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Neue Erkenntnisse Der Attentäter und der Therapeut

Der Attentäter von Ansbach war in Lindau in psychologischer Behandlung. Nach BR-Recherchen ist die Einrichtung "Exilio" jedoch im Landkreis stark umstritten - die Zusammenarbeit wurde seitens des Landratsamtes bereits 2015 aufgekündigt.

Von: Anne Hemmes, Christoph Scheule, Richard Schlosser, Anna Tillack und Lisa Weiß

Stand: 28.07.2016

Polizeiabperrung und Sonnenblumen liegen auf Gehwegpflaster | Bild: imago images

Der Attentäter von Ansbach war nach Angaben des Lindauer Therapeuten und Heilpraktikers, Axel von Maltitz, "schwer traumatisiert". Der 27-Jährige war etwa ein halbes Jahr bei "Exilio", einem gemeinnützigen Verein, der nach eigenen Angaben "ganzheitliche Hilfe für Migranten, Flüchtlinge und Folterüberlebende" anbietet. Zentrale Personen im Verein sind nach BR-Recherchen das Ehepaar Gisela und Axel von Maltitz. In ihrem Haus ist die Einrichtung "Exilio" untergebracht. Dort praktizieren auch beide. In der Einrichtung arbeiten Sozialpädagogen und Heilpraktiker für Psychotherapie.

Im BR-Interview sagt von Maltitz, dass in seinen Augen eine drohende Abschiebung nach Bulgarien der unmittelbare Auslöser für die Tat gewesen sein könnte. Den Ämtern sei das "ganz klar bekannt" gewesen.

"Ich habe ganz klar gewarnt, dass ihm dieser spektakuläre Suizid zuzutrauen ist, in dem Moment, wo man ihn nach Bulgarien abschieben möchte. Wenn diese Androhung kommt, dann ist das möglich, so habe ich das formuliert - und zwar anderthalb Jahre vorher."

Axel von Maltitz, Exilio Heilpraktiker

Der 27-Jährige spätere Attentäter sei jemand gewesen, der "Aufmerksamkeit erringen wollte". Seiner Einschätzung nach wurde er nicht vom IS gesteuert. "Er hat sich in Therapie begeben, weil es ihm sehr schlecht gegangen ist. Das spricht zum Beispiel auch dagegen, dass er IS-gesteuert wäre. Ein Soldat des IS würde nicht in Psychotherapie kommen."

"Exilio" ist im Landkreis umstritten

Axel von Maltitz, Heilpraktiker für Psychotherapie, der den Attentäter von Ansbach in Behandlung hatte.

Die Einrichtung "Exilio" ist im Landkreis umstritten. Das Landratsamt Lindau arbeitet seit längerem nicht mehr mit dem Verein zusammen. Zudem vergibt das Landratsamt Aufträge für psychiatrische Gutachten ausschließlich an Fachärzte. Eine Sprecherin des Landratsamtes erklärte auf BR-Anfrage, dass der Ansbach-Attentäter dem Landkreis Lindau nicht zugewiesen und dort auch nie gemeldet war. Nicht bekannt war dem Landratsamt demnach, dass der Mann in Lindau eine therapeutische Behandlung bekommen hat.

Bereits im Mai 2015 hatte das Landratsamt erklärt, dass sie die Zusammenarbeit mit dem Verein "Exilio" bei der Betreuung von zwei Gemeinschaftsunterkünften beendet haben. Hintergrund waren Probleme in der Zusammenarbeit. Das Landratsamt hatte Exilio vor gut einem Jahr als Partner "mit intransparenter Projektaquise und -durchführung" bezeichnet, bei dem "keine verlässliche Absprache und Zusammenarbeit" erkennbar war.

Müller: "Exilio" von Seiten der Fachkräfte geeignet

Diese Bedenken gegenüber der Lindauer Einrichtung sind anscheinend nicht überall vorhanden. Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) sagte am Donnerstag, dass "Exilio" von Seiten der Fachkräfte und Experten als Einrichtung für eine Therapie geeignet war. Müller bestätigte, dass der 27-Jährige Syrer, der zwei Selbstmordversuche hinter sich hatte, zunächst stationär im Bezirkskrankenhaus Ansbach behandelt wurde und anschließend eine Traumatherapie begann. Diese verlief bis Januar 2016.

