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Was bewegt Deutschland? Ängste im reichen Oberbayern

Was bewegt die Leute im reichen Oberbayern? Haben sie überhaupt Probleme? Lisa Weiß ist für uns in ihre Heimatstadt Rosenheim zurückgereist.

Von: Lisa Weiß

Stand: 26.08.2017 | Archiv

Ortsschild Rosenheim | Bild: Montage: BR

Angekommen am Bahnhof in Rosenheim, ein schlichter Fünfzigerjahre Bau. Ich habe eine gute halbe Stunde Zugfahrt hinter mir - Rosenheim liegt etwa 60 Kilometer von München entfernt, hat etwa 60 000 Einwohner. Hier, in der Stadt mit dem Alpenpanorama, bin ich aufgewachsen und zur Schule gegangen.

Traumberuf Lehrer?

Ein alter Schulkamerad ist Kristof Kühnel. Zusammen haben wir viel Blödsinn gemacht, mittlerweile ist er selbst  ausgerechnet Lehrer.  Er holt mich vom Bahnhof ab, wir gehen ein paar Minuten durch die vertrauten Straßen.

"So, wir sind jetzt an der Berufsschule Rosenheim angekommen, das ist inzwischen meine neue schulische Heimat und hier treib ich mich rum, wenn ich nicht gerade frei habe. Ich unterrichte hier vor allem Religion und Flüchtlinge und die BIJ-Klassen, das heißt, die Schüler, die keine Ausbildung bekommen haben."

 Kristof Kühnel, Lehrer

Flüchtlinge aus der Berufsschule Rosenheim

Er hat eigentlich Gymnasiallehramt studiert, danach keine Planstelle bekommen und arbeitet jetzt als Aushilfe an der Berufsschule. Er bekommt nur Jahresverträge – und weiß schon jetzt: Nach spätestens fünf Jahren muss er weg von staatlichen Schulen.

"Ich kann quasi nicht in die Zukunft planen, ich kann kein Haus kaufen, kein Auto kaufen und allein halt einen sicheren Arbeitsplatz wäre nach zwei Jahren Referendariat, fünf Jahren Studium eigentlich eine schöne Sache.  Das ist irgendwie sehr, sehr frustrierend, weil wenn man das mal hochrechnet, dann kommt man mit Studium, Referendariat auf sieben Jahre, die erst mal für die Katz sind eigentlich."

Kristof Kühnel, Lehrer

Von seinen 32 Mitreferendaren haben bisher nur drei eine feste Stelle bekommen, viele haben das Lehrersein ganz aufgegeben, sagt Kristof. Dabei fallen doch an vielen Schulen Stunden aus, weil die Lehrer fehlen, sagt er. Und fragt sich: Kann sich das reiche Bayern wirklich nicht mehr Lehrer leisten?

Veränderungen im Stadtbild

Rosenheim, Mittertor, Altstadt

Mir fällt auf: Nicht nur auf dem Pausenhof der Berufsschule, sondern auch in den Straßen Rosenheims gibt es plötzlich deutlich mehr dunkelhäutige Menschen als früher. Kein Wunder, schließlich liegt Rosenheim an der Bahnstrecke von und nach Italien, auch die Autobahn aus dem Süden führt hier vorbei. Während der Flüchtlingskrise 2015 war Rosenheim einer der Ankunftsorte Nummer eins. Kristof findet es gut, dass Rosenheim bunter wird. Aber sagt auch: Darüber wird in der Stadt viel gestritten.

"Also auch in meinem Freundeskreis gibt es durchaus Diskussionen, es gibt Menschen, die sagen, sie haben einfach Ängste, sie müssen jetzt Angst haben, wenn sie nachts über die Straße gehen, manche Kolleginnen auch kommen mit den Flüchtlingen an der Schule nicht so gut klar, weil sie sagen,  als Sportlehrerin kämpfen sie mit mangelndem Respekt seitens der Schüler. Das sind aber Einzelfälle, die’s aber durchaus gibt."

