Bayern 2 - Notizbuch


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Schulbücher Wieviel Diversität spiegeln sie wider?

Scheidungskinder, Flüchtlings- und Migrantenkinder, Kinder mit Behinderung. All diese Kinder sitzen in bayerischen Klassenzimmern. Aber kommen sie auch in den Schulbüchern vor?

Von: Gabriele Knetsch

Stand: 04.11.2016

Schulbuch auf Schreibtisch | Bild: picture-alliance/dpa

"Manche Deutsche reagierten auf die Einwanderung von Ausländern mit Unbehagen oder auch mit Ablehnung. Manche fürchteten ihre Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt; andere hatten den Eindruck, Deutschland werde 'überfremdet' […] Heute ist die deutsche Gesellschaft vielgestaltig und multikulturell. Diese Veränderung bringt jedoch auch Probleme mit sich. Denn die Integration mancher Migranten ist durchaus nicht gelungen."

Schulbuch Geschichte 2, Nordrhein-Westfalen

Erklärt dieses Geschichtsbuch wirklich, wie Integration funktioniert? Oder schürt es vielmehr Ressentiments wie Fremdenfeindlichkeit, Angst vor fremden Kulturen und Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund? "Ausländer", "Fremde", "Migranten" – diese negativ besetzten Begriffe benutzen Schulbücher bunt durcheinander und völlig undifferenziert. Zu diesem Ergebnis kommt die Schulbuchstudie "Migration und Integration" der Bundesregierung aus dem Jahr 2015:

"Die Untersuchung zeigt, dass in den analysierten Schulbüchern die Problematisierung von Migration gegenüber der Darstellung von Diversität als Normalfall überwiegt. Migration wird in den Sozialkunde- und Geschichtsschulbüchern, teilweise auch in Geografieschulbüchern primär als konfliktträchtig und krisenhaft dargestellt."

Studie Migration und Integration

Der Normalfall hingegen ist: ein Drittel aller Deutschen haben heute einen Migrationshintergrund. Die Klassenzimmer sind heute bunter denn je: Klassen mit einem Migrantenanteil von 70 bis 80 Prozent sind keine Seltenheit. Kinder aus Rumänien, Spanien, Syrien, dem Kosovo und Bayern drücken gemeinsam die Schulbank. Konfliktträchtig ist das in den seltensten Fällen. Sollten diese Kinder sich nicht auch in den Schulbüchern wiederfinden, mit denen sie lernen?

"Schulbücher sind altbacken."

Prof. Maisha Maureen Auma

Prof. Maisha Maureen Auma von der Humboldt Universität in Berlin ist spezialisiert auf das Thema "Kindheit und Differenz". Sie hat  bundesweit viele deutsche Schulbücher im Hinblick darauf untersucht, ob Menschen, die von der Norm abweichen, auf ihren Seiten vorkommen: Schließlich existieren ja auch in der Gesellschaft Behinderte, Migranten – und Familien jenseits von "Vater-Mutter-Kind".

"Schulbücher sind leider noch ziemlich altbacken. Es gibt die bürgerliche Kernfamilie, die sehr stark im Zentrum steht. Es werden nicht mal nichteheliche Lebensgemeinschaften repräsentiert. Patchwork-Familien werden nicht repräsentiert und es gibt eine sehr große Spanne von den Vorstellungswelten von Englischbüchern, die mehr Pluralität haben, bis hin zu Mathebüchern, die doch sehr altbacken sind. Es werden noch nicht einmal Geschiedene dargestellt. Das ist fast schon eine katholische Welt in vielen Schulbüchern."

Prof. Maisha Maureen Auma, Humboldt Universität Berlin

Gerade ältere Schulbücher – und an bayerischen Gymnasien sind durchaus noch zehn Jahre alte Bücher im Einsatz – zeigen ein Rollenmodell, das sich längst überlebt hat.

Entsprechen Schulbücher dem Lehrplan?

