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Belgien Landwirte stoßen auf Kriegsmunition

Viele Tonnen Kriegsmunition aus dem Ersten Weltkrieg entsorgen die Spezialkräfte der belgischen Armee jedes Jahr. Vor allem der Boden im Nordwesten Belgiens zeugt noch immer von den großen Kriegen.

Von: Catherine Martens

Stand: 25.11.2018 | Archiv

Gestapelte Granaten | Bild: BR

Seit 1918 werden Granaten gefunden, geborgen, entsorgt.

Für Geert Deneire sind es lange Tage auf dem Feld: in diesen Wochen ist Erntezeit. Der flämische Landwirt bringt Lauch und Kartoffeln ein, mehrere Tonnen pro Tag.
Wir sind im westlichen Zipfel Belgiens, in der flämischen Provinz Westflandern. Das besondere in dieser Region: Landwirte ernten hier nicht nur Gemüse, sondern graben auch andere, höchst brisante Kaliber aus: Geert Deneire zeigt uns seinen jüngsten Fund, mitten aus seinem Lauchfeld: eine Granate aus dem Ersten Weltkrieg:

"Mein Vater hätte sogar gewusst, ob das eine englische oder deutsche ist. Ich weiß das nicht. Aber diese hier ist nicht gefährlich. Vielleicht ist noch ein bisschen Munition drin, aber da ist der Sprengkopf schon ab."

Geert Deneire, Landwirt

Geert Deneire

Geert Deneire weiß: eine Garantie gibt es nie. Solche Funde können jederzeit hochgehen. Immer wieder kommt es zu tödlichen Unfällen. Angst hat er keine - so eine Kiste voller Sprengköpfe gehört hier einfach zum Alltag:

"Ich war noch ganz klein, da hab ich das erste Mal so etwas gefunden – das war normal – das stammt alles noch vom Krieg."

Geert Deneire, Landwirt

Kaum eine andere Region ist vom ersten Weltkrieg noch heute so geprägt wie die Provinz um Ypern. Die Landschaft erzählt ihre eigene Geschichte: Soldatenfriedhöfe säumen die Wege. Hier entlang zog sich die Frontlinie. Heutige Felder waren einstmals Schauplatz bitterster Schlachten.

Gino Lambrecht

Militärstützpunkt Poelkappelle: Sergeant Major Gino Lambrecht plant den Morgeneinsatz. Seine Spezialeinheit rückt jeden Tag aus, um Kriegsmunition zu bergen. Es ist erst acht Uhr morgens, aber hier in der Einsatzzentrale von Poelkappelle, erzählt er uns, sind schon 30 Anrufe eingegangen:

"Heute haben wir soviel Arbeit, dass wir mit zwei Teams unterwegs sind. Hier auf der oberen Seite und hier unten. Dort waren die Deutschen und hier die Briten, die Franzosen oder auch Belgier. Und die hatten alle unterschiedliche Typen von Kriegsmunition."

Gino Lambrecht, Kampfmittelräumdienst

Erster Einsatz an diesem Morgen: Eine Baustelle. Arbeiter sind auf Munition gestoßen. Jetzt muss Gino mit seinen Männern ran. Wir begleiten sie, müssen aber auf Abstand bleiben. Erst beurteilt die belgische Spezialeinheit die Lage, dann dürfen auch wir näher ran. Der Fund: 12 deutsche Granaten und eine britische. Alle stammen aus dem Ersten Weltkrieg, vermutlich Giftgas.

"Hier habe ich eine, die noch einen Sicherheitszünder hat. Daher kann ich sagen, die ist noch scharf, die ist noch nicht explodiert. Manchmal ist die Zündschnur in so schlechtem Zustand, dass es tatsächlich noch gefährlich werden kann. Das muss ich alles bewerten, auch ob der Fund toxisch ist oder nicht. Du weißt im Voraus nie, was Du kriegst. Daher gilt immer, erst den Fund zu beurteilen. Dafür sind wir ausgebildet, um abzuschätzen, wie groß die Gefahr ist, wie wir vor Ort handeln müssen. Das hier ist eine Gasmaske, die schützt uns vor eventuellen toxischen Gasen, die in Kriegsmunition vorkommen kann."

Gino Lambrecht, Kampfmittelräumdienst

Steven Demeulenaere

Geschätzte 1,5 Milliarden Projektile wurden im Ersten Weltkrieg abgefeuert. Die meisten davon sind rund um Ypern tief im Erdreich begraben. Experten gehen davon aus, dass 30 Prozent davon noch heute als Blindgänger hier liegen – scharfe Munition. Austretende Gase vergiften die Böden. Immer wieder gibt es Verletzte. Entsprechend hoch die Alarmbereitschaft für die Spezialeinheit von Poelkappelle:

"Wir müssen binnen drei Tagen das Material bergen. So ist es vereinbart zwischen dem Verteidigungsministerium und der belgischen Regierung."

Steven Demeulenaere, Kampfmittelräumdienst

Mit dem Fund geht es zur Zentrale: 200 Tonnen Kriegsmunition kommen hier jedes Jahr an. Auf eigens präpariertem Gelände versenkt das Militär die Sprengsätze. Dann lassen Fachkräfte sie kontrolliert detonieren. Poelkapelle kann alle Typen von Kriegsmunition auf der Anlage zerstören, auch toxische. In einem aufwendigen Verfahren bestimmen Experten die Art der gefährlichen Gase, um sie entsprechend zu neutralisieren.

Zurück im Einsatz: Sergent Lambrecht erreicht wieder ein Anruf, diesmal unweit der französischen Grenze, eine weitere Granate.

100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ist das tödliche Erbe der Vergangenheit für die Menschen hier immer noch Realität. Sie alle hier in Belgien leben mit einem Stück bitterster Weltgeschichte, Tag für Tag. So wie Landwirt Geert Deneire mussten sie lernen, damit umzugehen, Jeder auf seine Art.


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