Kristof Kühnel, Lehrer

Dahoam in Riedering

Mit meinem Vater zusammen fahre ich nach Riedering. Ein Dorf, ein paar Kilometer außerhalb der Stadt, in dem viele meiner Verwandten wohnen. Auf der Autofahrt dorthin frage ich mich, seit wann eigentlich die Kühe auf den Wiesen hier verschwunden sind.

Bei einem der letzten Bauernhöfe biegen wir ein. Wir besuchen Sebastian Niedermaier, einen Freund meiner Eltern. Er ist um die 60, hat Frau, drei erwachsene Kinder, drei Enkelkinder. Und eben einen Bio-Bauernhof, den er als Nebenerwerbslandwirt führt. Eigentlich schon genug Arbeit – aber Sebastian Niedermaier engagiert sich in fast jedem Verein in Riedering, sitzt seit 15 Jahren für eine freie Wählergemeinschaft im Gemeinderat. Während wir bei ihm hausgemachten Wurstsalat essen, erzählt er uns, was das Dorf gerade bewegt.

"Den Kindergarten hamma jetzt aufn weg bracht. Dann des große Thema ist, dass die Jungen dableibn können, des Bauland für Einheimische. Zum Beispiel in Riedering is des ganz schwierig, eine Wohnung zum kriegn. Gewerbe – wie wollen wir unseren Ort dahoitn, damit man ned verschandeln. Das große Thema ist auch bei uns jetzad de Nahversorgung."

Sebastian Niedermaier, Gemeinderat  Riedering

Flüchtlinge auch hier Thema

Straßenschäden in Riedering

Denn es gibt zwar noch genug Ärzte, Banken und Bäcker in Riedering – aber der Dorf-Kramer, der wird jetzt schließen. Und worüber wird am Stammtisch noch diskutiert? Auch hier sind es die Flüchtlinge -  die, die in Riedering untergebracht sind. Die Dorfgemeinschaft kümmert sich, die Integration läuft gut, sagt Sebastian Niedermaier. Es sind meist nette Leute, viele haben schon Arbeit gefunden.

"I muaß sogn, a jeder, der wo Schutz braucht, da bin i so viel Demokrat und aa absolut dafür,dass der bei uns dableibn derf. Aber sobald oana sich nicht unterordnen kann, zum Beispiel straffällig wird – ohne wenn und aber raus."

Sebastian Niedermaier, Gemeinderat  Riedering

Just do it

Sebastian Niedermaier ist ein Mann der politischen Mitte, sagt er von sich selbst. Und ein Wechselwähler: Er schaut sich genau die Haltungen von allen Parteien an zu den Themen, die ihn interessieren. Gerade ist das die Rente, sagt er. Und wählt dann den, der ihn am meisten anspricht.  Und dieses Mal? Er wünscht sich einen Wandel, sagt er. Als er uns verabschiedet, bemerke ich die Aufschrift auf seinem blauen T-Shirt: Just do it – Mach es einfach. Ich muss lachen.

Wahlserie: Was bewegt Deutschland?

"Was bewegt Deutschland im Vorfeld der Bundestagswahl? Um diese Frage ein Stück weit beantworten zu können, haben sich fünf Kolleginnen in ihre Heimatorte aufgemacht, haben mit den Menschen dort gesprochen, um herauszufinden, was ihnen auf den Nägeln brennt.

Wenn die Lichter ausgehen. Die Angst der Bergmänner in Heringen. Von Andrea Herrmann

Nicht viel los – Radevormwald zwischen Heimatgefühl und Landflucht. Von Nina Landhofer

Im Herzen Europas. Saarlouis und Dillingen brauchen offene Grenzen. Von Sissi Pitzer

Verfall der politischen Kultur - Merkel im Pegida-Land. Von Alexandra Gerlach


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