Bayern 2 - Hörspiel


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Hörspiel des Monats Januar 2022 "Das Schneckengrabhaus" von Denijen Pauljevic

Die Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste benennt zum Hörspiel des Monats Januar: "Das Scheckengrabhaus" von Denijen Pauljevic

Stand: 13.08.2020 12:01 Uhr | Archiv

Ein Schneckenhaus vor einem Grabstein. | Bild: colourbox.com / BR Montage

Begründung der Jury:

„Das Schneckengrabhaus” von Denijen Pauljević erhält die Auszeichnung Hörspiel des Monats Januar 2022, weil es rundum überzeugt: Text, Dramaturgie, schauspielerische Leistung, Musik und radiophone Umsetzung sind auf hervorragende Weise gelungen und stimmig. Hinzu kommt die große Relevanz der Geschichte, die durch die gekonnte Inszenierung tief berührt: Ramisa, beeindruckend glaubhaft von Zeynep Bosbay gespielt, hat nirgendwo einen Platz, dafür umso mehr Wut: Die Romni aus Serbien, die Lateinlehrerin werden wollte und sich stattdessen mit einem Ein-Euro-Job auf einem Münchner Friedhof über Wasser hält, soll abgeschoben werden.

Wir erleben Ramisas Wut und werden selber wütend: über die Ungerechtigkeit, die ihr widerfährt, über ein Leben, das nie richtig beginnen durfte, über die staatliche Willkür, die sie zurückweist und abschieben will in eine Heimat, die nie eine war, und wo die Romni den rassistischen Anfeindungen serbischer Nazis ausgesetzt sein wird. Wir befinden uns in München, in einer Stadt, die behauptet für alle da zu sein. Aber für Ramisa ist München nicht da. Sie hat gar nicht die Chance, hier ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Trotzdem kämpft sie und beeindruckt mit ihrer Stärke, Wortgewalt und Klugheit.

So unberechenbar wie Ramisas Wut sind die Szenen, in denen wir uns plötzlich wiederfinden. Wir lernen neben Ramisa u.a. ihre Mutter, ihren Lehrer, ihre Sachbearbeiterin und ihre imaginäre Anwältin kennen, die alle lediglich von Zeynep Bozbay und Jelena Kuljić gespielt werden, was alles noch klaustrophobischer erscheinen lässt. Zugleich lockert ihr großartiges Spiel das Geschehen aber auch auf: Manchmal wissen wir nicht, ob wir lachen oder weinen sollen. In der Ausweglosigkeit von Ramisas Situation blitzt immer wieder auch eine Komik auf: eine Leichtigkeit, die Hoffnung gibt oder zumindest aufscheinen lässt.

Ramisa ist ein Mensch, um den es sonst nie geht. Ein Mensch, dessen Stimme nicht gehört wird. Denijen Pauljevićs „Das Schneckengrabhaus“ lässt uns diesem Menschen zuhören und zieht uns in Ramisas Bann mit einer Sprache voller Kraft und Bilder. Besonders hervorzuheben sind zudem die begeisternde klangliche Gestaltung in der Regie von Ralf Haarmann und der beeindruckende Gesang von Irena Tomažin.

JURY

Ania Mauruschat, Medienkulturwissenschaftlerin, Radiojournalistin
Neo Hülcker, Komponist* und Performer*
Vito Pinto, Theaterwissenschaftler, Kulturarbeiter, Textwerker
Gastgebender Sender: Deutschlandfunk Kultur


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