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Das Bayern der Schreibenden Auf den Spuren Goethes in München

In München gibt es eine Goethestraße, einen Goetheplatz und sogar ein Goethedenkmal. Der große deutsche Dichter ist sehr präsent, obwohl er nur einen einzigen Tag und eine Nacht in München verbracht hat – und nicht viel Gutes darüber zu berichten wusste.

Von: Angela Braun

Stand: 10.05.2021 | Archiv

An einem trüben und nassen Septembermorgen im Jahr 1786 fährt Johann Wolfgang von Goethe in einer Kutsche durch das Schwabinger Tor. Er lässt sich bis vor den Gasthof "Zum Schwarzen Adler" chauffieren. Der stand an der Ecke der Kaufingerstraße und der Liebfrauenstraße, also ganz in der Nähe der Frauenkirche.  Der Dichterfürst will unerkannt bleiben, und das gelingt ihm wohl auch: Goethe nennt sich Kaufmann Möller aus Leipzig.

"Ich wohne auch hier in Knebels Wirtshaus, mag aber nicht nach ihm fragen, aus Furcht Verdacht zu erwecken oder dem Verdacht fortzuhelfen. Niemand hat mich erkannt und ich freue mich so unter ihnen herum zu gehen."

Aus 'Goethe und München' von Franz Rapp

1786 ist der Weimarer Dichter schon bekannt, wenn auch längst nicht so berühmt wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Mit seinem Briefroman "Die Leiden des jungen Werthers" 1773 und – ein Jahr später – dem Drama "Götz von Berlichingen" sind ihm zwei Aufsehen erregende Werke gelungen.  Er wird über Deutschlands Grenzen hinaus gefeiert.

Goethe in München – mitten in einer Schaffenskrise

Der Herbsttag, den er in München verbringt, fällt in eine Zeit der Schaffens- und vielleicht auch Lebenskrise. Johann Wolfgang von Goethe ist seit Jahren in die verheiratete Charlotte von Stein verliebt. Eine aussichtlose Beziehung, die als Freundschaft beschrieben wird. Und wohl doch mehr war.

"Meine Seele ist fest an die Deine angewachsen, ich mag keine Worte machen; Du weißt, dass ich von Dir unzertrennlich bin, und dass weder Hohes noch Tiefes mich zu scheiden vermag. Ich wollte, dass es irgendein Gelübde oder Sakrament gäbe, dass mich Dir auch sichtlich und gesetzlich zu eigen machte, wie wert sollte es mir sein!"

Aus 'Goethe - das Schönste aus seinem Werk' von Charles Waldemar

Goethe schickt seiner Angebeteten viele Briefe. Auch die Tagebuchaufzeichnungen, die er am 6. September 1786 in München niederschreibt, richten sich an Charlotte von Stein.

"abends um sechse. Nun ist mein Münchner Pensum auch absolviert, diese nacht will ich hier schlafen und Morgen früh weiter. Du siehst, ich richte mich eilig ein, und will und muß nun einmal diese Manier versuchen, um der alten hockenden und schleichenden ganz abzukommen."

Aus 'Goethe und München' von Franz Rapp

Goethe klingt nicht besonders begeistert

Was er mit der "hockenden und schleichenden Manier" meint, lässt sich nur vermuten. Jedenfalls hat es Goethe sehr eilig, die Stadt wieder zu verlassen, um nach Italien weiter zu reisen.  Sein "Münchner Pensum" beginnt kurz nach der Ankunft. Er macht sich auf den Weg zur "kurfürstlichen Burg" – zur Residenz. Wohl zu Fuß, so beschreibt es Kurt Helmut Schiebold in seinem gerade erschienenen Büchlein "Goethes Trip nach München". Der Dichter besucht das Antiquarium in der Residenz. Besonders begeistert klingt er allerdings nicht.

"Im Antikensaale konnte ich recht bemerken, dass meine Augen auf diese Gegenstände nicht geübt sind, deswegen wollte ich nicht verweilen und Zeit verderben. Vieles sprach mich gar nicht an, ohne dass ich sagen könnte warum. (…) Im Ganzen stehen die Sachen auch nicht glücklich, ob man gleich mit ihnen hat aufputzen wollen, und der Saal oder vielmehr das Gewölbe ein gutes Ansehen hätte, wenn es nur reinlicher und besser unterhalten wäre."

