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Estland Gefahren aus dem Netz

Tallinns Hafen, ein baltisches IT-Vorzeigeprojekt. Elektronischer Check-in für Lastwagen und Güter. Kürzere Wartezeiten durch smarte Lösungen. Der Hafen – nur ein Beispiel für ein Land, das seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 auf digitale Lösungen setzt.

Von: Michael Olmer

Stand: 01.07.2018 | Archiv

Der Hafen von Tallin | Bild: BR

Mit schnellem und freiem Internetzugang ist inzwischen eine ganze Generation herangewachsen, die online wählen geht. Fast sämtliche Verwaltungsdienste des Staates sind digital zugänglich – schnell und unkompliziert.

Eneken Tikk

Wir treffen Cyberrechtsexpertin Eneken Tikk. Cybersicherheit ist für sie wesentlich, um Estlands umfassende digitale Infrastruktur zu schützen, aber kein Selbstzweck:

"Unsere größte Herausforderung ist es zu verstehen, dass Cybersicherheit noch nicht das Ziel ist, sondern ein Mittel, und zu sehen, was wir damit erreichen wollen."

Eneken Tikk, Cyberrechtsexpertin

Tallinn im April 2007: Randale, als ein russisches Kriegerdenkmal und ein Gräberfeld aus dem Zentrum Tallinns entfernt werden – Denkmal des Sieges über das Naziregime aus russischer Sicht, aus estnischer Sicht auch Zeichen jahrzehntelanger Besatzung nach Kriegsende. Es kommt zu Cyberattacken über weltweit verteilte Botnetze. Zu den Zielen gehören auch Medien und Regierungswebseiten. Das Onlinebanking liegt einen Moment lahm. Thesen und Bekenntnisse zu russischen Verbindungen sind bis heute umstritten; doch die Botschaft von 2007 ist eindeutig: das IT-Land ist nicht unverletzlich.

"Ich denke, das machte die 2007er-Attacken so bedeutsam, dass dieser Lebensstil, dieser politische Weg verwundbar ist und einem potentiell auch genommen werden kann."

Eneken Tikk, Cyberrechtsexpertin

Heute finden in Tallinn jährlich Übungen wie diese statt, organisiert vom 2008 gegründeten Nato-Cyber-Kompetenzzentrum. Die Krise von 2007 wurde in Estland durch ein interdisziplinäres Team gemanagt: Darum soll es auch bei diesen Trainings gehen.

Wir besuchen ein Unternehmen, das die Software solcher Übungen für Cybersicherheit entwickelt: Klaid Mägi arbeitete bei den Cyberattacken von 2007 für einen Internetprovider, war dann Chef des staatlichen Notfallteams für Cybersicherheit:

"Die Frage ist nicht: Wird man von einem Cyberangriff getroffen? Die Frage ist, wann man von ihm getroffen wird. Um Cybersicherheit kümmert man sich nicht einmal, die Gefährdungslage, die Bedrohungslandschaft ändern sich jeden Tag."

Klaid Mägi, Entwickler für Cyberstrategien

Neben größeren Krisen, wie sie vor Kurzem und besonders im letzten Jahr mit einer Schwachstelle beim digitalen Personalausweis auftraten, beschäftigen den Experten konkrete Verhaltensweisen, auch Entscheidungen wie beim Kauf einer billigen Sicherheitskamera:

"Sie kaufen dann eine solche Kamera, und es ist nicht möglich, das System upzudaten, das Passwort zu ändern und so weiter. Sie bringen so ein Gerät an, um Ihr Zuhause zu schützen, und am Ende des Tages nutzt jemand anderes Ihre Kamera, beobachtet Ihre Räume und benutzt Ihre Kamera, um andere Systeme anzugreifen."

Klaid Mägi, Entwickler für Cyberstrategien

Hanno Hussar

Wieder am Hafen: Hanno Hussar ist IT-Manager des gesamten Geländes. Ein Hackerangriff könnte für die ganz auf IT ausgerichtete Hafenlogistik gefährlich werden. Doch man scheint hier vorbereitet. Im Ernstfall, sagt uns der Fachmann, schreiten externe Unternehmen ein, und manchmal versenden diese auch Junk-Mails an Hafenmitarbeiter – für Trainingszwecke.

"Cybersecurity ist wie Hygiene: man muss es jeden Tag angehen. Wir haben hin und wieder Übungen, dann lassen wir so eine E-Mail an unsere Leute schicken und schauen, wie sie reagieren."

Hanno Hussar, IT-Manager

Fallen im Hafentower die Monitore aus, blieben die Radare zur Koordination der ein- und ausfahrenden Schiffe. Wenn Monitore und Radare Ziel eines Cyberangriffs würden, dann könnte auch hier großes Chaos entstehen.

Vor zehn Jahren verabschiedete Estland seine erste Strategie für Cybersicherheit. Heute zweifelt kaum ein Staat an ihrer länderübergreifenden Dimension. In Tallinn kommen Experten und Militärs aus aller Welt zusammen, wie hier vor wenigen Wochen zu einem Sondergipfel der Münchner Sicherheitskonferenz.

Der Bronzene Soldat, auf dem Soldatenfriedhof außerhalb des Zentrums: Der Ort, wo er einst stand, zeigt für Eneken Tikk: politische Konflikte gehen heute immer mit einer Cyberdimension einher. Cyberkonflikte sind nicht immer Krieg, aber immer auch Emotionen. Bedrohungsszenarien sollten aus ihrer Sicht nicht die Motivation für Staaten sein, in der Cyberwelt zu bestehen.

"Wir brauchen eine ausgeglichene Debatte: ja, da gibt es Gefahren, Verwundbarkeit, aber das sollte nicht überschatten, dass wir diese Technologien nutzen können, um mehr soziale Vorteile und wirtschaftliches Wachstum herbeizuführen und dass wir mit ihnen das Funktionieren unserer Staaten unterstützen."

Eneken Tikk

Tallinn, der IT-Staat und die Cybersecurity: eine Geschichte, die noch immer wegweisend ist für die Zukunft Europas.


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