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Syrien Alltag im Krieg

Im Jahr 2015 kamen knapp 900.000 Flüchtlinge nach Deutschland – viele von ihnen aus Syrien. Welchen Gefahren sind sie dort ausgesetzt?

Von: Anne Ameling

Stand: 06.10.2016

Aleppo | Bild: picture-alliance/dpa|Sputnik

Ein Mann schüttet einen Eimer Schutt auf die Straße. Er kann direkt aus seinem Wohnzimmer ins Freie treten, denn die Mauern seines Hauses sind zerstört – wie viele Gebäude im Osten von Aleppo. Videoaufnahmen zeigen, dass ganze Viertel in Trümmern liegen.

Alles ist grau; der Staub hat die Farben verschluckt. Seit Monaten schon bombardieren die syrische und die russische Luftwaffe diejenigen Bezirke, die von den Gegnern der syrischen Regierung kontrolliert werden.

"Jeden Tag gibt es Dutzende von Angriffen. Wegen der Streubomben sind hier zwei Gebäude komplett ausgebrannt. Wir können nichts tun, weil wir keine Ausrüstung haben und keinen Feuerwehrwagen."

Ismail Abdallah, Zivilschutz Aleppo

Der tägliche Kampf ums Überleben

Nach einem Bombenangriff

Ismail Abdallah und seine Kollegen sind völlig überlastet, denn der Osten Aleppos ist weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten – belagert von den syrischen Regierungstruppen. Lebensmittel und Medikamente gelangen schon seit Wochen nicht mehr in die Rebellenviertel; die medizinische Versorgung steht kurz vor dem Kollaps. Noch immer wohnen 250.000 Menschen im Osten der Stadt – viele von ihnen ohne Strom und fließend Wasser. Sie sind zwischen die Fronten geraten, jeden Tag kämpfen sie ums Überleben.

Fata Morgana im Fernsehen

Die syrische Regierung zeichnet ein anderes Bild von Aleppo. Vor wenigen Tagen hat das Tourismus-Ministeriums ein Video veröffentlicht. Zu sehen sind imposante Moscheen, grüne Parkanlagen, Hotels und Swimming Pools –aufgenommen aus der Vogelperspektive, unterlegt mit Musik: Alltag im Westen der Stadt, vom Bürgerkrieg offenbar unberührt. Diesen Teil Aleppos kontrollieren die syrischen Regierungstruppen. Der Gegensatz zu den Bildern aus den östlichen Stadtteilen könnte nicht größer sein.

Kurze Verschnaufpause

Im Kampf gegen ihre Gegner bekommt die syrische Regierung Unterstützung von der russischen Luftwaffe und verbündeten Gruppen, zum Beispiel der libanesischen Hisbollah-Miliz. Die USA wiederum unterstützen die gemäßigteren Rebellen-Gruppen.

US-Außenminister John Kerry

Vor drei Wochen hatte eine von Russland und den USA ausgehandelte Waffenruhe für eine kurze Entspannung gesorgt. Ein paar Tage lang gab es so gut wie keine Luftangriffe. Doch seit die Feuerpause gescheitert ist, sind die Attacken noch heftiger geworden. Die USA haben ihre Gespräche mit Russland über eine Lösung des Konflikts deshalb abgebrochen:

"Russland ignoriert wissentlich, dass Assad Chlorgas und Fassbomben gegen sein Volk einsetzt. Das syrische Regime und Russland scheinen die Diplomatie verworfen zu haben, um einen militärischen Sieg zu erringen – über die Leichen, zerbombten Krankenhäuser und traumatisierten Kinder eines Landes, das seit langem leidet."

US-Außenminister John Kerry

Brennpunkt Aleppo

Verletzter nach Bombenangriff

Russland gilt als treuer Verbündeter der syrischen Führung. Deren Ziel scheint zu sein, das ganze Land wieder unter die Kontrolle von Präsident Baschar Al-Assad zu bringen – vor allem die bevölkerungsreichen Städte. Der Osten Aleppos ist die letzte große Hochburg der Aufständischen. Abo Omar, ein Einwohner der Stadt, befürchtet, dass die Regierung sie nun endgültig zurückerobern will – koste es, was es wolle:

"Seit Tagen nimmt das kriminelle Regime alle Gebiete in Aleppo unter Beschuss, auch die Wohngegenden; vor allem die Bereiche, die eng bewohnt sind, Märkte und öffentliche Plätze, Haltestellen, Krankenhäuser und Schulen. Das Regime zielt auf das menschliche Leben im belagerten Aleppo und nutzt dafür alle möglichen Waffen, auch bunkerbrechende Bomben."

Abu Omar, Einwohner von Aleppo

Zehn Millionen Flüchtlinge

Die Zahl der Toten steigt täglich – nicht nur in Aleppo. Seit Beginn des Bürgerkriegs sind nach Schätzungen des UN-Sondergesandten Staffan de Mistura mehr als 400.000 Menschen ums Leben gekommen. Mehr als zehn Millionen Syrer befinden sich auf der Flucht, innerhalb und außerhalb des Landes.


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