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Italien Zittern vor der Zinswende

Ein Weg, um sich den Problemen der italienischen Wirtschaft zu nähern, führt per Boot durch die Lagune von Venedig. es ist zugleich ein Weg zur Werkstatt von Agostino Amadi. Seit dem 18. Jahrhundert baut seine Familie hier in Burano kleine Fischer- und Transportboote, mittlerweile auch aus Fiberglas, früher nur aus Holz.

Von: Helge Roefer

Stand: 17.09.2017 | Archiv

Die italienische und europäische Flagge | Bild: BR

Agostino Amadi in seiner Werkstatt

Agostino Amadi: "Das ist alles handgemacht: das gehört hier hin. Da kommt das Ruder rein…"

Agostino Amadi

Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise vor bald zehn Jahren läuft es nicht mehr so gut, wie meistens in den Jahrhunderten zuvor. Auch da gab es immer mal wieder Schwankungen in der Produktion. Dieses Mal ist es besonders hart: "Seit Beginn der Krise bleiben die Aufträge weg. Die Leute nutzen ihre alten Boote,  so lange es geht. Sie reparieren lieber, als neu zu kaufen. Außerdem haben die Banken uns kleinen Unternehmern kaum Kredite gewährt – eine ökonomische Katastrophe."

Dino Pesole

Was Bootsbauer Amadi erzählt, können viele kleinere und mittlere Unternehmer berichten. Die Europäische Zentralbank, kurz EZB, pumpt Milliarden an Euro in den Markt, um strauchelnde Wirtschaften, wie die italienische, in Gang zu halten, Banken zur günstigen Kreditvergabe zu drängen und damit Investitionen anzuregen. Profiteure sind bisher allerdings eher selten die Mittelständler, erläutert Dino Pesole von der größten Wirtschaftszeitung des Landes: "Die italienischen Banken mussten erst mal selbst ihre Bilanzen in Ordnung bringen, um die EZB-Kriterien zu erfüllen. Bei kleinen und mittleren Unternehmen sind die günstigen Kredite daher kaum oder gar nicht angekommen. Neben oder nach der expansiven Finanzpolitik muss es jetzt eine Wirtschaftspolitik geben, die wirklich das Wachstum fördert."

Erste Erfolge der EZB-Geldpolitik zeigen sich aber: Die Stimmung in der Industrie und im Einzelhandel ist so gut wie seit Jahren nicht. Das Konsumklima hellt auf, die italienische Wirtschaft dürfte erstmals wieder um bis zu 1,4 Prozent wachsen. Die italienische Politik – fast berauscht von der Droge des billigen Geldes: auf Twitter meldet Premierminister Gentiloni: die guten Wirtschaftsdaten werden das Vertrauen durch die Märkte zurückbringen.

Dino Pesole ist vorsichtig: "Sicherlich hatte die Politik der EZB einen ersten positiven Effekt auf die öffentlichen Haushalte; wir sprechen hier von 20 Milliarden Euro weniger Zinslast auf unsere Schulden. Der Effekt auf die Realwirtschaft, muss sich erst noch zeigen."

Sitzungssaal in der EZB

Italiens Schuldenberg wuchs indes weiter, auf 2,25 Billionen Euro. Die Schuldenlast liegt bei 133 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Jede Zinssteigerung durch die EZB würde für den Staatshaushalt einen weiteren enormen Verlust bedeuten, und dieses Geld fehlt für Investitionen, Wachstum und Beschäftigung.

Dino Pesole: "Wenn es jetzt keine vernünftige 'Anschlusspolitik' gibt, droht Italien wieder zu straucheln und in den Fokus der Finanzmärkte zu geraten. Und es stimmt: gerade wegen der EZB-Unterstützung dachten viele der italienischen Politiker: 'Wir brauchen unsere Hausaufgaben nicht zu machen, es läuft doch…'"

Aber dass es eben bei weitem nicht überall einfach so läuft, zeigen Beispiele wie das von Agostino Amadi aus Burano. Er entwirft und konstruiert die Boote, er bildet aus, beschäftigt und bezahlt seine acht Mitarbeiter. Im Moment kommt er nicht von der Stelle, aber gerade so über die Runden: "Wir haben viel gearbeitet und gespart zuletzt, legen all unsere Erfahrung in die Waagschale. Glücklicherweise müssen wir keine Miete zahlen. Ganz wichtig ist: ich habe nie jemanden entlassen. Soweit ich mich erinnern kann, musste nicht mal jemand für einen Tag zuhause bleiben."

Bis jetzt nicht – aber falls die Zinsen und damit seine Ausgaben steigen, die Nachfrage aber nicht, kann er für nichts garantieren… und dass sich in der italienischen Politik etwas grundlegend bessert, ist eher unsicher. Bald herrscht mal wieder Wahlkampf. Dass gerade dann die notwendigen Reformen angepackt werden, glaubt eigentlich niemand: nicht die Reform des Wahlrechts, aufgrund dessen es kaum mehr stabile Regierungen gibt. Nicht die Lockerung des Arbeitsrechts, und erst recht nicht: der Abbau der enormen Schulden.

Wann und ob überhaupt er sein kleines Unternehmen wieder in ruhiges Fahrwasser bekommt, weiß der Bootsbauer Agostino Amadi nicht. Aber wie viele Italiener hält auch er am Optimismus fest: die Finanz- und Wirtschaftskrise sei ja schon überwunden oder zumindest bald.


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