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Tourismus in geordneten Bahnen Besuchermanagement im Allgäu

Das Allgäu zieht viele Touristen an. Wie kann es gelingen, dass sich die Massen besser verteilen – und alle einen schöneren Urlaub haben? Im Allgäu sollen Technik und künstliche Intelligenz dabei helfen.

Von: Doris Bimmer

Stand: 03.06.2022 | Archiv

An schönen, warmen Tagen in den Ferien sind die Parkplätze im Allgäu mehr als voll. Besucher stellen ihre Autos wild in die angrenzenden Wiesen. Der entspannte Start in den erhofften, stressfreien Tag am See oder in den Bergen ist futsch. Aber im Allgäu wird darauf hingearbeitet, dass Technik, künstliche Intelligenz und Algorithmen uns dabei helfen, den Urlaub stressfrei und möglichst reibungslos zu gestalten. Vor einiger Zeit wurde das Projekt des Integrierten Mobilitätskonzepts angestoßen.

"Wir denken als Touristiker, so haben wir das gelernt, an das Schöne und das machen wir noch schöner. Und denken, damit ist die Messe gelesen. Alles wunderbar. Wir müssen genau dahingehen, wo es weh tut."

Stefan Fredlmeier, Leiter der Tourismusinformation Füssen

"Die Hoffnung ist, immer ein bisschen besser zu werden, immer mehr sukzessive für den Gast zu geben. Und dadurch für den Gast besser zu werden, aber auch für uns gefühlt noch ein besseres Angebot zu haben."

Bernhard Joachim, Geschäftsführer der Touristikmarke Allgäu

Das Mobilitätsprojekt im Allgäu

Der Weißensee bei Füssen

Bernhard Joachim und Stefan Fredlmeier sind Touristiker im Allgäu – Joachim als Geschäftsführer der Touristikmarke Allgäu, Fredlmeier als Leiter der Tourismusinformation Füssen. Sie und viele andere Beteiligte im Allgäu tragen ihr bis heute gesammeltes Wissen zusammen und speisen es ein in das Mobilitätsprojekt, damit die von Stefan Fredlmeier angesprochenen Störfaktoren behoben werden. Wir treffen ihn am Parkplatz zum Alat- und Weißensee. 

"Diese Seen sind so toll und dann sind sie nochmal reingesprungen in das klare Wasser, und dann schwimmen sie dort und sehen die Berge und denken: 'Boa, genau so, das ist mein ganz persönlicher Glücksmoment!' Und dann kommen sie zurück und haben ein Ticket am Auto. Weil sie keinen Parkplatz gefunden haben und sich an den Seitenstreifen gestellt haben. Was meinen Sie, mit welchem Gefühl Sie nach Hause fahren. Mit so einer Krawatte. Und das Projekt, das wir durchführen und bei dem wir die Chance auch am Alatsee jetzt mal ein bisschen was zu testen, das hat genau diese Stoßrichtung, wo tut’s denn weh und wie können wir die Schmerzen lindern."

Stefan Fredlmeier, Leiter der Tourismusinformation Füssen

Die Forscher brauchen Bewegungsdaten

Wo der Schuh drückt, das wissen die Touristiker – gefiltert wird dieser Erfahrungsschatz unter anderem vom Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik. Die Wissenschaftler sammeln alle nur verfügbaren Informationen und setzen sie, gemeinsam mit den Partnern von Green City Experience und dem Urban Institute in neue Ideen um. Bewegungsdaten sind der Schlüssel für die erste von vielen Türen, sagt Wolfgang Inninger vom Fraunhofer Institut. 

"Daten sind ganz wichtig natürlich, um erstmal zu ermitteln, wo ist denn entsprechend hohes oder zu hohes Verkehrsaufkommen, wo ist der Parkdruck hoch, wie lang bleiben die Leute an welchen Punkten. Urban Institute ist da ein Partner, der hat das Knowhow, aus Floating-Car-Daten das gut rauszurechnen. Wir haben versucht, aus Mobilfunkbewegungsdaten entsprechende Informationen herauszuarbeiten, um dann Grafiken zu entwickeln, wo man sagt: Ok, an den und den Stellen ist es wichtig, Lösungen zu schaffen."

Wolfgang Inninger, Fraunhofer Institut

Floating-Car-Daten – zu deutsch: Flottendaten – spuckt das Navi heute schon aus, wenn es um die Länge von Staus geht oder die mögliche Geschwindigkeit im stockenden Verkehr.

Daten, Daten, Daten – was heute schon ganz analog in den Tourismusbüros abgefragt wird, welche Hotelkategorie man buchen möchte, ob man eher Wandern oder Radfahren will oder einfach nur einen Wellnessaufenthalt genießen möchte - das müssen künftig auch die Computer erfahren. Sonst kann keine noch so weit entwickelte, künstliche Intelligenz planen und Vorschläge erarbeiten, wie unser Urlaub aussehen könnte, welche Ziele wir wann am besten anfahren.

