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Ingeborg Bachmann zum 90. Ihr Worte, mir nach!

Leidende Dichterin oder scheiternde Diva? Wer war Ingeborg Bachmann? Um die Schriftstellerin ranken sich Mythen - erfundene und selbst herbeigeschriebene. Heute vor 90 Jahren wurde die Österreicherin geboren.

Von: Karla Engelhard

Stand: 25.06.2016

Ingeborg Bachmann | Bild: picture-alliance/dpa

"Ihr Worte, ihr Worte, auf, mir nach!,
und sind wir auch schon weiter,
zu weit gegangen, geht’' noch einmal
weiter, zu keinem Ende geht's.
Es hält nicht auf."

Aus Bachmanns Gedicht 'Ihr Worte'

Ingeborg Bachmann trug diese Zeilen 1965 in Wien vor, da folgten ihr schon die Worte. Ihre Fans und die Literaturkritiker jubelten. Die gebürtige Klagenfurterin hatte Philosophie, Germanistik, Psychologie studiert und in Wien über die Rezeption der Philosophie Heideggers promoviert.

"Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache
ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen."

Aus Bachmanns Gedicht 'Alle Tage'

Stütze Familie

Anfang der 1950er Jahre arbeitete Ingeborg Bachmann für den US-amerikanisch kontrollierten Radiosender Rot-Weis-Rot in Wien. Als Hörfunk-Journalistin ging sie kurze Zeit später nach Rom und blieb dort, schrieb Radio-Essays, Gedichte, Romane. Doch immer wieder zog es sie nach Klagenfurt zu den Eltern zurück. Ihr um 13 Jahre jüngerer Bruder Heinz erinnert sich.

"Die Familie war immer ein bisschen eine Stütze. Man muss sich das vorstellen, sie hat ja so oft ihre Wohnungen gewechselt - in Italien, dann war sie oft in Paris, in London, in München. Was macht man dann? Dann ist sie sehr oft vielleicht hierher gekommen, um sich zu überlegen: Was mache ich jetzt? Was ist mein nächster Schritt?"

Heinz Bachmann

Kurzporträt

Ingeborg Bachmann war 27, als ihr erster Gedichtband "Die gestundete Zeit" erschien, sie den Preis der "Gruppe 47" erhielt, ein großes Porträt von ihr das "Spiegel"-Cover zierte, kurz: sie zum Star und zu Projektionsfläche für mehr als eine Generation wurde. Heute zählen Leben und Werk der Dichterin zu den ausführlich erforschten und interpretierten Kapiteln der österreichischen Literaturgeschichte.

Im Elternhaus ist noch alles so, wie es Ingeborg Bachmann verlassen hat: ihre Schreibmaschine, ihr Schreibtisch, ihre Bücher, ihre Fotos. In Klagenfurt lesen junge Schriftstellerinnen und Schriftsteller alljährlich aus eigenen Werken vor, um einen nach ihr benannten Preis zu bekommen. Der österreichische Filmemacher Michael Haneke erlebte vor Jahrzehnten Ingeborg Bachmann im Audimax an der Uni Wien. Der Grundstein für seine Bewunderung war gelegt.

"Da hat sie 'Unter Mördern und Irren' gelesen und das ist ja ein Riesen-Auditorium mit über 1.000 Leuten und alle sind wie auf Eiern gesessen, weil sie so leise gesprochen hat und man den Eindruck hatte, sie wird jetzt gleich zusammenbrechen, ob sie die ganze Erzählung durchsteht. Sie hat es aber wunderbar durchgestanden und man hat natürlich wahnsinnig zugehört."

Michael Haneke

Selbst-Mythisierung

Seit über 20 Jahren befasst sich der Germanist Hans Höller mit Ingeborg Bachmann. Er ist auch der Herausgeber einer auf 30 Bände angelegten Werkausgabe, für die bislang gesperrte Teile des Nachlasses zu Verfügung stehen. Für Hans Höller hat die Schriftstellerin mit dazu beigetragen, dass sich Mythen um sie ranken und sie zur Projektionsfläche etlicher Generationen wurde.

"Mit ihrer Diskretion, dass sie sehr viel nicht verraten, der Öffentlichkeit nicht preisgegeben, aber manchmal doch wieder etwas gesagt hat, was sofort Anlass zu Spekulationen gab. Dazu kommt, dass Bachmann sehr viele Liebschaften hatte und dass natürlich auch das Anlass zu Spekulationen gibt. Mythisierung liegt auch nahe bei jemand, der in seinem Werk so viele Mythen geschaffen hat."

Hans Höller

"Malina" - Studie aller möglichen Todesarten

Ihren 1971 erschienenen ersten Roman "Malina" präsentierte sie als Ouvertüre zu einem Erzählzyklus, der als eine einzige große Studie aller möglichen Todesarten gelten könne, meinte sie in einem Interview. Die Studie blieb unvollendet. Ingeborg Bachmann starb in Rom auf tragische Weise: Im Oktober 1973 erlitt sie in ihrer Wohnung schwere Verbrennungen durch ein Feuer, ausgelöst mutmaßlich von ihrer Zigarette.


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