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Kommunikations-Daten Die Geschichte der Vorratsdatenspeicherung

Die EU-Richtline zur Vorratsdatenspeicherung beschäftig seit Jahren Parlamente und Gerichte. Noch bevor sie in allen Ländern Gesetz ist, wird die EU sie nun möglicherweise selbst wieder kippen. Ein Rückblick auf 18 Jahre Streit.

Von: Florian Regensburger

Stand: 11.02.2014

  • April 1996
    Helmut Kohl 1996 im Bundestag | Bild: picture-alliance/dpa

    Helmut Kohl 1996 im Bundestag: Das damalige Parlament lehnte Midestspeicherfristen ab.

    April 1996

    Erste Forderung von Mindestspeicherfristen für Telekommunikationsdaten

    Der Bundesrat fordert vor Inkrafttreten (1. August 1996) des neuen Telekommunikationsgesetzes Mindestspeicherfristen Kommunikationsdaten. Der schwarz-gelb dominierte Bundestag lehnt dies damals aber ab. Auch ein mehrheitlich rot-grüner Bundestag spricht sich am 17.2.2005, als die Vorratsdatenspeicherung bereits ein Thema auf europäischer Ebene ist, gegen die anlasslose Speicherung aus. Am 15.2.2006 fordert der nächste Bundestag von der Regierung Merkel, eine europäische Vorratsdatenrichtlinie zu unterstützen.

  • Mai 2006
    Anschlag auf das World Trade Center 2001 | Bild: picture-alliance/dpa

    Die mögliche Terrorismus-Abwehr ist eines der Hauptargumente der Vorratsdaten-Befürworter.

    Mai 2006

    Die europäische Vorratsdatenrichtlinie tritt in Kraft

    Unter anderem als Reaktion auf die Anschläge auf das World Trade Center 2001 und auf Personenzüge in Madrid 2004 schreibt die EU mit der Richtlinie RL 2006/24 EG Mindestspeicherfristen für Telekommunikationsdaten vor. Die Hoffnung: Terrorpläne sollen im Vorfeld entdeckt und Anschläge verhindert werden können. Informationen über Teilnehmer von Telefonverbindungen, Standorte bei Mobilgesprächen, IP-Adressen oder gesendete und empfangene E-Mails sollen mindestens sechs, maximal aber 24 Monate gespeichert werden.

  • September 2007
    ehemaliger Bundespräsident Horst Köhler | Bild: picture-alliance/dpa

    Der damalige Bundespräsident Horst Köhler segnete das deutsche Vorratsdatengesetz von 2007 ab.

    September 2007

    Deutschland setzt die EU-Vorratsdatenrichtlinie in nationales Recht um

    Der Deutsche Bundestag beschließt mit den Stimmen von Union und SPD das deutsche Vorratsdatengesetz. Am 30.11.2007 stimmt der Bundesrat zu, am 26.12.2007 unterzeichnet der damalige Bundespräsident Horst Köhler das Gesetz. Telekommunikationsdaten sollen für sechs Monate gespeichert werden. Die Speicherung sollen die Netzanbieter vornehmen, Ermittlungsbehörden nach entsprechender richterlicher Anordnung Zugriff darauf haben.

  • Dezember 2007
    Rechtsanwalt Meinhart Starostik | Bild: picture-alliance/dpa

    Meinhard Starostik mit der Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe

    Dezember 2007

    Widerstand gegen das deutsche Vorratsdatengesetz

    Am 31.12.2007 reicht der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, auch bekannt als „AK Vorrat“, mit Anwalt Meinhard Starostik an der Spitze eine Verfassungsbeschwerde gegen das Vorratsdatengesetz beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein. Nach der Beschwerde greife das „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung (...)“ in unangemessener Weise in die Privatsphäre der Bürger ein. Die Aktion wird begleitet von einer Reihe öffentlicher Proteste.

  • Januar 2008
    Protest gegen Vorratsdatenspeicherung in Hamburg am 31.12.2008 | Bild: picture-alliance/dpa

    Auch nach Inkrafttreten des Vorratsdatengesetzes gehen die öffentlichen Proteste weiter.

    Januar 2008

    Das Vorratsdatengesetz kommt

    Die neuen Vorschriften treten in Deutschland in Kraft. Ermittlungen wegen Terrorismus aber auch allgemein die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten können eine Auskunft über Telekommunikationsdaten rechtfertigen. So wurden die Daten Tausender Internetnutzer, die urheberrechtlich geschützte Musik oder Videos heruntergeladen hatten, in Ermittlungsverfahren benutzt. Fälle, in denen schwere Straftaten wie Kinderpornografie oder Terrorismus durch Vorratsdaten verfolgt oder gar aufgeklärt werden, sind vergleichsweise sehr gering.

  • März 2010
    Der oberste Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier spricht am bei der Urteilsverkündung über die Vorratsdatenspeicherung. | Bild: picture-alliance/dpa

    Der oberste Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier spricht am bei der Urteilsverkündung.

    März 2010

    Paukenschlag durch das Bundesverfassungsgericht

    Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kippt das deutsche Vorratsdatengesetz. Dieses stelle einen "besonders schweren Eingriff in das Fernmeldegeheimnis" dar. Zudem beanstandete das BVerfG mangelnde Sicherheit für die Daten und nicht hinreichend klar formulierte Hürden für die Ermittlungsbehörden. Dennoch weist das BVerfG darauf hin, dass eine verfassungskonforme Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht möglich sei. Auch zum Beispiel in Rumänien und Tschechien haben Verfassungsgerichte die jeweiligen nationalen Umsetzungen der EU-Richtlinie für rechtswidrig erklärt.

