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Pferdefleisch-Skandal Fischstäbchen und Stickstoffbällchen: Die Geschichte der Fertignahrung

Lasagne mit Pferdefleisch ist eine Neuigkeit. Gar nicht neu: Bis zur Unkenntlichkeit verändertes Essen aus Dose, Tüte und Truhe. Zum Guten und zum Schlechten. Eine kurze Geschichte der Fertignahrung von Michael Kubitza.

Stand: 15.02.2013

  • 1810
    Fertignahrung | Bild: picture-alliance/dpa

    Mahlzeit: US-Konservendosen auf einem libyschen US-Stützpunkt aus dem Zweiten Weltkrieg.

    1810

    Vergoldetes Blech: Die erste Konservendose

    Napoleon ist schuld. Der Kaiser setzte eine Prämie für den aus, dem es gelänge, den Proviant seiner Truppen so zu konservieren, dass sie auch am Ende eines jahrelangen Feldzugs genießbar sei. Ein Pariser Zuckerbäcker holte den Preis für seine Experimente mit Glasflaschen; der Durchbruch aber gelang den Briten, die ihre Armee mit in Weißblech eingeschweißter original englischer Küche in den Krieg schickten.

  • 1863
    Fertignahrung | Bild: picture-alliance/dpa

    Augenschmaus: Die Hausfrau freut sich über Suppe, der Nachwuchs über "Liebigbilder"

    1863

    Verpulverte Rinder: Liebigs Fleischextrakt

    Das vielleicht erste Instantprodukt der Welt – eine Münchner Erfindung. Hier nämlich leitete der in Darmstadt geborene Chemiker Justus von Liebig im Auftrag des Königs mehrere Forschungsprojekte, darunter eines zur Gewinnung eines preiswerten und lagerfähigen Fleischpulvers. Zum Welterfolg machten den Fleischextrakt, wie zuvor die Dauerkonserve, die Briten. Die Firma LEMCO – Liebig’s Extract of Meat Company – belieferte ab 1880 Königshöfe wie Arbeiterhaushalte.

  • 1867
    Knorr | Bild: Unilever Media-Relations

    An Wurst erinnert 2012 nicht mehr viel - eher an lustige Knallbonbons.

    1867

    Essbarer Zwitter: Die Erbswurst

    Suppe to go? Ohne Thermoskanne - die wird in Deutschland erst 1903 patentiert - gar nicht so einfach. Der Berliner Koch Grüneberg hatte da 1867 eine Idee. Er packte Erbsenmehl, Fett und Gewürze in einen Naturdarm, später dann in Pergament. Im Krieg 1870/71 trugen deutsche Soldaten die Erbswurst im Tornister nach Frankreich - der ebenso rare wie zweifelhafte Fall eines kulinarischen Exports westwärts. Ab 1889 macht die Heilbronner Firma Knorr, bereits bekannt durch ihre "Patentsparsuppe Victoria", das Produkt zum Renner unter Wanderern, Geschäftsreisenden und bald auch bei Hausfrauen.

  • 1891
    Die Oetker-Story | Bild: Dr. Oetker

    Den Mund voll nehmen und Rezepte beilegen: So verschoss Dr. Oetker erfolgreich sein Backpulver.

    1891

    Der Siegeszug des Backpulvers

    Noch eine Erfindung des Justus von Liebig – diesmal zusammen mit seinem US-amerikanischen Schüler Eben Norton Horsford. Die Aufgabe: Ein leicht zu dosierendes, gut zu lagerndes, zuverlässiges Backtriebmittel. Für den Bielefelder Apotheker August Oetker wurde das Pülverchen zur Initialzündung: Er verkürzte die komplizierte chemische Formel zur hausfrauenfreundlichen Gleichung:
    1 Pfund Mehl + 1 Tüte Dr. Oetker Backin + 1 Rezept auf der Tütenrückseite = 1 Kuchen.
    Zahllose andere Pulver zum Einmachen, Puddingkochen und Götterspeise-Rühren folgten.

  • 1909
    Maggi-Werbung | Bild: picture-alliance/dpa

    Wer hat's erfunden? Der Schweizer Müllerssohn Julius Maggi.

    1909

    Suppen-Poesie: Maggi

    Suppe die Dritte: In der Schweiz arbeitet Julius Maggi daran, Suppe einzutüten. Zuvor hat er eine Würzsoße kreiert, der, so schreibt der Journalist Hans-Ulrich Grimm, eine rare Ehre zuteil wurde: Erstmals wird ein Kraut vom Volksmund nach einem Kunstprodukt benannt; dabei sei das "Maggikraut" Liebstöckel im Maggi gar nicht erhalten. Zum Erfolg der Firma tragen auch die Verse von Frank Wedekind bei - so zum Beispiel: "Alles Wohl beruht auf Paarung./Wie dem Leben Poesie/Fehle Maggi's Suppen-Nahrung/Maggi's Speise-Würze nie!". 1909 gelingt Maggi noch die Quadratur der Suppe: der Brühwürfel.

  • 1947
    Erbswurst | Bild: Unilever Media-Relations

    Innen das Huhn, drumrum viel Technik. Die Türverriegelung trennt Mensch und Strahlung.

