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Europa-Reportage Sehnsucht nach dem hohen Norden

Glücklich und angekommen – so beschreiben Auswanderer aus Deutschland ihr neues Leben in Norwegen. Auch wenn die Lebensentwürfe und Gründe für das Traumziel Norwegen unterschiedlich sind, Land und Leute scheinen magisch anzuziehen.

Von: Birgit Muth

Stand: 17.12.2017 | Archiv

Küstenlandschaft | Bild: BR

Eine Natur, die aus dem Vollen schöpft: Wasser, Wälder und eine schier unendliche Weite.

Dieser Geist von Freiheit weht in Südnorwegen auch an der engsten Stelle des Skagerrak. Hier auf einer Landzunge liegt Kristiansand, die Hauptstadt des sogenannten Südlands. Christian IV., König von Norwegen und Dänemark, gründete die Stadt und gab ihr seinen Namen.

Pittoreske Häuser und schmucke Ladengeschäfte – fast wie aus dem Bilderbuch.

Michael Schulte und Ragnhild Nilsen

Ein Traum ist auch für Michael Schulte in Erfüllung gegangen. Der Deutsche, gebürtig aus Bonn, lebt seit fast 20 Jahren hier. Die Sehnsucht nach dem Norden hatte er schon von Jugendtagen an; dann kam ein interessantes Jobangebot und die Frau seines Lebens. Michael Schulte, Professor für nordische Sprachen und Runenexperte, trifft im südnorwegischen Kristiansand auf Ragnhild Nilsen, Sängerin und Vorkämpferin für biologische Landwirtschaft. Das war vor 15 Jahren: Teutone erobert Wikingerin, beide geben sich das Jawort und Michael Schulte erklärt Norwegen fortan aus ganzem Herzen zur Wahlheimat.

"Ich sehe in Ragnhild – und das sehe ich auch in vielen Norwegerinnen und Norwegern – noch ein bisschen die Wikinger, so das Spontane, auch den Haudegen, auch die Bestimmtheit, auf jeden Fall die Spontaneität, manchmal auch ein bisschen oberflächlicher, aber auf eine Weise genauso effektiv."

Michael Schulte, Universität Agder

Als Wissenschaftler nach Norwegen

Und wenn es um seine Wissenschaft geht, dann ist der Professor an der Universität Agder des Öfteren auch an einem Samstag anzutreffen – so wie heute. Im Jahr 1994 als Hochschule gegründet, darf sie sich inzwischen „Universität“ nennen. Unter anderem zählt die norwegische Kronprinzessin Mette-Marit zu den Absolventen. In diesen heiligen Hallen lehrt der Professor mit dem Faible für den Norden nordische Sprachen und Sprachwissenschaft.

Nach seiner Doktorarbeit bekam er hier in Südnorwegen eine Stelle angeboten. Für den Wissenschaftler mit skandinavischer Schlagseite ein Geschenk des Himmels oder genau genommen: ein Anruf des DAAD, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes.
Wenn er sich auf die Spuren der alten Wikinger begibt, ist er ganz in seinem Element:

"Dann geht es jetzt los zum Odderness-Stein. Der Odderness-Runenstein aus der späten Wikingerzeit ist einer der wichtigsten Runensteine für Südnorwegen. 1030 bis 1050 datiert, ist eine der wunderbar lesbaren Runeninschriften und wie gesagt die Erste, zeitlich gesehen, die die punktierte Rune einführt."

Michael Schulte

Norwegen – Land der Berge, Täler, Wasserfälle und Fjorde. Welcher Gesang könnte besser die Verbundenheit mit der Natur und die Spiritualität der Landschaft ausdrücken als der traditionelle "Joik" – der Gesang der Sami – der Ureinwohner Norwegens – die damit einem Menschen, einem Tier, der Landschaft oder dem Göttlichen huldigen.

Natur ganz direkt

Natur weit und breit. In dem bevölkerungsarmen Land leben gerade mal 5,3 Millionen Einwohner auf 324.000 Quadratkilometern. Die Norweger können aus dem Vollen schöpfen, nicht nur was ihre Natur und den Fischreichtum ihres Meeres angeht. Zudem fließen die Öleinnahmen des Landes in einen staatlichen Fonds, der inzwischen die Eine-Billion-Dollar-Grenze durchbrochen hat. Umgerechnet bedeutet dies rund 193.000 Dollar pro Einwohner.

Als eine der am schnellsten wachsenden Städte Europas mit vielen Arbeitsmöglichkeiten und reichem Kulturangebot zieht Oslo nicht nur Auswanderer, sondern auch zahlreiche Touristen an, ob zu Lande oder zu Wasser:

Katherina Klaveness

Als Wahlnorwegerin Urlaubern Oslo nahebringen – Katherina Klaveness, gelernte Opernsängerin, verdingt sich nun seit Jahren als geprüfte Stadtführerin. Und während Katherina noch die nächsten zwei Stunden an Bord des Busses zu den Sehenswürdigkeiten Oslo unterwegs ist, treffen wir Nicole Njaa, ebenfalls Auswanderin, und gerade unterwegs in schulischer Mission:

"Ja, wir sind hier bei der DSO, der deutsch-norwegischen Schule in Oslo, wo meine drei Töchter die Klassen neun und elf besuchen. Hier steht auch ein Bild – da bin ich auch ganz stolz drauf. Das ist das Schulorchester, das sehr erfolgreich hier immer Aufführungen macht. Und besonders stolz bin ich natürlich, dass mein Mann da mitspielt und zwei der drei Töchter."

