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Türkei Vor dem Referendum

Videobotschaft für die Nein-Kampagne vor großer Kulisse: Für seine Mission macht Tuna Beklevic auf seinem Weg durch Anatolien immer wieder Halt, diesmal im Küre-Nationalpark. Der 40-Jährige will auf keinen Fall, dass Staatspräsident Erdogan noch mehr Macht bekommt.

Von: Oliver Mayer-Rüth

Stand: 09.04.2017 | Archiv

Aufzeichnung einer Videobotschaft | Bild: BR

Tuna Beklevic

Erdogan fordert die Türken auf, beim Referendum am 16. April mit Ja für eine Verfassungsänderung zu seinen Gunsten zu stimmen. Deshalb hat Beklevic die Nein-Partei ins Leben gerufen.

"Ja- und Nein-Sager liegen in etwa gleich auf. Drei bis vier Prozent Unentschiedene bleiben übrig. Wir versuchen es erst gar nicht, die knapp 50 Prozent Ja-Sager anzusprechen, sondern die drei bis vier Prozent Unentschiedenen. Das können wir auch schaffen. Deshalb führen wir unsere Kampagne ohne Unterbrechung fort und deshalb haben wir bisher 55 Provinzen besucht."

Tuna Beklevic

Beklevic fährt durch das zentraltürkische Anatolien von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf. Er schüttelt viele Hände, will überzeugen. Dabei hilft ihm, dass er selbst einmal glühender Erdogan-Anhänger und Mitglied der von Erdogan gegründeten AKP-Partei war. Viele Türken stimmen ihm zu bei seinem Nein zur Verfassungsänderung. Doch manchmal entstehen hitzige Diskussionen: Dieser Mann will mit Ja stimmen, weil Erdogan viel Gutes für die Türkei getan habe. Sein Kollege widerspricht ihm deutlich. Beklevic versucht zu beruhigen. Man müsse sich bei all dem Streit nach dem Referendum noch in die Augen sehen können, sagt er. Erdogan habe das Land völlig polarisiert. Das macht ihm Sorgen.

"Er hat solche tiefen Gräben geschaffen, dass keine wirkliche Beziehung mehr möglich ist. Ich bin auch für ein Nein, damit am Ende ein Land übrig bleibt, dass man wieder zusammenbringen kann."

Tuna Beklevic

Außerdem führe die Verfassungsänderung zu einer Ein-Mann-Herrschaft:

"Wer das Land an Tayyip Erdogan übergeben will, stimmt mit Ja. Wir sagen Nein, weil wir nur so das parlamentarische System erhalten können."

Tuna Beklevic

Doch wer ist eigentlich wir? Wir, das sind vor allem Beklevics Anhänger im Internet. Ein Pressegespräch in Bartin wird live auf Facebook übertragen. Beklevic hat 110.000 Follower. Dem Pressegespräch folgen insgesamt 8000 Zuschauer. Der Politaktivist hat die amtliche Gründung seiner Partei Anfang Februar beim Innenministerium beantragt. Doch der Antrag wird bis heute verschleppt. Das ist nicht der einzige Stein, der ihm in den Weg gelegt wird. Er stehe unter ständiger Beobachtung, sagt Beklevic. Wohin er auch gehe, stets seien ihm dubiose Begleiter in schwarzen Lederjacken auf den Versen.

"Wir wollten in der Stadt Yozgat in einem Hotel eine Pressekonferenz abhalten. In letzter Minute hat der Hotelbesitzer Nein gesagt. Sämtliche Kaffees in Yozgat haben uns abgelehnt. Dann mussten wir die Pressekonferenz vor einem Friedhof veranstalten."

Tuna Beklevic

Beklevic in der Kleinstadt Pinarbashe: Besuch im Teehaus. Hier sitzen die Dorfältesten, spielen Karten und sprechen über Politik. Ein besonders schwieriger Termin, denn die Stadt gilt als Hochburg der islamisch-konservativen AKP und der nationalistischen MHP.

Beklevic hält eine Ansprache: "Wir denken, dass ein Ja nur für eine Person gut ist, aber ein Nein für die gesamte Türkei."

Am Tisch sitzen vor allem stramme Nationalisten. Die Spitze der nationalistischen MHP unterstützt Erdogans Ja-Kampagne. Doch an der Basis gibt es massiven Widerstand. Die Männer ärgert vor allem, dass der türkische Staatspräsident Nein-Sager ständig in die Nähe von Terrororganisationen wie die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK rückt.

"Ich bin 84 Jahre alt, wie kann ich ein Terrorist sein? Wer dagegen ist, soll ein Terrorist sein. Das geht doch nicht."

Ein Mann

Einem AKP-Unterstützter wird die Kritik an Erdogan dann allerdings zu viel. Er steht auf und geht unter Protest. Der Abschied von den anderen fällt freundlicher aus.

Erdogans AKP würde vor dem Referendum künstliche Krisen schaffen, wie etwa mit Deutschland oder den Niederlanden, erklärt Beklevic beim nächsten Pressegespräch. Das komme jedoch beim Wähler nicht mehr an, glaubt er:

"Die AKP ist zur Krisenfabrik geworden: Die versuchen, ununterbrochen Krisen zu inszenieren. Und kurz vor dem Referendum wird das noch schlimmer."

Tuna Beklevic

Beklevic hält dagegen. Und er ist nicht der einzige im Land. Immer mehr Türken engagieren sich in Nein-Kampagnen. Eine Entwicklung, die die Regierung so nicht vorausgesehen hat.


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