Müller sagte, dass der Antrag auf Fortsetzung der Therapie zehn Tage nach Beendigung gestellt wurde. Das zuständige Sozialamt in Ansbach habe diesen auch bewilligt, unmittelbar nachdem das dafür notwendige ärztliche Gutachten eingetroffen war. Darin heißt es nach BR-Informationen wörtlich: "Deshalb wird empfohlen, die Psychotherapie entsprechend dem Vorschlag von Exilio fortzusetzen."

"Allerdings hat sich dieses Gutachten enorm hinausgezögert."

Emilia Müller, Bayerns Sozialministerin (CSU)

Attentäter wollte Therapietermin verschieben

Axel von Maltitz sagte im BR-Interview, dass er den Antrag auf Weiterführung der Therapie im Februar gestellt habe. Im Juli sei die Fortsetzung bewilligt worden. Von Maltitz sagte, er habe eine Woche vor dem Attentat mit dem 27-Jährigen telefoniert und einen Termin ausgemacht. Der Syrer habe den Termin jedoch nicht, wie vorgeschlagen, am 25. Juli wahrnehmen wollen, sondern eine Woche später.

"Es steht noch bei mir im Kalender, der 1. August. Da hatte ich ihn erwartet."

Axel von Maltitz, Exilio Heilpraktiker

Auf die Frage nach der Suizidgefährdung verweist von Maltitz auf die Entlassungspapiere der Klinik in Ansbach.  "Das ist für mich auch eine Absicherung, das niemand hier Suizid begeht. Insofern war eine Garantie da. Ich habe die Suizidalität auch nur insofern diagnostiziert, als eine Abschiebung angedroht wird.“

Das Schild vor der Einrichtung "Exilio" in Lindau.

Das Landratsamt Lindau verweist am Donnerstag darauf, dass nach den Vorgaben des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege zum Beispiel bei der Beurteilung der Reiseunfähigkeit eines vollziehbar ausreisepflichtigen Asylbewerbers ein fachärztliches Attest vorgelegt werden muss, das gewisse Mindestanforderungen erfüllen muss. Eine Bescheinigung eines approbierten psychologischen Psychotherapeuten oder Psychotherapeuten erfüllt demnach zum Beispiel bei Suizidgefahr als Folge einer psychischen Erkrankung nicht die gesetzlichen Anforderungen. Weiter heißt es in den Vorgaben des Ministeriums, dass auch bei einer Begutachtung auf eine posttraumatische Belastungsstörung als Mindeststandard die Anerkennung als Fachärztin bzw. Facharzt für Psychiatrie, für Psychiatrie und Psychotherapie oder als Nervenärztin, bzw. Nervenarzt zu fordern ist. 

Rückblick auf den Ansbacher Anschlag

Am Sonntagabend hatte der Syrer den bisherigen Erkenntnissen zufolge versucht, auf das Gelände eines Open-Air-Festivals zu gelangen. Er war allerdings nicht eingelassen worden, da er keine Karte hatte. Anschließend detonierte der Sprengsatz vor einem der Zugänge. Insgesamt wurden 15 Menschen verletzt, vier davon schwer. 


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Bernd, Sonntag, 31.Juli 2016, 16:05 Uhr

25. Bitte genauer differenzieren

Nur (approbierte) Psychotherapeuten dürfen psychotherapeutische Behandlungen anbieten. D.h. nicht nur geschützte Berufsbezeichnungen ("Psychotherapeut") sind entsprechend ausgebildeten Fachkräften vorbehalten, sondern auch die damit verbundenen Leistungen. Somit darf auch von einem Heilpraktiker nicht der Anschein erweckt werden, dass solche Leistungen zu seinem Angebot gehören. Der Begriff "Psychotherapeutische Heilpraxis" implementiert jedoch, dass genau dies der Fall ist. Leider sind sich nur die wenigsten Behörden dieses Umstandes bewusst. Auch die Autoren des vorliegenden Artikels scheinen überfordert, zwischen "Fachärzten für Psychiatrie & Psychotherapie" und "Psychotherapeuten" (beides Heilberufe mit Approbation) sowie "Psychologen" und "Heilpraktikern für Psychotherapie" (beides ohne heilberufliche Fachkunde und Approbation) zu unterscheiden.

