BR Fernsehen - EUROBLICK


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Europa-Reportage Ein Wochenende im Zweiten Weltkrieg

In vielen Ländern Europas boomen Weltkriegsfestivals. Dort treffen sich Menschen, um Krieg nachzustellen und Geschichte hautnah nachzuerleben. Sie tragen originalgetreue Uniformen, auch die des NS-Regimes: "Living History" nennt sich das.

Von: Sophie von der Tann, Ann-Kathrin Wetter, Helene Reiner

Stand: 29.07.2018 | Archiv

Das Bild eines Panzerwagens auf einem Computerbildschirm | Bild: BR

Samstagvormittag, auf dem Land bei Birmingham. Unser Ziel: ein "Wartime Weekend". Hier wird der Zweite Weltkrieg nachgestellt – inklusive SS-Darstellern. Für solche Veranstaltungen eine Drehgenehmigung zu kriegen ist nicht leicht. Wir haben sie. Und doch wird das Wochenende nicht so laufen, wie wir hoffen.

Treffen mit der SS

Martin

Wir sind mit einem SS-Darsteller verabredet. Er leitet die Gruppe KSK, Kampfgruppe Stahlkrieger. Sie stellen Hitlers Leibwächter nach. Zu vielen Kriegsfestivals dürfen Filmteams nicht mehr – weil sie zu negativ berichtet haben. Ich will die Menschen hier kennenlernen, vor allem den SS-Darsteller Martin. Das ist also Martin, der Engländer, der hier einen deutschen SS-Kommandanten spielt. An vielen Wochenenden im Jahr ist er an solchen Festivals. Unter der Woche arbeitet er in einer Firma, die Bagger vermietet:

"Mit der Uniform fühlt man sich automatisch so …, wie ein cooler Typ. Die SS war eine Elitetruppe, top trainiert, gebildet. Als Elitetruppe fühlt man sich einfach gut, besser, stolzer. Aber wir sind komplett unpolitisch, keine extremen rechten Ansichten. Und was im Krieg passiert ist, das finden wir nicht gut."

Martin

Zu Martins Truppe gehört auch ein Deutscher, der in England lebt. Er kommt später und will bisher nicht mit mir sprechen. Vielleicht kann ich den Deutschen doch noch überzeugen, mit mir zu sprechen. Schließlich ist es hier in England legal, NS-Symbole zu tragen. In Deutschland dagegen sind sie gesetzlich verboten als verfassungswidrige Kennzeichen; sie öffentlich zu zeigen, so wie hier – strafbar.

Eine Schlacht mit 10.000 Besuchern

Andreas

Wir schauen uns auf dem Gelände um. Etwa 10.000 Besucher kommen hier jedes Jahr hin. Hier auf dem Feld ist morgen die große Schlacht. Wo jetzt noch jeder Panzer fahren darf, geht das morgen nur noch in authentischer Uniform. Auf einmal ist der Deutsche da, der eigentlich nicht mit mir sprechen will. Und dann spricht er doch vor der Kamera, will aber wissen, warum wir hier sind., weil es das so in Deutschland nicht gibt.

"Die Völkerschlacht in Leipzig ist auch ein großes Re-enactment. Zum einen ist das recht gegenwärtige Geschichte, eine Zeit, die uns alle noch bisschen beeinflusst; die Teilung Deutschlands, Mauerfall, und so weiter. Und es ist eine Zeit von großer militärischer….wie heißt jetzt das Wort….Erfolgsgeschichte. Man muss es so sehen, wenn ich zum Beispiel VW Golf-Fan bin: Ich habe einen VW Golf und den polier ich schön, fahr ihn rum und jemand sagt mir den ganzen Tag: 'Du, mit dem VW Golf wurden in den letzten zehn Jahren 50.000 Leute überfahren.' Das ist mir eigentlich relativ wurst. Das ist nicht, warum wir hier sind. Wir sind halt hier, um das ganze Bild zu komplettieren: Du hast englische Einheiten, du hast amerikanische, du hast die Wehrmacht, du hast die Luftwaffe und du hast die SS."

Andreas

Ein polnischer Darsteller schaltet sich ein:

"Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg angefangen!"

Pole

"Wir haben nicht angefangen. Das war ein lokaler Konflikt mit Polen. Ist das nicht toll, warum geht sowas nicht in Deutschland. Und hier muss ich nicht ins Gefängnis dafür."

