Bayern 2 - Die Welt am Morgen


11

Ende der Welt - Die tägliche Glosse Handy-Askese - Hölle oder Verheißung?

Früher fragten sich die Menschen, wie die Hölle wohl genau aussieht, heute ahnen wir, dass es dort keine Handys gibt. Wer jemals auf die Aktualisierung eines Live-Tickers warten musste, der weiß, was gemeint ist: Den Verdammten bleibt nur noch der Blick auf die virtuelle Eieruhr. Dante konnte sich ein Inferno ganz ohne Datenvolumen nicht vorstellen, sonst hätte er bestimmt noch ein paar Höllenkreise dazu gedichtet, natürlich mit sehr geringem Abdeckungsgrad, und damit sind ausnahmsweise nicht die nackten Sünder gemeint. Eine Glosse von Peter Jungblut.

Von: Peter Jungblut

Stand: 18.04.2024

Ob heutzutage grundsätzlich mehr passiert als früher, das sei dahingestellt, aber es geschieht auf jeden Fall schneller. Deshalb sind Neuigkeiten zwar nicht interessanter, aber deutlich anstrengender geworden.

Das Leben ist ja eigentlich überhaupt nur noch als Eilmeldung vorstellbar, und wer mit den vorletzten Nachrichten rumläuft, der sollte stets davon ausgehen, dass die Weltöffentlichkeit inzwischen doch schon Kontakt mit Außerirdischen oder Stefan Raab herstellen konnte.

Wie auch immer: Früher fragten sich die Menschen, wie die Hölle wohl genau aussieht, heute ahnen wir, dass es dort keine Handys gibt. Wer jemals auf die Aktualisierung eines Live-Tickers warten musste, der weiß, was gemeint ist: Den Verdammten bleibt nur noch der Blick auf die virtuelle Eieruhr.

Dante konnte sich ein Inferno ganz ohne Datenvolumen nicht vorstellen, sonst hätte er bestimmt noch ein paar Höllenkreise dazu gedichtet, natürlich mit sehr geringem Abdeckungsgrad, und damit sind ausnahmsweise nicht die nackten Sünder gemeint. Unsere Angst, etwas zu versäumen, ist inzwischen größer als die Panik vor Kiffern auf der Wiesn, und dagegen hilft wohl nicht mal mehr Hanf-Bier.

Insofern hat es schon seine theologische Komponente, dass ein italienischer Wirt in Verona seinen Gästen eine kostenlose Flasche Rotwein anbietet, wenn sie beim Betreten des Lokals ihr Handy ins Schließfach legen.

Der Ablasshandel kommt also wieder in Mode, nur der genaue Umtauschkurs ist noch fraglich: Hundert Minuten ohne Handy dürften aber in etwa die seelische Kaufkraft von zehntausend Jahren Fegefeuer haben. Was das mit den Nachrichten macht, steht noch nicht fest: Vermutlich fallen einige vom Glauben ab, andere verschwinden im Nirwana und wieder andere werden aus Protest gegen Rotwein korkig. Das wird alle schwer treffen, die Nachrichten wie einen guten Burgunder konsumieren und vor dem Genuss erst mal einige Momente in sozialen Netzwerken hin und herschwenken, bevor sie den Inhalt runterschlürfen.

Überraschend, dass angeblich dennoch 90 Prozent der Restaurantbesucher auf das Angebot eingehen

Andere prüfen Neuigkeiten ja gern auf ihre genaue Farbe und halten sie grundsätzlich ein paar Augenblicke gegen Lichtquellen wie Instagram, WhatsApp oder Facebook, um festzustellen, ob sie eher rubinrot sind oder doch ins Bräunliche tendieren. Ohne Handy dürfte das schwierig werden.

Es fragt sich darüber hinaus, wie viele Gäste des erwähnten Restaurants das Abendessen überleben werden, wenn sie beim Streit über die genaue Höhe des Eiffelturms nicht an Wikipedia kommen. Überraschend, dass angeblich dennoch 90 Prozent der Restaurantbesucher auf das Angebot eingehen, der Welt entsagen und die Handy-Askese ausprobieren. Sie setzen sich quasi im Lendenschurz der Nachrichtenlage an den Tisch, werfen sich notdürftig die Tickermeldungen der vorletzten Stunde über und liefern sich damit dem Gespräch so ungeschützt aus wie Shakespeares König Lear der sturmumtosten Heidelandschaft. Und alles für eine Flasche Rotwein! Naja, die Italiener sind halt katholisch.


11