Das Haus der Familie Munneke | Bild: BR

Erdbeben stehen im Nordosten des Landes auf der Tagesordnung. Die Ursache: seit über 50 Jahren wird hier Erdgas gefördert. Und seit Mitte der 80er Jahre bebt die Erde. Anfangs nur leicht und selten. Aber in den letzten Jahren werden die Beben immer stärker und häufiger. Und das hat Folgen: bereits 60 Prozent der Häuser sind schwer beschädigt.

Der fast 200 Jahre alte Bauernhof von Liefke Munneke muss von 60 Holzpfosten gestützt werden, sonst droht er einzustürzen. Leben wie auf einer Baustelle; nicht nur bei der Gartenarbeit stehen die Stützbalken im Weg.

Die Munnekes

Ihr Mann, Jan Munneke, dokumentiert die gröbsten Risse in der Wand. Im Moment beträgt der Schaden bereits über 400.000 Euro. Doch die Gasfördergesellschaft NAM will nur für einen kleinen Teil der Schäden aufkommen. Das wollen sich die Munnekes nicht länger bieten lassen. Sie haben sich entschlossen, für ihr Recht zu kämpfen.

"Wenn man ein Erdbeben hat, das stärker als zwei oder drei auf der Richterskala ist, und wenn der Stuhl auf einem harten Boden steht, wie hier in der Küche, dann kann man die Erschütterungen ganz deutlich spüren. Dann zittert alles, der Stuhl, der Tisch. Das ganze Haus beginnt zu wackeln. Denn das ist eine Holzkonstruktion, alles ist mit allem verbunden. Deshalb macht alles brrrrr. Diesen Effekt hat man dann."

Jan Munneke, Erdbebengeschädigter

"Wir wollen, dass die NAM den Schaden wiedergutmacht, so wie sie dazu vom Gesetz verpflichtet ist, und außerdem, dass die Wahrscheinlichkeit auf weitere Erdbeben abnimmt, indem weniger Gas gefördert wird. Am besten wäre es, gar kein Gas mehr zu fördern. Denn man weiß ja, solange Gas gefördert wird, gibt es auch immer wieder neue Erdbeben."

Liefke Munneke-Bos, Erdbebengeschädigte

Doch es hätte dramatische Folgen, nicht nur für die Niederländer, wenn ihre Regierung den Gashahn zudrehen würde. Über 90 Prozent der Haushalte hier heizen mit heimischem Gas. Und die Exporte etwa nach Deutschland, Belgien und Frankreich bringen dem niederländischen Staatshaushalt jährlich Einnahmen von über zehn Milliarden Euro.

Lange Zeit war umstritten, ob wirklich die Erdgasförderung die Ursache der Erdbeben ist.

Sander van Rootselaar

Doch inzwischen räumt das auch die Betreibergesellschaft Nam ein. Die NAM ist ein Gemeinschaftsunternehmen von Shell und Exxon. Hier in Zeerijp führt sie Bohrungen durch, um die Wahrscheinlichkeit von Erdbeben bei der Gasgewinnung zu erforschen. Die Beben entstehen, weil durch die Entnahme des Gases der Druck in der Lagerstätte sinkt. So bauen sich Spannungen auf, die sich in den Erschütterungen entladen. Bei der NAM rechnet man sogar damit, dass künftig Erdbeben mit einer Stärke von über 5 auf der Richterskala möglich sind. Und dann besteht die Gefahr, dass auch Menschen dabei verletzt oder getötet werden. Hat die Förderung hier noch eine Zukunft?

"2013 hat die Regierung ja beschlossen, weniger Gas zu fördern. Der erste Eindruck ist, dass dadurch auch die Häufigkeit der Beben geringer wurde. Aber das muss nicht bedeuten, dass keine schweren Beben mehr stattfinden können. Damit muss man immer noch rechnen. Aber wir sind davon überzeugt, dass sicheres Wohnen und eine verantwortungsvolle Gasförderung möglich sind. Wir kontrollieren unsere Produktion ständig und haben insgesamt 100 Millionen Euro in Forschungsprogramme investiert. Außerdem müssen die Häuser in der Region erdbebensicher gemacht werden. Dann ist es möglich, hier zu wohnen und weiter Gas zu fördern."

Sander van Rootselaar, NAM

Die Baptistenkirche von Middelstum war vom Einsturz bedroht. Bauunternehmer Klaas de Boer hat eine Methode entwickelt, bestehende Gebäude zu verstärken, damit sie besser für Erdbeben gewappnet sind. Zusammen mit Architekt Theo Elsing überprüft er heute das Ergebnis. Die großen Risse wurden geschlossen und mit Stahl verstärkt. Dabei hat de Boer einen besonderen Leim verwendet, der die Wände fester machen soll. Um das Gebäude zu stabilisieren, wurden die Seitenmauern stärker mit der Decke verbunden. Ob das alles wirklich geholfen hat, wird erst das nächste stärkere Beben zeigen.

"Es ist schon eine Katastrophe für die Menschen hier. Für mich auch. Ich wohne selbst in dem Gebiet in einem alten Gebäude. Auf der anderen Seite sorgt es natürlich für einen wirtschaftlichen Boom und das ist gut für den Arbeitsmarkt."

Klaas de Boer, Bauunternehmer

Gasförderung ja oder nein - diese Frage spaltet das ganze Land und auch die Regierungspartei VVD. Auf der Groninger Regionalkonferenz der rechtsliberalen Partei wird heftig darüber diskutiert.

"Es muss künftig sicher weniger Gas gefördert werden. Das geschieht auch schon. Wir drosseln die Förderung schrittweise. Und auf lange Sicht brauchen wir eine Energieversorgung ohne Gas. Das gilt vielleicht für ganz Europa. Dazu brauchen wir aber Zeit. Wir werden noch die nächsten 40 oder 50 Jahre auf das Gas aus Groningen angewiesen sein. Aber es muss weniger werden."

Arno Rutte, Parlamentsabgeordneter der VVD

Auch bei diesem Wohnhaus sind die Arbeiter von Klaas de Boer damit beschäftigt, Erdbebenschäden zu beseitigen. Die Rechnung für die Reparaturarbeiten übernimmt inzwischen das Gasunternehmen. Doch für den Wertverlust an der Häusern will die NAM nicht gerade stehen:

"Wir sind in diese Gegend wegen der Arbeit gezogen. Aber wir wollten immer zurück in den Süden des Landes, wenn mein Mann und ich in Rente gehen werden. Denn hier lebt man schon sehr abgelegen. Aber durch die Wertminderung wird das ein sehr großes Problem. Was der Verkauf hier bringen würde, reicht bei weitem nicht aus, um irgendwo anders im Land ein vergleichbares Haus zu kaufen. Das können wir vergessen."

Els Jansen, Hauseigentümerin

Mithilfe einer Bürgerinitiative versuchen die Betroffenen, sich zu wehren. Auf dem juristischen Weg verlangen sie Schadensersatz auch für den Wertverlust. Auf politischer Ebene kämpfen sie für einen Stopp der Gasförderung in der Region. Dabei haben sie hier die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Die Landesregierung in Den Haag aber will den Gashahn nicht komplett zudrehen.

Und so ist die Idylle in Groningen nach wie vor bedroht. Und auch die Munnekes müssen sich wohl noch lange Zeit mit ihren Stützbalken arrangieren und hoffen, dass beim nächsten Beben kein schlimmerer Schaden entsteht.


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