Bayern 2

     

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Aus einem Jahr wird ein Leben Wie eine Übergangsbleibe zur neuen Heimat wurde

Ein Jahr lang wollte der Künstler MAYAN in einem alten Bauernhaus in der Oberpfalz wohnen. Dann sollte das Haus abgerissen werden. Doch 60 Jahre später wohnt MAYAN immer noch dort. Harald Grill erzählt, warum es anders kam als gedacht.

Von: Harald Grill

Stand: 13.04.2022 | Archiv

Ich steh am Steinberger See in der Nähe von Schwandorf. Steinberg am See, das sind die paar Häuser da drüben. Hinter einer großen Wiese, auf der Wildgänse grasen, mit Blick auf den See, steht das alte Bauernhaus, in dem Hans lebt.

Aus Hans Mayer wird der Künstler MAYAN

Ich betrete das Wohnzimmer vom Hans. Mit Nachnamen heißt er Mayer. Ein Allerweltsname, deshalb wählte er MAYAN als unverwechselbaren Künstlernamen. Überall stehen und liegen sie hier, auf der Eckbank, auf dem Tisch, an die hundert Bilder.

Hans war nach dem Besuch der Keramikschule in Landshut und der Kunstakademie in München vorwiegend Bildhauer: Arbeiten in Granit, Keramikskulpturen, Reliefwände, Werke, die mit vielen öffentlichen Bauten in Bayern untrennbar verbunden sind. In der Keramikschule in Landshut lernte er seine Frau Heidrun kennen, die später im Haus eine Töpferei einrichtete. Ohne dieses geräumige Haus, wären solche Arbeitsprojekte nicht möglich gewesen. Der Hans stammt nicht aus der Schwandorfer Gegend. Er ist 1940 im Egerland zur Welt gekommen und 1945 mit seinen Eltern vertrieben worden.

"Ich bin in Falkenau geboren und da war mein Vater Betriebsleiter der Montanunion, hat des damals ghoaßn. Da hams uns in Viehwaggon eine, wia halt d Flüchtling transportiert werdn und in Augsburg ausgeladen."

MAYAN

"Wie seids denn dann in die Oberpfalz kumma?"

Harald Grill

"Matthias-Zeche is dir ja no a Begriff? Da hat mei Vater ogfangt. Da hat n die BBI geholt als Planungsleiter. BBI – Bayerische Braunkohlenindustrie."

MAYAN

Seine Frau Heidrun nahm nach der Ausbildung eine Stelle in Cuxhaven an.

"Und dann hab i a Nachricht kriagt, eine Tochter ist geboren und dann hab i s auf Schwandorf gholt."

MAYAN

Ein baufälliges Bauernhaus, das abgerissen werden sollte

Das war 1961. Sie waren gerade volljährig geworden und wollten heiraten. Jetzt brauchten sie eine Wohnung, eine große Wohnung mit Werkstatt und Atelier. Der Vater vom Hans hatte eine Idee. Er wies ihnen ein zum Abbruch bestimmtes Haus zu zwischen dem kleinen Dorf Oder und dem Rand des tiefen, dreckigen Lochs, aus dem Braunkohle gebaggert wurde: Ein Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert, mit undichten Fenstern und Fußböden, ein Wohnungsprovisorium für eine Übergangszeit von einem Jahr, so lange bis die Grube erweitert und das Gebäude abgerissen wird.

"Da war a abbrennter Stall und wo etz d Wies is und wo de Bäum stehngan, da war nichts. Ich hab des mühsamst hergricht. Mir habn mit einer alten Badwanna ogfangt und a Klo. Erst samma am Donnerbalken obeganga."

MAYAN

"Da kommt ja dann auch noch dazua, dass ma als Künstler erst net unbedingt mit Geld gesegnet is. War da dann net die Versuchung irgendwann so groß, dass ma da von dem Verhau da außenrum, von der Braunkohle - de is ja eigentlich koa Landschaft mehr gwesen, des is ja bloß no a Loch gwesen - dass ma do weggeht?"

Harald Grill

"I hab Oder als mei Heimat betrachtet. I hab an Josef ghabt, i hab an Goggo ghabt. Die Brettln die hammer am Heiligen Abend im Wohnzimmer fertig gmacht. Und de Fuaßbödn, des hat ja alles der Stammtisch gmacht."

MAYAN

Freunde wie Josef und Goggo, der Stammtisch - Zusammenhalt als Heimat. Gleichzeitig nebenan der Arbeitslärm in der Grube. Ohne Pause Tag und Nacht in drei Schichten. Und der Staub!

Einst Provisorium, heute Heimat

Der See, der heute so idyllisch vorm Haus vom Hans liegt, das war mal die dreckige Kohlegrube. Das provisorische Haus von damals ist heute noch die Heimat von Hans – über 60 Jahre später. Es wurde nicht abgerissen, wie es geplant war, sondern der Abbau hat genau am Rand von Hans‘ Grundstück gestoppt. Die BBI wurde 1982 aufgelöst. Denn Franz Josef Strauß setzte auf eine andere Energieform und versprach der Region eine Atomare Wiederaufbereitungsanlage und viele neue Arbeitsplätze. Daraus wurde nichts. Trotzdem: Der Braunkohleabbau stoppte und das Dreckloch lief voll Wasser.

Wer wird das Haus einmal übernehmen?

Als ich den Mayan und das alte Haus mit Hausnummer 4 1/2 in Oder verlasse, dämmert es bereits. Ich dreh mich noch einmal um und betrachte es aus der Ferne, sehe nur noch zwei erleuchtete Fenster. Dort sitzt er und zeichnet neue Pastelle. Seit seine Frau Heidrun gestorben ist, geht das ganze Nächte so dahin. Er bewohnt im Haus nur noch zwei Räume, die Küche. Der Rest des Hauses dient der Aufbewahrung seiner Werke. Das Haus ist über die Geschichte der Familie hinaus auch eins geworden mit seiner Arbeit. Wär ja schön, wenn ab und zu Leute vorbeikommen, die das eine oder andere Bild kaufen und in die Welt hinaustragen. An der Haustür habe ich ihn noch gefragt, wer das Haus einmal übernehmen wird, wenn er einmal nicht mehr ist. Haben seine Töchter Tine und Minke Interesse?

"Ja des is die Frage. De daadn liebend gern da hergeh, aber der Verwendungszweck als Museum, des liegert mir am Herzen, das des so bleibt. I hab jeds Zimmer voller Bildln."

MAYAN


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