Bayern 2 - Hörspiel


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Laudatio Brandau:War der Wahn

Stand: 11.10.2011 | Archiv

"Natürlich nur wenn man es kennt, fällt einem beim Hören von Carsten Brandaus Stück War der Wahn- seven days a week without an end ein absurdes Sprachstück von Joseph Beuys ein, das er gemeinsam mit dem dänischen Komponisten Henning Christiansen und seinem  Schüler Johannes Stüttgen 1968 aufgenommen hat: Ja, Ja, Ja, Ja, Ja, Nee, Nee, Nee, Nee, Nee. Angeblich war Beuys von einem Begräbnis einer Tante zurückgekehrt und hatte diese lang gezogenen Klagejas und Nees mitgebracht, die die Hinterbliebenen kopfschüttelnd am offenen Grabe ohne Unterlaß, geradezu gesungen hätten. Natürlich gibt es in diesem Stück keinen Originalton, eher die parodistische, aber gelungene Erinnerung. Sie führt ähnlich wie bei Brandau in den liebenswürdigen Wahnsinn einfacher Leute. Bei Beuys rhythmisiert das unterschiedlich geleierte Ja und Nee das gesamte Klangstück. Bei Carsten Brandau ist es die im Hintergrund laufende Wiederholung der Wochentage und der eingangs gezählte Soundcheck, der sofort mit dem erst beim Weiterhören erkennbaren Thema Tätowierung verbunden wird: den Anker eins... das hat er gleich alles an einem Tag gemacht... den Drachen vier. Der die Erzählung immer wieder durchbrechende Klangrhythmus aus verschiedenen übereinander gelegten Geräuschen treibt das Stück voran, fast wie ein Hip-Hop. In der Mitte wird die Geschichte zusammenhängender, das Thema kippt von selbst in die gesteigerte Absurdität, das Tätowieren als Sucht ist ein ungewöhnlicher Erkenntnisgewinn und der Vergleich mit der Wilddieberei (ist schlimm, die müssen das...) und dem Kartenspiel (als eigene Kindheitserfahrung: der Vater als Vorbild) ist seltsam komisch. Die schlagend stupiden Aussagen, wie: Das ist die Welt der Tätowierten, da kann man nichts dran ändern! werden im Klangrhythmus des Stücks kongenial weiter getrieben, man kommt unwillkürlich in eine Endlosschleife, liefert sich der blöden Liebenswürdigkeit in einer Art von Selbstverblödung aus. Man wird gefährlich süchtig nach dem ausgezeichnet geschnittenen Stück. Irgendwann muß man es abstellen, um nicht der Tätowierungssucht oder der Wilddieberei zu verfallen. Karten spielen konnte man schon vorher."

Eugen Blume


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