    1947

    Radar für den Hausgebrauch: Die Mikrowelle

    Neben der Chemie ist es die Physik, die unser Kochverhalten verändert und bestimmt, was in Deutschland seit den 1920er-Jahren auf dem E-Herd steht ... ab den 30ern im Kühlschrank ... und in den 80ern in der Mikrowelle. Erfunden hat das Gerät 1947 der US-Radartechniker Percy Spencer. Amerika macht damit zuerst Popcorn, später gibt die Mikrowelle der Bequemküche an sich den Namen: "Microwave Dinner" (alternativ: TV Dinner). In Deutschland spaltet die Frage möglicher Gesundheitsgefahren lange die Nation. Heute ist das Essen in über zwei Dritteln der Haushalte mikrobestrahlt.

  • 1959
    Fertignahrung | Bild: picture-alliance/dpa

    Lecker? Zumindest echte Fischbröckchen, kein Proteingemengsel.

    1959

    Eine neue Gattung wird entdeckt: Das Fischstäbchen

    1959 schwimmt in England ein neues Tier in die Küche: Das Fischstäbchen. Die Insel-Fischer produzieren nach dem Krieg ein Überangebot. Gut, dass der Meeresbiologe Clarence Birdeye schon Jahre zuvor am Südpol Fische zwischen zwei mit Kältemittel gefüllten Metallplatten gefrostet hat. Jetzt macht die wachsende Verbreitung von Kühltruhen dem Pressfisch Beine. In Deutschland teilen die später fusionierenden Firmen Langnese und Iglo (früher: Solo Feinfrost) die Eisfächer unter sich auf; letztere macht mit ihrem Werbekäpt'n vor, wie man auf dem Umweg über die Kinder die Mütter überzeugt.

  • 1970
    Die Oetker-Story | Bild: Dr. Oetker

    Italienischer Imbiss für 3,45 Mark: Die Deliciosa von Pizzamarktführer Dr. Oetker.

    1970

    Holiday on Ice: Die Tiefkühlpizza

    Fischstäbchen und Eiskrem Fürst Pückler sind nur der Anfang. Immer mehr Gerichte kommen aus der Eistruhe auf den Tisch. Laut Deutschem Tiefkühlinstitut stieg der Pro-Kopf-Verbrauch von zwölf Kilo im Jahr 1975 auf derzeit über 40 Kilo. Das größte Tiefkühllager Europas gehört zur Firma Iglo, liegt inmitten riesiger Gemüseanbauflächen im Münsterland und rühmt sich der Zahl von 57.000 Palettenstellplätzen. Der Klassiker unter den deutschen Tiefkühlprodukten ist gefrorene Italiensehnsucht: Rund 200.000 Tonnen Pizza werden jedes Jahr eingekauft, aufgetaut und umluftgegrillt verdaut.

  • 1990
    Kochgeschichte | Bild: picture-alliance/dpa

    Was das ist, wissen wir auch nicht. Im Mund soll es sich sensationell anfühlen.

    1990

    Stickstoff bis zum Abwinken: Molekularküche

    Für die einen ist sie eine Revolution - für die anderen auch, aber eine gescheiterte: Die Molekularküche, ab 1990 ein Laborspaß von Insidern, wenig später populär gemacht durch den spanischen Koch Ferran Adrià und sein Restaurant El Bulli, war in den vergangenen Jahren gefundenes Fressen für Innovationsfreudige und Anhänger der Eventkultur. Nüchtern betrachtet ist sie die Aufbereitung und Weiterentwicklung von Kochkonzernchemie für ein zahlungskräftiges Gourmet-Publikum.

  • 2009
    Fertignahrung | Bild: picture-alliance/dpa

    "Gastroblock" klingt, als stünde darauf die Zeche. Dabei stehen nur Pfennigfuchser auf sowas.

    2009

    Digital ist besser: Analogkäse

    Wie lang er da schon lag, ist unklar. Anfang 2009 aber wurde er auf einer Pizza entdeckt und sorgte für Schlagzeilen: Analogkäse, ein Kunstprodukt aus Eiweißpulver, pflanzlichem Fett und Aromen. Schädlich ist das im 19. Jahrhundert in den USA entwickelte Billiggemisch wohl nicht, aber auch kein Käse. Wer den bevorzugt, sollte darauf achten, dass auf scheinbar käsehaltigen Produkten auch Käse und nicht Rätselhaftes wie „Pizzamix“ deklariert ist. Analoges gilt für die nächsten Verwandten des Kunstkäses: Formfleisch und das Garnelen-Imitat Surimi.

  • 2013
    Symbolbild | Bild: picture-alliance/dpa

    Entwarnung: Hier sind Schinken und Pferd nur flüchtige Bekannte.

    2013

    Kinderteller Black Beauty

    Aldi, Edeka, Lidl, Real, Tengelmann: Wer hier Ende 2012, Anfang 2013 Tiefkühllasagne kauft, muss damit rechnen, eine Portion Pferdefleisch und Antirheumatikum extra auf den Tisch zu bekommen. Die britisch-luxemburgisch-französisch-niederländisch-rumänische Coproduktion ist Abfallprodukt der immer komplexeren Herstellungs- und Vertriebswege in der EU, die längst nicht nur die Verbraucher ratlos zurücklassen.

  • 2013
    Symbolbild | Bild: picture-alliance/dpa

    Labordosen mit Lasagne-Proben.

    2013

    Schlechte Chemie, gute Chemie

    Kleiner Trost: Auch die Chemielabore von staatlichen Prüfstellen und Verbraucherschutzorganisationen haben nachgerüstet. Bakterien auf chinesischen Erdbeeren und Mineralöl im Adventskalender weisen sie genauso sicher nach wie Pferd im Rind. Wenn sie denn in der richtigen Packung suchen und öffentlich machen dürfen, was sie gefunden haben.


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