Nicole Njaa, Arbeitspsychologin

Engagement der Eltern

Eltern in Norwegen bringen sich ganz selbstverständlich in der Schule, bei Veranstaltungen und Freizeitaktivitäten mit ein:

"Das ist so: In Norwegen spricht man von Dugnad, also dass man Arbeit für die Gemeinschaft leistet, und das sieht man an der Schule auch: Sehr viele engagierte Eltern."

Nicole Njaa

In Norwegen wird dem Familienleben viel Platz eingeräumt. Diese Maßgabe bestimmt auch das Arbeitsleben. In den meisten Jobs geht man um 16 Uhr nach Hause. Wer aus wichtigen privaten Gründen zu Hause bleiben muss, dem wird ermöglicht, von zu Hause zu arbeiten. Arbeitnehmer genießen einen Vertrauensvorschuss.

Nicole Njaa und ihre älteste Tochter Anna beraten die beiden 14-jährigen Zwillingsschwestern Klara und Lisa bei der Auswahl der passenden Tracht zum Nationalfeiertag. Die Trachtenkleider für den Nationalfeiertag am 17. Mai werden von einer Schneiderin individuell angefertigt. Und das Herz ,schlägt es nun mehr deutsch oder mehr norwegisch?

Gudleik und Nicole Njaa

Kennengelernt haben sich die Psychologin und der Banker in Frankfurt. Vor 18 Jahren ging Nicole mit ihrem Mann Gudleik dann nach Norwegen.

"Eigentlich bin ich mehr für Deutschland zu haben als Nicole, weil es gibt ein paar Nachteile hier. Wir sind sehr konform, so A4. Alle sind ziemlich gleich und ich finde Deutschland viel liberaler – in vielerlei Beziehung. Und die deutschen Großstädte haben sich ungemein entwickelt in letzter Zeit. Und das finde ich auch faszinierend, wenn man nach Deutschland kommt. Sehr viele von unseren deutschen Freunden, die haben immer das Fernweh und die schätzen nicht – wie ich es finde – wie toll es in Deutschland ist. Man kann unglaublich gut essen, das kulturelle Angebot, die Natur: Also es gibt viele schöne Sachen in Deutschland. Man sucht immer was anderes. Ja, das finde ich faszinierend!"

Gudleik Njaa, Vermögensverwaltung

Sprung nach Norwegen

Jutta Martha Beiner

Ihren Traum von Norwegen hat sich auch Jutta Martha Beiner vor zehn Jahren erfüllt. Nach der Scheidung zog sie mit ihrem damals 13-jährigen Sohn Lukas hierher, nach der Devise: "Jetzt oder nie!" Sie wagte den Sprung, ohne einen festen Job zu haben. Inzwischen arbeitet die Journalistin und Buchautorin im Goethe-Institut in der Webredaktion.

"Das Schöne ist, dass ich nun seit 2015 wieder ein Stückchen meiner alten Heimat Deutschland zurückbekommen habe. Ich leite hier die Webredaktion des Goethe-Instituts und das macht super viel Spaß, hier mit deutscher und mit norwegischer Kultur zu arbeiten. Und auch den Austausch. Da geht es auch ganz viel um Europa. Ich wusste einfach, ich gehöre hierhin. Es war ein Gefühl, nach Hause zu kommen. Also ich kann auch nicht sagen, dass ich ungern in Deutschland gelebt habe. Das war so ein Gefühl, ich gehöre hierhin."

Jutta Martha Beiner, Journalistin

Familie und Sport

Von Oslo mit der Fähre übersetzen zur beschaulichen Halbinsel Nesodden – das ist der tägliche Heimweg von Katherina Klaveness nach getaner Arbeit als Fremdenführerin. Rund 30 Minuten dauert die Überfahrt. An der nördlichsten Spitze, im Ort Nesoddtangen lebt die Deutsche mit ihrem norwegischen Mann und den beiden Kindern, dem zehnjährigen Magnus und der zwölfjährigen Helene.

Katherina und ihr Mann Peter Klaveness

Katherina und ihr Mann Peter, beide ausgebildete Opernsänger, haben sich am Theater in Deutschland kennengelernt. Dann bekam Peter, auch studierter Physiker, ein gutes Jobangebot in Oslo.

Die Familie fährt gemeinsam zum Ski-Training vor Beginn der Skisaison, nichts für Zimperliche. Egal wie viel Minusgrade das Thermometer zeigt, Mädchen wie Jungs samt Eltern als Trainer treffen sich, auch an dunklen Winterabenden, zum Waldlauf.

Ob Wälder oder Wasser, das Leben in Norwegen wird von der Natur geprägt. Wenn die Kinder und Mama Katherina Peter von der Fähre abholen, mit der er nach Arbeitsende aus Oslo kommt, dann machen sie oft noch einen kleinen Abstecher zu ihrer Lieblingsbucht.


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