"Wenn ich das Wetter, die Urlaubzeit, die Belegung, vielleicht noch ein paar Verkehrsflussdaten mit dazu hab, kann ich sagen: Eigentlich solltest Du an diesen Parkplatz nicht hinfahren. Und wenn’s dann gut gemacht ist, dann kann ich auch noch eine Alternative vorschlagen. Natürlich, wenn die Familie aus Stuttgart beschließt, sie will heute aufs Nebelhorn und man sagt, der Nebelhorn-Parkplatz ist zu, fahr nicht dort hin, dann wird er alternativ nicht das Heimatmuseum in XY besuchen. Das muss dann schon auch wieder was Gutes sein."

Bernhard Joachim, Geschäftsführer der Touristikmarke Allgäu

Wir geben ja heute schon mit jeder Suchanfrage neue und eine Menge an Informationen über uns im World Wide Web preis. Und es kommen immer weitere dazu. Die Allgäuer Touristiker betonen, mithilfe der gewonnenen Daten könne man den Gästen, aber auch Einheimischen eine möglichst gute Zeit bereiten.

"Das ist der Sinn und das wird immer so ein bisschen negativ dargestellt, weil man den Eindruck hat, dass man manipuliert wird. Aber auf der anderen Seite wird einem halt das vorgeschlagen, was man irgendwann mal als relevant für sich betrachtet hat. Dementsprechend funktioniert es. Es ist jetzt schon der Fall. Zukünftig noch mehr. Die Welt wird immer digitaler, wir müssen die Digitalisierung als Chance sehen, um Prozesse besser zu machen und dort, wo Dinge nicht funktionieren, Lösungen zu finden."

Stefan Fredlmeier, Leiter der Tourismusinformation Füssen

Parkende Autos werden heute oft noch händisch gezählt

Autos auf dem Parkplatz der Fellhornbahn

Der heute schon aktive Ausflugsticker für Bayern ist ein erster Schritt in diese Richtung. Auf der Webseite lässt sich unter anderem einsehen, wie die Parksituation am Zielort ist, gezählt wird oft aber tatsächlich noch händisch – mit einem entsprechenden Zeitverzug. Eingespeist sind auch Erfahrungswerte, wie viele Besucher bei schönem Wetter zu erwarten sind – und wann. Für den Mobilitätsforscher Wolfgang Inninger ein erster Schritt. Der nächste sollte sein, mögliche Alternativen beispielsweise schon über das Auto-Navi anzubieten.

"Urlaub ist eine begrenzte Zeit. Man will eigentlich entspannen. Und wenn gute, intelligente Systeme - da ist künstliche Intelligenz natürlich ein großes Schlagwort aktuell – auch tatsächlich realistische praktikable Vorschläge bringen und die durchführbar sind, ist der Mensch bequem genug, sie anzunehmen und zu nutzen."

Wolfgang Inninger, Fraunhofer Institut

Jeder muss bereit sein, etwas von sich preiszugeben

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, sagt Inninger. Das lässt sich im positiven Sinn nutzen. Viele wollen aufs Auto nicht verzichten, aber keiner steht gern im Stau. Sobald funktionierende Lösungen den Urlaub entspannter gestalten, sieht auch der Mensch keinen Grund, warum man sie nicht nutzen sollte. Für diese Lösungen sind Prognosen, basierend auf aktuellen Daten, aber unabdingbar – jeder muss also bereit sein, etwas von sich preiszugeben.

"Was natürlich wichtig ist für solche Optimierungen und smarte Dienste ist, wie viel Leute befinden sich oder wollen zu welchem Zeitpunkt an den Ort. Ob das aber der Mayer-Huber ist oder jemand anders, ist dem System eigentlich egal."

Wolfgang Inninger, Fraunhofer Institut

Der Datenschutz ist wichtig

Sprich: Die Datenauswertung sollte anonymisiert stattfinden, um möglichst datenschutzverträglich zu sein. Ob das Programm aber jemals mit der menschlichen Unberechenbarkeit und Spontaneität zurechtkommen wird?

"Es ist nicht so, dass wir der Digitalisierung ausgeliefert sind. Sondern digitale Tools, digitale Prozesse sollen ja Hilfsmittel sein, um den Lebensraum besser zu organisieren und zu gestalten. Und wenn man das so sieht und auch für sich nutzt und auch immer für sich aktiv entscheidet, und nicht immer denkt, man ist Opfer, sondern man ist autonom, dann ist das definitiv von Nutzen auch letztlich für den Urlaub."

Stefan Fredlmeier, Leiter der Tourismusinformation Füssen

"Wenn man’s gut macht und in guter Absicht, dann kann es durchaus Vorteile bringen. Denn ich spar mir Wartezeiten, krieg den Parkplatz und hab ein optimales Urlaubserlebnis in einer immer kürzer werdenden Freizeit."

Bernhard Joachim, Geschäftsführer der Touristikmarke Allgäu

Arbeit an besserem Nahverkehr

Auch wenn jetzt erstmal der Straßenverkehr und Parkraum im Mittelpunkt des Mobilitäts-Konzepts steht – der ÖPNV wird nicht ausgeklammert. Im Hintergrund arbeiten die Touristiker wie die Forscherteams an verbesserten Bus- und Bahn-Anbindungen und auch On-Demand-Lösungen. Aber dazu sind noch viel mehr, viel kleinere Stellschrauben zu drehen.


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