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Lücken im System Chaos bei der Flüchtlingsregistrierung

In Deutschland gibt es nach Schätzungen rund 300.000 unregistrierte Flüchtlinge. Die Behörden sind nicht nur mit der Registrierung überfordert, dazu kommen gefährliche Lücken im System.

Von: Ulrike Nikola und Harald Mitterer

Stand: 06.12.2015 | Archiv

Ein Bundeswehrsoldat nimmt am 11.11.2015 im «Wartezentrum» in Erding (Bayern) Fingerabdrücke von einer Asylsuchenden aus Syrien. Die Soldaten leisten dort im Vorfeld der Registrierung Amtshilfe für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). In dem Kurzzeitlager auf dem Areal eines Fliegerhorsts der Luftwaffe sollen bis zu 5.000 Migranten in Zelten und Flugzeugunterständen für kurze Zeit Platz finden. | Bild: pa/dpa/Armin Weigel

Die Zahl stammt von Frank-Jürgen Weise, Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge persönlich: Fast 300.000 Flüchtlinge sollen sich in Deutschland aufhalten und noch nicht registriert worden sein. Das kann passieren, wenn Flüchtlinge illegal über die grüne Grenze kommen. Oder wenn die Behörden vom Ansturm so überfordert sind, dass sie die Menschen zuerst verteilen und dann erst erfassen. In den vergangenen Monaten war das der Fall.

Chaos an den Außengrenzen

Das Problem der Flüchtlingsregistrierung beginnt aber nicht erst in Deutschland, sondern viel früher, in der Türkei und an den Außengrenzen der Europäischen Union. Nach Recherchen unseres Südosteuropa-Korrespondenten Ralf Borchard sind die Grenzkontrollen in der Türkei und Griechenland lückenhaft, es herrscht Chaos. Auch auf der weiteren Fluchtroute läuft vieles unkoordiniert.

In Mazedonien wird nach unseren Recherchen lediglich jeder dritte von täglich bis zu 2000 Flüchtlingen erfasst. Auch Serbien und das erste EU-Land Kroatien kontrollieren demnach nicht lückenlos. Das erste Schengen-Land Slowenien registriert zwar, behält aber die Daten für sich, ein Austausch mit anderen europäischen Staaten findet offenbar nicht statt. Österreich wiederum stellt sich auf den Standpunkt: Wer aus einem Schengen-Staat kommt, ist schon bearbeitet. Allerdings betont die dortige Polizei, dass man seit den Anschlägen von Pariser genauer hinschaue.

Schnellkontrolle bei Grenzübertritt

Erreichen die Flüchtlinge dann die deutsche Grenze, werden sie zunächst von der Polizei in Empfang genommen, die eine Schnellkontrolle macht. Fingerabdrücke der Flüchtlinge werden mit gespeicherten Daten im Polizeisystem abgeglichen. Liegt etwas gegen den Flüchtling vor, wird er festgehalten. Ist der Andrang groß, so die Erfahrung von BR-Korrespondentin Kathariner Häringer in Passau, dann werden Frauen, Kinder und alte Männer auch einfach durchgewunken.

Doppelstrukturen und Lücken im System

Deutsche Gründlichkeit lässt sich dagegen in der sogenannten Bearbeitungsstraße in Deggendorf beobachten. Mit Reisebussen werden die Flüchtlinge von den Grenzen hierher gebracht. Dann beginnt eine akribische Datenerfassung der Bundespolizei. Das Gepäck wird durchsucht, eine medizinische Untersuchung durchgeführt, biometrische Fotos und Fingerabdrücke aller zehn Finger gemacht, Dokumente geprüft soweit vorhanden, Namen, Herkunft und Fluchtgründe erfasst.

"Es gibt jeder erstmal was an, keiner verweigert Aussage, ob diese Angaben immer 100 Prozent richtig sind, können wir hier in der ersten Bearbeitung nicht zwingend verifizieren."

Matthias Knott, Bundespolizei in Deggendorf

Rund eine Stunde dauert die Prozedur. Wer allerdings nicht über einen der fünf offiziell festgelegten Übergabepunkte aus Österreich nach Bayern kommt, sondern illegal über die grüne Grenze, der entgeht der polizeilichen Registrierung, hat Ostbayern-Korresondent Harald Mitterer recherchiert.

Ohne Papiere ist die Einreise in jedem Fall illegal

Wobei: Legal kommt so gut wie kein Flüchtling nach Deutschland. Weil die meisten keinen Ausweis oder Aufenthaltspapiere vorweisen können, erfolgt automatisch eine Anzeige wegen unzulässiger Einreise nach Deutschland. Ein Straftatbestand. Und der ist dann Grundlage dafür, dass die gesammelten Daten der Flüchtlinge von der Bundespolizei gespeichert werden können.

Über Polizeidatenbanken wie INPOL und SIS stehen die erfassten Daten den europäischen Sicherheitsbehörden zur Verfügung. Zivilbehörden haben darauf allerdings keinen Zugriff, die müssen selbst noch einmal registrieren, wenn die Flüchtlinge in die Erstaufnahme weitergereist sind.

Datenaustausch Fehlanzeige

In Erstaufnahmeeinrichtungen wie Zirndorf bei Nürnberg beginnt die zweite Runde der offiziellen Registrierung. Vieles, was in Deggendorf schon erfasst wurde, wird hier noch einmal aufgenommen: Personendaten, Fotos, medizinische Untersuchung. Federführend ist hier die Zentrale Ausländerbehörde, in Zirndorf die Regierung von Mittelfranken. Die gibt ihre Daten in das bayerische iMVS-System ein. Doch darauf hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge keinen Zugriff. Das registriert dann noch einmal extra, in der eigenen Datenbank "Maris".

"Die Daten werden hier nochmal erfasst – also doppelte Erfassung und hier wird dann auch der Bescheid erlassen und das ist alles in Maris enthalten. Es wäre sinnvoll eine Behörde erstellt die Daten und die werden von den anderen Behörden - ob Ausländerbehörde oder Bundesamt - gleich verwendet, so dass also nicht jede Behörde für sich die Daten erhebt."

Werner Staritz, Leiter der Zentralen Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf

Registrierungspraxis völlig unübersichtlich

Nächstes Jahr soll es eine Ankunftskarte für Flüchtlinge geben, die die Registrierung einfacher und schlanker macht. Denn die doppelt- und dreifach-Erfassung von Flüchtlingen ist durch die mangelnde Vernetzung vollkommen unübersichtlich, ist das Ergebnis der Recherchen von Ulrike Nikola aus dem Studio Franken.


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