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Serbien Eiskalte Enteignung

Dieser Bau in Belgrad hat höchste Priorität. Das Ziel: Die Stadt soll ein neues Gesicht bekommen.

Von: Darko Jakovljevic

Stand: 02.03.2017 | Archiv

Neubauten in Belgrad | Bild: BR

"Endlich gibt es wieder Arbeit für uns. Und es wird so fantastisch aussehen, unser künftiges Belgrad."

Ein Arbeiter

Aleksandar Vucic

Die Balkanmetropole von morgen – so die Pläne des arabischen Investors. Und Serbiens Ministerpräsident Vucic:

"Gebaut wird mittendrin ein 200 Meter hoher Turm, unser neues Wahrzeichen. In dieser Gegend von Belgrad krochen vorher Mäuse, Ratten herum, ja sogar Schlangen. Ab jetzt ist hier alles sauber."

Aleksandar Vucic, Ministerpräsident Serbien

Sauber, aber für das Dubai-artige Prestigeprojekt gab es keine öffentliche Ausschreibung. Das überrascht in Serbien erst einmal kaum jemanden, auch nicht Vladimir Markovic. Doch dann machte er eine böse Erfahrung: 25. April 2016 – gegen zwei Uhr Früh schiebt sich ein Bagger ins Bild der Überwachungskamera, zusammen mit maskierten Personen, laut Augenzeugen, um dieses Gelände im Viertel Savamala niederzureißen. Auch seine Gewerbehallen wurden abgerissen. Hier stand seine Transportfirma. Nichts ist übriggeblieben. Auch nicht die Firmen anderer ansässiger Gewerbetreibender. Zum Glück war niemand in den Gebäuden, das Abrisskommando kam ohne Vorwarnung.

"Ich bin sofort zur Polizei. Dort aber erfuhr ich, es gibt eine Anweisung und zwar meine Anzeige erst gar nicht aufzunehmen. Unfassbar war das für mich."

Vladimir Markovic

Heißt: Bürgerrechte in Serbien können auf einmal aufgehoben werden, muss Sasa Jankovic feststellen. Er ist Kandidat für die Präsidentschaftswahl im April. Bis vor kurzem war er Ombudsmann. In dieser Eigenschaft bekam er Einsicht in die Gesprächsprotokolle der Polizei, und die beweisen: In der Abrissnacht riefen mehrere Anwohner den Notruf.

"Mir blieb nichts anderes übrig, als einen Bericht zu erstellen, dass die Polizei die Bürger im Stich gelassen hat. Die Polizei ließ also die maskierten Personen machen, was sie wollten."

Sasa Jankovic, ehemaliger Ombudsmann, Serbien

Sandra Petrusic

Wer sind die Maskierten? Wer schickte sie los? Und wer befahl, die Polizei solle alles ignorieren. Sandra Petrusic vom regierungskritischen Wochenmagazin Nin sucht Antworten, vor allem vom Innenminister Stefanovic. Die Redaktion entschloss sich, seine Rolle in diesem Skandal zu hinterfragen, mit einer Titelgeschichte:

"Nie gab er uns ein Interview. Nie spricht er über Hintergründe."

Sandra Petrusic, Journalistin NIN

Als der Artikel erschien, fühlte sich der Minister beleidigt, und erstattete Anzeige gegen die Journalistin. Dann: Das heftige Signal an die kritische Presse – der Minister bekommt Recht. Seine Anhänger jubeln, hier wenige Minuten nach dem Urteil. Es ist der einzige Prozess bisher, in dieser Affäre gegen eine kritische Journalistin, nicht aber gegen Verantwortliche des Skandals. 2400 Euro muss der Verlag zahlen, Schmerzensgeld für den Minister. Sandra Petrusic will in Berufung gehen.

Vladimir Markovic

Und die Geschädigten des Abrisses wie Vladimir Markovic wollen nicht aufgeben. Immerhin hat er die vollausgestatten Räume seiner Transportfirma verloren. Und das will er sich nicht gefallen lassen und hofft, dass ein Staatsanwalt doch noch Anklage erhebt – gegen die Verantwortlichen. Doch das ist in diesem Fall bisweilen aussichtslos. Inzwischen glauben immer mehr Bürger, zu groß sei der politische Druck geworden, auf die Justiz:

"Ich mache mir große Sorgen: In welche Richtung entwickelt sich unser Land? Was heißt das für die Zukunft, wenn so etwas, was mir passiert ist, ungestraft bleibt?"

Vladimir Markovic

Einen soliden Rechtsstaat will er. Doch Priorität haben in Serbien derzeit ganz andere Anstrengungen.
Wieder Arbeitsbeginn auf der wichtigsten Baustelle des Landes: für den künftigen Hauch von Dubai, mitten auf dem Balkan, und wenn es sein muss, auch auf Kosten von grundlegenden Bürgerrechten.


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