Tatsächlich hat sich in den vergangenen zwei Jahren in den bayerischen Grundschulen viel getan. Seit dem Schuljahr 2014/2015 gilt in Bayern ein neuer Lehrplan, der sogenannte "Lehrplan plus". Der neue Lehrplan hat auch Folgen für die Schulbücher. In den Deutsch-, Mathe- und Heimat- und Sachkundebüchern machen Kinder im Rollstuhl naturwissenschaftliche Experimente. Schüler mit Hörgerät diskutieren im Stuhlkreis mit ihren Mitschülern. Buben und Mädchen mit dunkler Hautfarbe sieht man auf einer Wiese gemeinsam mit hellen Kindern spielen.

"Es ist definitiv so, dass es kein zugelassenes Schulbuch mehr gibt, in dem sie nicht ein Kind mit sonderpädagogischen Förderbedarf abgebildet sehen, sei es ein Kind im Rollstuhl, sei es ein blindes Kind, sei es ein Kind mit Down-Syndrom. Sie werden auch kein zugelassenes Schulbuch mehr finden, in dem Sie nicht Kinder unterschiedlicher Nationalitäten abgebildet sehen."

Maria Wilhelm, Bayerisches Kultusministerium

Die "Kriterien zur Begutachtung von Schulbüchern" für die Bayerische Grundschule fordern heute nicht nur eine gleichberechtigte Darstellung von Mann und Frau: "Das Lernmittel darf nicht der Entwicklung einseitiger Vorstellungen über die Position oder die Lebensgestaltung von Männern und Frauen in Gesellschaft und Familie oder in anderen Formen des Zusammenlebens Vorschub leisten."

Besonders spannend lesen sich die Vorgaben zur Darstellung von Diversität. Im bundesweiten Vergleich ist Bayern damit zwar spät dran. Aber es geht auch in Bayern längst nicht mehr nur um die Darstellung von Menschen anderer Kulturen – sondern auch um neue Familienformen. Ja sogar um andere sexuelle Orientierungen.

"Das Lernmittel soll den vorurteilsfreien Umgang mit Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft, unterschiedlicher sexueller Orientierung sowie aus verschiedenen Kultur- und Sprachräumen fördern."

Kriterien zur Begutachtung von Schulbüchern

Homosexualität in der Grundschule? Schwule oder lesbische Paare im Unterricht? Regenbogenfamilien statt "Vater, Mutter, Kind"? Und das im konservativen Bayern? Zumindest ein ganz kleines bisschen, meint Maria Wilhelm von der Zulassungsstelle für Schulbücher und nennt als Beispiel eine Zeichnung von unterschiedlichen Menschen, verbunden mit der Frage, wer mit wem zusammenleben könnte.

"Ich mache hier die Regenbogenfamilie nicht explizit zum Thema. Wenn ich aber ein Kind in der Klasse habe, das in so einer Familie lebt, kann das Kind die Bildimpulse aufgreifen, um zu berichten und seine Meinung zu vertreten. – Was könnte das Kind dann sagen?  - Es könnte sagen: hier sind zwei Papas abgebildet und einer der beiden Papas hat das kleine Geschwister auf dem Arm. Die beiden leben zusammen in einer Familie. Die haben auch noch ein Mädchen. Das ist eine Familie von vier Personen: Zwei Papas, zwei Kinder."

Maria Wilhelm, Bayerisches Kultusministerium

"Zumindest ein Anfang"

Für die Diversitätsexpertin Maisha Maureen Auma ist diese offene Art der Darstellung zumindest ein Anfang.  Die von den bayerischen "Kriterien zur Begutachtung von Schulbüchern" geforderte Auseinandersetzung mit "unterschiedlicher sexueller Orientierung" findet sich im bundesweiten Vergleich aber auch in anderen Schulbüchern kaum explizit wieder.

"Lesbische Mütter, schwule Väter, Trans- und Interpersonen kommen so gut wie gar nicht vor. Wenn sie vorkommen, kommen sie so gut wie immer als Abweichung vor. Sie kommen nicht als selbstverständliche Erweiterung der Lebenswelt eines Kindes vor. In bestimmen Fächerkulturen wie den Biologie-Büchern kommen LSBTI-Leute eher als Problem und als Gefährdung für den sozialen Gesundheitskörper vor. Und eher im Zusammenhang mit ansteckenden Krankheiten."

Prof. Maisha Maureen Auma, Humboldt Universität Berlin


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