Psychologischer Psychotherapeut, Sonntag, 31.Juli 2016, 14:29 Uhr

24. Heilpraktiker abschaffen

Zum wem möchten Sie im Falle schwerer psychischer Krankheit? Zu jemandem mit der Erfahrung von 5-6 Jahren Studium, 5-6 Jahren Therapieausbildung, der Erfahrung einer eigenen Therapie und den strengsten Fortbildungsverpflichtungen aller Berufsgruppen (Psychologische PsychotherapeutInnen und FachärztInnen für Psychosomatik oder Psychiatrie)? Oder zu einer Kräuterhexe, die ein paar Wochenendkurse belegt hat? Der sogenannte "Informed Consent" stellt eine bedeutsame Grundlage jeder Behandlung dar. Wurde hier über die Möglichkeit alternativer Behandlungen bei kompetenteren Kollegen aufgeklärt?
Es bleibt nur zu hoffen, dass der eben nicht Kollege die volle Härte des Paragraphen 203 StGB (Schweigepflicht) kennenlernt: "Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe."

J.p., Samstag, 30.Juli 2016, 20:02 Uhr

23. Heilpraktiker

Als Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie habe ich häufig mit Patienten in Ausnahmesituationen zu tun. Ich schließe mich der approbierten psychologischen Psychotherapeutin an, es ist unfassbar
, dass unwissende Dilettanten und Scharlatane mit der Behandlung solcher Menschen betraut werden. Heilpraktiker sind nicht ausgebildet,. Man vergleiche deren "Ausbildung" mit derer von Fachärzten und approbierten Psychotherapeuten. Wann wird dieser Wahnsinn ein Ende nehmen ? Wer klärt die bedauerlichen Menschen die aus Unwissenheit an solche " Heiler" geraten?

Lanzelot, Samstag, 30.Juli 2016, 19:19 Uhr

22. Ein (UN)Heilpraktiker ist kein Pyschologe

Die Diskussion ist doch wirklich keine neue
Heilpraktiker, die Psychologen spielen sind keine Experten, für gar nichts, dass habe sie tausende Male unter Beweis gestellt
Der Fehler liegt im System.
Es wären die Menschen zur Verantwortung zu ziehen, die einem Betroffenen, der tatsächlich echte Hilfe benötigt hätte, dies verweigert haben und ihn
irgendwelchen Schwurblern überlassen haben
Damit haben sie das Leben ALLER Beteiligten auf dem Gewissen

Ärzten wird wegen so etwas auch schon mal die Approbation entzogen
Die Phantasie-Heiler und Schwafler müssen sich kein Sorgen machen, immer fröhlich weiter wurschteln
Ein Pseudo-Heiler, darf auf keinem Fall irgendwelche klinisch relevanten Aussagen tätigen, schon gar kein verbindliches Gutachten
Da ist wohl alles falsch gelaufen, was falsch laufen lann
Mit fatalen Konsequenzen

Schätze, wird keinen groß stören
Die Ganzheitlich-Schwafler werden weiter machen

Juliavt, Samstag, 30.Juli 2016, 08:12 Uhr

21. Skandal

Als abbrobierte psychologische Psychotherapeutin kann ich nur sagen, dass es ein Skandal ist, dass diese Unprofessionalität in Auftrag gegeben wurde und bezahlt. Dass es keine Lappalie ist, wenn unqualifizierte Menschen, die sich für Heiler halten, auf schwer kranke Menschen losgelassen werden, hat sich in diesem Fall auf tragische Weise gezeigt. Die Unwissenheit der Behörden, die dieses system mittragen, ist der zweite Skandal... Heilpraktiker für Psychotherapie bedeutet nicht abbrobation! Und ein Psychologiestudium mit anschließender mehrjähriger Zusatzausbildung ist nicht das gleiche wie das belegen von Wochenend-Kursen.

  • Antwort von Kerstin Genzow, Samstag, 30.Juli, 12:01 Uhr

    sehr richtig!
    ich hoffe, der zuständige Staatsanwalt ermittelt gegen den Mann wegen "Unterlassener Hilfeleistung", "Fahrlässiger Tötung", "Nichtanzeige geplanter Straftaten" und "Verstoss gegen die Schweigepflicht".

    Und ich hoffe, dass unsere Behörden so unprofessionelle Zustände nicht noch weiterhin bezahlen!

  • Antwort von eineLeserin, Sonntag, 31.Juli, 01:42 Uhr

    VORWEG: Als approbierte psychologische Psychotherapeutin sollte man Approbation schon richtig schreiben können! ABER: Die Kritik ist hier sicher angebracht: Wer Menschen mit so gravierenden Diagnosen (PTBS, Persönlichkeitsstörung...) behandeln möchte, sollte diese zuerst ausreichend ernst nehmen und zwar indem er/sie ausreichend dafür ausgebildet ist...