Bayern 2

     

Bayern - Land und Leute Lion Feuchtwangers Moskau-Reise 1936/37

Lion Feuchtwanger | Bild: picture-alliance/dpa

Sonntag, 14.04.2013
13:30 bis 14:00 Uhr

BAYERN 2

"Man atmet auf, wenn man ... in die
strenge Luft der Sowjetunion kommt."
Lion Feuchtwangers Moskau-Reise 1936/37
Von Renate Eichmeier
Als Podcast verfügbar

Im November 1936 verließ Lion Feuchtwanger das südfranzösische Sanary-sur-Mer, wo er im Exil lebte, und reiste auf Einladung des sowjetischen Schriftstellerverbandes in die UdSSR. „In Moskau wurde ich so triumphal empfangen, dass es schwer fällt, nicht größenwahnsinnig zu werden,“ schrieb er in einem Brief. Als prominentem Kopf der antifaschistischen Intellektuellen im Westen wurde ihm ungeahnte Aufmerksamkeit zuteil.
Feuchtwanger blieb bis Februar 1937 und absolvierte ein dichtes Programm: Er besichtigte das alte Moskau und das neue, das gerade im Entstehen war, besuchte Theater, Kino und Oper, traf sich mit Schriftstellern und Filmemachern, gab zahllose Interviews, hielt Vorträge, las aus seinen Büchern und suchte das Gespräch mit seinen sowjetischen Lesern. Er verhandelte wegen einer russischen Ausgabe seiner Werke und wegen der Verfilmung seines Romans „Die Geschwister Oppermann“, war beim zweiten Schauprozess gegen die sogenannten Trotzkisten als Beobachter dabei – und bekam Zutritt zum sowjetischen Machtzentrum: Mehr als drei Stunden soll er unter vier Augen mit Joseph Stalin gesprochen haben. Am nächsten Tag war ein Foto der beiden in der Prawda.
Wieder zurück in Frankreich schrieb Feuchtwanger einen Reisebericht für seine Freunde, in dem er zwar kritische Beobachtungen einräumte, den neuen sozialistischen Staat aber auf dem richtigen Weg wähnte. Die gigantischen Baumaßnahmen in Moskau, der Aufbau der Industrie und des Bildungssystems und die kulturellen Aktivitäten in allen Bereichen beeindruckten ihn so sehr, dass er sogar die Schauprozesse gegen die angeblichen Trotzkisten verteidigte und damit Empörung in der westlichen Intellektuellenszene auslöste. – Renate Eichmeier schildert, wie der sonst distanzierte Schriftsteller die Brutalitäten der Stalindiktatur ausblendete und sich von ihren Inszenierungen vereinnahmen ließ.