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Frankreich Der Markt der Kulturen

Mulhouse: Die Ill, von der das Elsass angeblich seinen Namen hat, durchzieht die Stadt. Auf dem Illkanal liegt der größte Markt Ostfrankreichs. Rund 350 feste und fahrende Händler bieten hier ihre Waren an.

Von: Nikolaus Wiesner

Stand: 30.07.2017 | Archiv

Orientalische Gewürze | Bild: BR

Ein Rausch aus Farben, Geschmäckern und Gerüchen: In der Markthalle und davor gibt es fast nichts, was es nicht gibt. Das gilt auch für die Menschen und Kulturen, die hier zusammenkommen. Und so manche von ihnen haben ihre ganz eigene und nicht immer einfache Geschichte:

"Meine Familie ist schon vor langer Zeit nach Frankreich gekommen, ich erst etwas später. Wir Jüngeren mussten den Kambodschakrieg durchstehen und konnten uns erst dann auf den Weg machen."

Tharath Simoung

Der Marché Couvert von Mulhouse macht jeden zum Fremden und Einheimischen gleichzeitig: Waren und Handel lassen unterschiedliche Kultur und Herkunft in den Hintergrund treten.

"Für mich ist das ein bisschen wie in Marokko: Es ist hier nicht wie in den Riesensupermärkten. Und das zieht die Menschen an. Frische Waren machen schließlich auch Lust, sich umzuschauen, anzufassen, zu probieren."

Jaouad Daoudi

Gansire Diakite

Unterschiedlichste Menschen auf wenigen Metern in kürzester Zeit: Gansire Diakite zelebriert mit ihrem Food Truck die senegalesische Küche. Und sie schätzt das Interesse an ihren Bemühungen:

"Hier gibt es Leute aus allen Ecken der Welt. Ich verstehe mich mit ihnen, wirklich, auch wenn viele von der afrikanischen Küche noch nicht viel wissen. Am Anfang gab's oft Fragen wie: 'Ist das wirklich senegalesisch, afrikanisch?' Darauf ich: 'Natürlich. Ich komme schließlich aus dem Senegal.' Ich möchte gerne vier oder fünf solche Food Trucks haben, und ein Restaurant."

Gansire Diakite

Unabhängig von seiner Kultur legt hier jeder Wert auf die Qualität der Waren. Könnte der Markt gar als Vorbild für das Zusammenleben verschiedener Kulturen dienen? So weit geht Mustafa Tounsi, Bio-Landwirt und Sohn marokkanischer Einwanderer, nicht. Aber:

"Ich habe jüdische, christliche und muslimische Kunden, wunderbare Kunden! Wir sprechen über dies und jenes, und ich habe noch nie Probleme gehabt."

Mustafa Tounsi

Trotzdem bleibt nach Tounsis Ansicht bezüglich Integration viel zu tun, vor allem hinsichtlich derjenigen, die nicht miteinander reden oder reden wollen:

"Jede Gemeinschaft sollte sich mehr anstrengen, um die andere kennenzulernen. Und man muss die Regeln einhalten, vor allem die des Landes, in dem man lebt."

Mustafa Tounsi

Apropos Regeln: Wer einen Stand hier am Markt haben möchte, muss neben einer Bewerbung bei der Stadt natürlich zunächst das Gespräch mit der Marktleitung suchen. Die gibt anschließend Empfehlungen ab, bevor die Stadtverwaltung meist auf Basis dieser Empfehlungen entscheidet. Einer, der als fahrender Händler regelmäßig nach Mulhouse kommt, ist Bugar Plawci. Der Kosovare war Gastronom, bevor ihn der jugoslawische Bürgerkrieg aus dem Land trieb:

"Das hier ist ein Markt mit Regeln, ein sauberer Markt. Die Leute respektieren einander. Die Marktleitung ist freundlich, sie kümmert sich um uns und versucht zu helfen, wo sie kann."

Bugar Plawci

Plawci kommt aus einem konfliktbeladenen Land und weiß, wovon er spricht:

"Überall gibt es Chaos und Probleme. Hier sind wir frei. Im Gegensatz zu anderen Märkten sind hier keine Polizisten oder sogar das Militär unterwegs. Das gibt es hier nicht."

Bugar Plawci

Marc Wurtz

In Zeiten von Krisen und Terror klingt das fast zu schön, um wahr zu sein. Marktdirektor Marc Wurtz bespricht sich fast täglich mit seinem Manager David Ambrosi:

"Natürlich gibt es hier wie überall Reibereien, meistens zwischen zwei Menschen, die keine Lust haben, sich zu verstehen. Das passiert überall, völlig unabhängig von Alter, Religion oder Sprache. Wenn man sich prügeln will, prügelt man sich. Aber hier ist das sehr selten."

Marc Wurtz

Und wie ist es nach der Wahl Emmanuel Macrons seiner Meinung nach um die französische Gesellschaft bestellt?

"Ich glaube, es gibt nicht wenige Menschen, die in den letzten Jahren vergessen worden sind. Wenn nur ein Teil der Gesellschaft weiterkommt, bringt das immer Rückschläge für die Gesellschaft als Ganzes. Vielleicht ist Macron mehrheitsfähiger und weniger polarisierend als andere. Drücken wir die Daumen, dass es ihm gelingt, Verbindungen zwischen Menschen und Gesellschaftsschichten wieder herzustellen, die es früher gab. Es ist wie die Arbeit an einem Küchenrezept, an einem, das nie fertig ist. Auf dem Markt hier ist es genauso."

Marc Wurtz

Es bleibt viel zu tun, aber dass der Wunsch nach Lebensqualität und lebenswertem Miteinander die meisten Menschen verbindet, davon kann man sich am Markt von Mulhouse ein Bild machen.


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