Andreas

"Also, wer hat den Krieg angefangen?"

Reporterin

"Deutschland!"

Andreas und der Pole gleichzeitig

Jetzt machen sich aber erst mal alle für den Höhepunkt heute fertig – die Vierziger Jahre Party im Bierzelt. Auch Martin muss sich ranhalten. Ich bin noch keine acht Stunden hier und schon mitten drin. Die beiden sind nette Kerle; wäre das hier irgendein Festival, kein Problem. Aber da sind einfach diese SS-Uniformen. Heute Abend feiern alle zusammen – egal zu welcher Seite sie gehören. Morgen "kämpfen" sie, und zwar gegeneinander.

Der Tag der Schlacht

Sonntagmorgen kurz nach acht Uhr, Tag der großen Schlacht. Eigentlich wollte Martin schon wach sein. So richtig frisch wirkt er noch nicht. Aber der Höhepunkt des Festivals rückt immer näher. Martin muss sich jetzt fertig machen. Auch für mich wäre es jetzt so weit, eine von Martins Uniformen anzuziehen. Aber ich habe mich dazu entschieden, keine SS-Uniform zu tragen. Rechtlich dürfte ich das zwar hier in England. Aber für mich ist das nicht einfach nur ein Kleidungsstück. Ich verbinde die SS-Uniformen mit KZ-Aufsehern, Gaskammern, Massenmord. Während ich hier suche, beschwert sich ein Verkäufer bei der Veranstalterin. Die Veranstalterin sagt uns: "Ihr habt nur die SS im Visier, das finde ich nicht gut. Darum geht’s uns hier nicht. Uns geht’s um Living History. Ich organisiere das hier seit elf Jahren und ihr kotzt mich echt an und meine Verkäufer auch. Ich will euer Filmmaterial und dass ihr vom Gelände verschwindet."

Ich darf nicht mehr an der Schlacht teilnehmen und wir sollen sogar ganz rausgeschmissen werden! Ich bitte die Veranstalterin nochmal mit Martin zu reden und warte auf die endgültige Entscheidung.

Zurück im SS-Camp. Martin müsste inzwischen wissen, ob wir bleiben dürfen: Und wir dürfen bleiben und das Filmmaterial will uns keiner wegnehmen. Aber Martin ist auf einmal distanziert.

Für Martin und die anderen geht es jetzt zur Vorbesprechung für die Schlacht. Aber da dürfen wir jetzt nicht mehr direkt dabei sein. Hinter diesem Zaun erfahren sie, dass sie gleich eine Schlacht bei Hameln, 1945, nachspielen. Eine Schlacht, die es so wirklich gegeben hat, erfahre ich.

Ich muss außerhalb des Schlachtfeldes bleiben, weiß nicht, wieviel ich von der Schlacht mitbekomme. Die Veranstalterin traut mir und meinem Team nicht mehr. Ich habe den Eindruck, es geht hier vor allem um Schlachtverläufe und Kampfstrategien. Ein Spektakel, aber mehr nicht. Wir haben den Überblick verloren und wollen noch mal von einer anderen Seite drehen, bevor alles vorbei ist: Plötzlich sehe ich, Martin fällt. Und die Schlacht ist zu Ende. Aber zufriedene Kämpfer sehen anders aus:

"Alle haben nur gelacht, weil die Briten geschossen haben, bevor sie sollten. Ein Auto war kaputt und statt abzuwarten, haben sie einfach geschossen. Und die Mechaniker haben weitergewerkelt. Das sah einfach unrealistisch aus."

Andreas

"Das Publikum hat nichts gemerkt. Die hatten Spaß, wir haben eine kleine Show für die gemacht. Die hatten einen schönen Tag, haben ein paar Militärfahrzeuge gesehen, die Camps, kämpfende Soldaten bei der Schlacht – wie ein kleiner Kriegsfilm, das mögen die."

Martin

Jetzt heißt es zurück ins normale Alltagsleben. Ich habe Menschen kennengelernt wie zum Beispiel Martin, durch und durch sympathisch. Und ich habe gesehen, hier kann man was über den Zweiten Weltkrieg lernen, aber vor allem über Waffentechnik und Schlachtenführung. Die kritische, historische Einordnung, die hat mir gefehlt. So hat Krieg hier für mich wie ein harmloses Spiel gewirkt.


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