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Türkei Versinkende Stadt

Wie jeden Morgen streift Firat Argun durch den Garten seiner kleinen Pension "Has Bahce", "Der prachtvolle Garten". Seine Gäste bekommen Dorfidylle pur, inklusive selbstangebautem Obst und Gemüse – doch nicht mehr lange.

Von: Katharina Willinger

Stand: 23.09.2018 | Archiv

Hasankeyf | Bild: BR

Im Rahmen eines staatlichen Staudammprojekts wird hier demnächst alles untergehen.

"Sie sagen: ‚Den Staudamm bauen wir für euch! Das Wasser stauen wir für euch!‘ Aber dass sie damit unser ganzes Leben und unsere Kultur verändern, daran denken sie nicht. Aber das sorgt uns am meisten, dass wir unsere Kultur verlieren. Davor haben wir Angst."

Firat Argun, Pensionsbesitzer

Firat Argun

Firat Arguns Pension liegt im Städtchen Hasankeyf. Bereits vor mehr als 12.000 Jahren sollen sich hier, am Ufer des Tigris, Menschen niedergelassen haben – eines der ersten Siedlungsgebiete der Menschheit, das demnächst Geschichte sein wird.

Murat Tekin

Schon bald soll der Ilisu-Staudamm eröffnet werden - 60 Kilometer weiter südöstlich, geplant bereits in den 50er Jahren. Als Teil eines Entwicklungsprojekts für den kurdisch geprägten Südosten soll er hauptsächlich der Stromgewinnung dienen. Das Projekt ist von Beginn an hochumstritten: Seit vielen Jahren versuchen Bewohner wie Murat Tekin mit Bürgerinitiativen dagegen vorzugehen. Ihr Argument: eine Jahrtausende alte Kulturgeschichte wird einfach so vernichtet. Auch eine Klage beim Europäischen Gerichtshof haben sie eingereicht, doch bislang war alles erfolglos:

"Der Staat argumentiert immer mit der Energiegewinnung. Aber einen Ort wie Hasankeyf unter Wasser zu setzen, was soll das für ein Gewinn sein? Dieser Damm wird gerade mal für ein Prozent des gesamten Stromverbrauchs der Türkei sorgen."

Murat Tekin, Bürgerinitiative zum Erhalt Hasankeyfs

Dass die türkische Regierung das Projekt nicht stoppen will, hat einen anderen Hintergrund, glaubt Murat Tekin.

"Der Damm ist mit Energiepolitik allein nicht zu erklären. Er wird auch als Strategie gegen die Anrainerstaaten verwendet, sozusagen als eine Wassermacht."

Murat Tekin, Bürgerinitiative zum Erhalt Hasankeyfs

Das betrifft in erster Linie den Irak, der bereits jetzt immer wieder unter Dürren leidet. Und Ankara könnte dem Nachbarland künftig sprichwörtlich den Hahn zudrehen. In der Türkei verlieren durch das Staudammprojekt etwa 50.000 Menschen ihr zu Hause. Der Staat lässt für einige von ihnen eine neue Stadt bauen. Auch einige der Denkmäler werden umgesiedelt.

Pensionsbesitzer Firat Argun ist auf dem Weg in die neue Stadt. Er hat eines der Grundstücke gekauft, um hier sein neues Hotel zu eröffnen. Etwa 30.000 Euro musste er an den Staat zahlen. Die ursprünglichen Eigentümer wurden vor wenigen Jahren gegen eine geringe Summe enteignet. Ein Unterschied wie Himmel und Hölle sei das neue Grundstück im Vergleich zum seinem Jetzigen, sagt Firat Argun - überall nur Kalkstein:

"Ich werde hier alles umgraben müssen. Ich werde Erde von drüben mitnehmen, nur so kann hier überhaupt etwas wachsen, nach dem Blumentopf-Prinzip."

Firat Argun, Pensionsbesitzer

Für seinen "Prachtvollen Garten" im alten Hasankeyf hat Firat Argun eine Entschädigung erhalten, doch die sei bei weitem nicht ausreichend, erzählt er. Auch weil das neue Hotel gewisse bautechnische Vorgaben und Standards erfüllen muss, die ihm der Staat vorgibt.

Murat Ayhan

Bei null anfangen müssen bald auch die Händler in der Altstadt. Hasankeyf ist ein beliebtes Ausflugsziel für Tagestouristen. Händler wie Murat Ayhan glauben, mit der Flutung des historischen Ortes wird ihre berufliche Existenz vernichtet werden:

"Die Entschädigung, die man uns gegeben hat, ist viel zu wenig. In der neuen Stadt können wir neue Läden kaufen, sagen sie. Die sollen wir dann in Raten abbezahlen. Aber wie soll das gehen? Wir haben dort ja überhaupt keine Arbeit."

Murat Ayhan, Händler

Im Frühjahr protestierten die Händler gegen eine Zwangsräumung demonstrativ mit der türkischen Flagge in der Hand, um von der Regierung nicht als Terroristen oder Vaterlandsverräter abgestempelt zu werden. Die Polizei löste den Protest mit Wasserwerfern und Tränengas auf.

Am schlimmsten sei aber die Ungewissheit darüber, wann die Flutung beginnen soll, sagt Firat Argun. Schon seit Jahren sage der Staat, bald ginge es los - das sei zermürbend:

"Wir wissen, dass dieser Tag irgendwann kommen wird. Obwohl jetzt sogar die Häuser in der neuen Stadt fertig sind und bald Lose gezogen werden, wer wo wohnen wird, habe ich immer noch die Hoffnung, dass Hasankeyf doch nicht untergehen wird. Und mit dieser Hoffnung lebe ich."

Firat Argun, Pensionsbesitzer

"Diese Schätze zeigen, dass wir existiert haben", lautet ein altes arabisches Gedicht aus der Region. "Wenn sie verloren gehen, schwindet auch die Erinnerung an ihre Schöpfer." Hasankeyfs Bewohner fürchten, dass sich diese Weisheit bewahrheitet.


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