Aus 'Goethe und München' von Franz Rapp

Kein besonders schmeichelhafter Kommentar. "Goethe macht sich dann auf den Weg in den Hofgarten, der noch innerhalb der Stadtmauern Münchens an der Nordseite der Residenz liegt", schreibt Schiebold weiter. Man bekommt eine Ahnung, wie klein und überschaubar München damals war. "Im nördlichen Arkadenbau des Hofgartens entlang der heutigen Galeriestraße findet er die (…) erweiterte Hofgartengalerie." Die ist öffentlich zugänglich. In dieser Gemäldesammlung stellt Kurfürst Karl Theodor Bilder aus den Schlössern Nymphenburg und Schleißheim aus. Später werden die Werke unter König Ludwig I in die Pinakothek umziehen. Gemälde von Künstlern wie Tizian, Tintoretto, Caravaggio, Rembrandt und Cranach sind hier zu sehen. Goethe erwähnt in seinen Aufzeichnungen aber nur Skizzen von Peter Paul Rubens, einem Lieblingsmaler des Dichters. Als begeisterter Naturforscher muss er unbedingt einen Blick in das sogenannte Naturalienkabinett werfen. Auch das verursacht keinen wahren Begeisterungsausbrauch.  Er würdigt den Besuch mit einem einzigen Satz.

"Im Naturalienkabinett fand ich schöne Sachen aus Tyrol, die ich aber durch Knebeln schon kannte."

Aus 'Goethe und München' von Franz Rapp

Karl Ludwig von Knebel ist ein guter Freund des Dichters. Er hat die Verbindung nach Weimar hergestellt und Goethe sozusagen den Posten des Hofrates in Weimar verschafft. Knebel hat Goethe offenbar von den Exponaten erzählt. Das Naturalienkabinett ist in den Räumen der Alten Akademie in München untergebracht.  Die Ausstellungsstücke stammen aus den zoologischen, botanischen und mineralogischen Sammlungen der Wittelsbacher. Offenbar war keines dabei, für das Goethe sich begeistern konnte. Vielleicht lag es ja auch am Wetter.

"Man klagt wie überall über Kälte und Nässe. Ein Nebel, der für einen Regen gelten konnte, empfing mich heute früh vor München, den ganzen Tag blies der Wind sehr kalt vom Tyroler Gebirg, der Himmel war bedeckt. Ich stieg auf den Turm, von dem sich die Fräulein herabstürzte und sah mich nach den Tyroler Bergen um."

Aus 'Goethe und München' von Franz Rapp

Suizid – nach dem Vorbild Werthers

Der Turm, von dem sich am 14. Januar 1785 die junge Fanny von Ickstatt herabgestürzt hat, ist der Nordturm der Frauenkirche. Ein wenig sensationslüstern ist der 37 -jährige Goethe durchaus. Die junge Frau hatte zuvor seinen Briefroman "Die Leiden des jungen Werthers" gelesen. Darin sieht die Hauptfigur aufgrund einer unglücklichen Liebe nur den Suizid als Ausweg. Das Büchlein wurde zu einem Bestseller. Allerdings sollen sich in den Jahren nach der Veröffentlichung einige junge Menschen nach dem Vorbild Werthers in den Tod gestürzt haben. Goethe hat den Roman später überarbeitet und geht auf deutliche Distanz zu dem Helden.

"Heute Früh fand ich eine Frau, die Feigen verkaufte auf einer Galerie des Schlosses, sogleich wurden ihrer gekauft und obgleich Theuer drey Kreutzer das Stück, dich die ersten, denen – will‘s Gott – mehr folgen sollen. Das Obst ist doch auf für den 48. Grad nicht übermäßig gut…"

Aus 'Goethe und München' von Franz Rapp

Goethe hat es eilig – in München hält es ihn nicht lange

Die Sehnsucht nach Italien ist groß. Goethe kauft Feigen in München und ist enttäuscht, dass sie nicht so süß schmecken, wie er sich’s erhofft hat, schreibt er in seinem Reisetagebuch. Auch das mag ein Grund für seine Eile sein, mit der er durch München gehastet ist. Allerdings war München zu dieser Zeit eher kleinbürgerlich. Einen künstlerischen und kulturellen Aufschwung erlebte die Stadt in den folgenden Jahrzehnten durch König Ludwig I.

Am Morgen des 7. Septembers 1786 fährt die Postkutsche mit dem Weimarer Dichter Richtung Süden durch das Isartal flussaufwärts Richtung Wolfratshausen, Benediktbeuern, weiter zum Kochelsee und hinauf zum Walchensee, dann nach Mittenwald und schließlich Richtung Brenner – "Viva Italia".

Literaturtipps

Franz Rapp: "Goethe und München", Hrsg. von der Goethe-Gesellschaft München Verlag und Dirk Ippen; Klinkhardt & Biermann 2016. (1. Auflage 1932, dann verboten)

Kurt H. Schiebold: "Goethes Trip nach München", Volk Verlag München, 2021

Charles Waldemar: "Goethe - das Schönste aus seinem Werk", Südwest Verlag München, 1960 


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