  • Februar 2011
    Router und Netzwerkkabel | Bild: picture-alliance/dpa

    Verbindungsdaten steigern die Aufklärungsquoten von Verbrechen nicht maßgeblich.

    Februar 2011

    Schlechtes Zeugnis für die EU-Vorratsdatenrichtlinie

    Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages stellt in einem Gutachten fest, dass sich die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht zweifelsfrei mit der EU-Grundrechtecharta vereinbaren lässt. Außerdem hielten sich die Erfolge bei der Aufklärungsquote von Straftaten, die auf die Vorratsdatenspeicherung zurückzuführen seien, in einem sehr kleinen Rahmen.

  • April 2011
    EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström | Bild: picture-alliance/dpa

    Cecilia Malmström ist 2011 nicht mehr überzeugt von der EU-Vorratsdatenrichtlinie.

    April 2011

    EU will Veränderung - und Gehorsam

    Die zuständige EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström kündigt eine umfassende Überarbeitung der Richtlinie 2006/24 an, unter anderem wegen mangelhafter Datenschutzstandards. Gleichzeitig fordert die EU-Kommission aber von der damaligen Bundesregierung unter Androhung einer Klage, die geltende Richtlinie so schnell wie möglich noch in ein Gesetz umzusetzen.

  • Januar 2012
    Leutheusser-Schnarrenberger (l.), Friedrich | Bild: picture-alliance/dpa

    Uneinige Bundesminister: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Hans-Peter Friedrich

    Januar 2012

    EU klagt gegen Deutschland

    Aufgrund einer Pattsituation zwischen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU, pro Vorratsdatenspeicherung) und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP, contra Vorratsdatenspeicherung) kann sich die Bundesregierung nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Die EU-Kommission verklagt Deutschland daraufhin vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) auf rund 300.000 Euro Strafgeld pro Tag, wenn die Richtlinie weiter nicht umgesetzt wird. Der EuGH hat darüber bislang aber nicht entschieden. Schweden und Österreich sahen sich bereits mit ähnlichen Klagen konfrontiert.

  • Dezember 2012
    Unterzeichnung der EU-Grundrechte-Charta am 07.12.2000 in Nizza | Bild: picture-alliance/dpa

    Unterzeichnung der EU-Grundrechte-Charta am 07.12.2000 in Nizza

    Dezember 2012

    Widerstand gegen rigiden EU-Kurs

    Österreich, das die EU-Richtlinie auf eine Klage hin gleichwohl schon im Mai 2011 in ein nationales Gesetz umgesetzt hat, fragt beim EuGH wegen der Zulässigkeit der Vorratsdatenrichtlinie mit Blick auf die Europäische Grundrechte-Charta an. Der irische High Court hat eine ähnliche Anfrage an den EuGH gerichtet.

  • Juli 2013
    Netzwerkkabel in einem Serverschrank | Bild: picture-alliance/dpa

    Katharina Nocun und Patrick Breyer zählen Stimmen für ihre Verfassungsbeschwerde.

    Juli 2013

    Bestandsdatenauskunft: Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür?

    Die Neuregelung der Bestandsdatenauskunft (BDA) tritt in Kraft. Sie erlaubt Ermittlern, etwa Name und Adresse oder Passwörter bei Netzanbietern abzufragen. Kritiker sprechen von Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür, weil Netzanbieter auch IP-Adressen von Nutzern herausgeben müssen. Diese werden bei jeder Online-Sitzung neu zugewiesen und sind so gar nicht unabhängig von Verkehrsdaten wie Telefongesprächen zu ermitteln. Katharina Nocun und Patrick Breyer von den Piraten legen Verfassungsbeschwerde ein.

  • Dezember 2013
    Ein automatisches Lager für Magnetbänder Datenspeicherung | Bild: picture-alliance/dpa

    Magnetband-Lager zur Datenspeicherung: Zugriffshürden laut EU-Anwalt nicht klar geregelt

    Dezember 2013

    EU-Generalanwalt gegen EU-Richtlinie

    Der EU-Generalanwalt Cruz Villalón erklärt in einem Rechtsgutachten, dass er die Richtlinie 2006/24/EG im Sinne der österreichischen und irischen Anfrage für rechtswidrig hält. Die Zugriffshürden seien nicht ausreichend klar geregelt, ebenso wenig die Frage, für welche Zwecke die Daten überhaupt verwendet werden dürften. Zudem hält er die Speicherfrist von bis zu 24 Monaten für überzogen.

  • Februar 2014
    Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff | Bild: picture-alliance/dpa

    Andrea Voßhoff ist bislang für einen eher freizügigen Umgang mit Daten bekannt.

    Februar 2014

    Datenschutzbeauftragte pro Vorratsdatenspeicherung

    Deutschland ist heute das einzige EU-Land ohne Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Justizminister Heiko Maas hat angekündigt, die EU-Richtlinie auch nicht vor deren Überarbeitung in nationales Recht umzusetzen. Zudem wollen die Luxemburger Richter in diesem Frühjahr zunächst über die Anfragen aus Österreich und Irland entscheiden. Die neue Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) ist übrigens nicht wie ihr Vorgänger Peter Schaar um eine Verhinderung der Vorratsdatenspeicherung bemüht, sondern gilt im Gegenteil als Verfechterin derselben.

  • April 2014

    April 2014

    EUGH kippt Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung

    Der Europäische Gerichtshof hat am 8. April entschieden, dass die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung in der Europäischen Union gegen EU-Recht verstößt. Die Richter hatten geprüft, ob die EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und dem Vertrag über die Europäische Union vereinbar ist. Im Urteil hieß es, die Richtlinie verstoße in Ausmaß und Schwere ihrer Grundrechtseingriffe gegen die in der Charta verbrieften Rechte auf die Achtung des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten.


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