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Münchens große Straßen Gedanken von Wolfgang Binder

Gedanken von Wolfgang Binder über Straßen in der Weltkultur und ihre Bedeutung für uns Menschen.

Stand: 25.03.2021 15:04 Uhr

Wolfgang Binder | Bild: Sabine Schweitzer

Dass Straßen auf der ganzen Welt immer wieder Songschreiber und Liedermacher inspiriert haben, lässt sich ganz leicht bei einem Blick in die Archive der Musikgeschichte belegen. Da schlendert man mit Gerry Rafferty durch die Baker Street, Paul McCartney besingt die Penny Lane, in der er den Bus wechseln musste, um zu John Lennon zu kommen und bei Sting steht der Mond über der Bourbon Street in New Orleans im Mittelpunkt. Die Liste lässt sich beliebig fortschreiben, selbst im Kinderlied sitzen drei Chinesen mit dem Kontrabass auf der Straße und erzählen sich was.

Blick vom Dach auf die Ludwigstraße | Bild: BR | Bayern erleben zum Video mit Informationen Bayern erleben Münchens große Straßen

Straßen sind wie unser Leben - weiter, immer weiter geht es. Die Straße des Lebens entlang. Mehr als 6.000 Straßen gibt es in München. Der Film von Dr. Michael Zehetmair und Wolfgang Binder zeigt sechs große Straßen in München. [mehr]

Vielleicht saßen sie irgendwo auf der alten Seidenstraße, die ja überwiegend durch chinesisches Gebiet verläuft. Diese Handelsstraße bestand aus einem ganzen Netz von vielen verschiedenen Karawanenstraßen, dessen Hauptroute den Mittelmeerraum auf dem Landweg über Zentralasien mit Ostasien verband. Heute verbirgt sich hinter dem Begriff "Neue Seidenstraße" ein umstrittenes wirtschafts- und geopolitisches Megaprojekt, das Kern der chinesischen Außenpolitik ist.

Ursprünglich geht der Name "Straße" auf den lateinischen Begriff "Via strata", den gepflasterten Weg zurück, der als Möglichkeit für die leichtere Fortbewegung von einem Ort zu einem anderen diente. Damit war sie die ideale Grundlage für den Transport von Waren und Gütern und Fußgänger konnten auf direktem Weg ihr Ziel erreichen.

Die wohl berühmteste Straße aus dem Altertum ist bestimmt die Römerstraße "Via Appia", deren Bau im Jahre 312 vor Christus unter dem Konsul Appius Claudius Caecus begonnen wurde. Heute noch ist die Via Appia als Staatsstraße 7 ein wichtiger Teil des italienischen Fernstraßennetzes und hat zum großen Teil immer noch den gleichen Verlauf wie damals die antike Straße. Sie führt über eine Strecke von etwa 540 Kilometern von Rom nach Brindisi in Apulien.

Dass Rom immer schon ein wichtiges Zentrum und Anlaufpunkt war, dass die Stadt am Tiber immer schon das Ziel, aber auch den Ursprung des antiken Straßennetzes darstellte, zeigt auch das beliebte Sprichwort: "Alle Wege führen nach Rom". Dieser Satz ist im übertragenen Sinne gemeint und der Weg wird damit zur Metapher für unsern Lebensweg.

Der aber ist weitaus mehr als das bloße Unterwegssein. All unsere Träume, Wünsche und Sehsüchte, all unsere Gedanken und Entscheidungen werde in ihm gebündelt. Der Lebensweg wird auch davon bestimmt, welche Entscheidungen man trifft, das heißt, welchen Weg man einschlägt. Der Mensch kann also auch immer wieder selbst beeinflussen, in welche Richtung sein Leben geht.

Der Begriff des "Weges" wird in unserer Sprache häufig auch im übertragenen Sinn genutzt. Treffen wir eigene Entscheidungen und suchen nach Alternativen, gehen wir neue Wege. Sind diese Entscheidungen positiv heißt es, wir sind auf einem guten Weg. Ein andermal sind wir auf dem Weg der Besserung, wenn wir verloren gegangene Kräfte erneuern und uns selbst auch dann nicht vom Weg abbringen lassen, wenn uns jemand Steine in diesen legt. Der Weg zieht sich also durch unser ganzes Leben wie ein roter Faden und manchmal muss man jemandem besser aus dem Weg gehen, dem man nicht so recht über den Weg traut.

Wege sind mit Aufbruch, mit Bewegung und damit mit dem Unterwegssein verbunden. Sie stellen mit ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit und den verschiedenen Gefahren eine besondere Herausforderung für den Menschen dar, der über Jahrtausende auf ihnen zu Fuß unterwegs sein musste. Damit wird der Weg aber auch zum Symbol für unser gesamtes Leben. Die innere Entwicklung eines jeden Menschen wird auch durch das Unterwegssein gefördert. "Gehe deinen eigenen Weg" meint daher auch den Prozess der Selbstverwirklichung anzustreben, dessen Ziel die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit ist. Auch in der Religion spielt der Begriff eine Rolle, denn der rechte Weg gilt hier als Weg zum Heil. "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" heißt es auch im Neuen Testament bei Johannes 14,6.

"Ich bin dann mal weg" heißt es dagegen bei Hape Kerkeling und seinem Bestseller aus dem Jahre 2006, in dem er die Wanderung auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela beschreibt. Der Jakobsweg ist einer der bekanntesten Pilgerwege der Welt. Wer pilgert, ist dafür oft mehrere Tage oder sogar Wochen unterwegs, früher fast immer aus religiösen Gründen, für das Seelenheil, als Buße oder aus Dankbarkeit. Heute geht es eher darum, seinen Alltag zu vergessen und sich auf die wesentlichen Dinge des Lebens zu konzentrieren, zu sich selbst zu kommen. Es ist also eine Reise zu sich selbst, der Weg ist das Ziel.

Was aber für den einen der Jakobsweg ist, ist für andere die Route 66. Seit 1926 gilt diese legendäre Fernstraßenverbindung mit knapp 4000 Kilometern als die längste Straße der USA und führt von Chicago nach Santa Monica in Kalifornien. Ursprünglich war sie eine der ersten durchgehend befestigten Straßenverbindungen zur Westküste. Heute ist sie nur mehr teilweise befahrbar, dient aber vor allem Motorradtouristen und Nostalgikern immer noch als beliebte Reiseroute. "Der Weg ist das Ziel" - in dem Fall trifft dieses Sprichwort auch wörtlich zu. Den Weg genießen, jeden einzelnen Kilometer.

Aus den Vereinigten Staaten stammt auch der Begriff "Roadmovie", ein Filmgenre, in dem die Handlung vorwiegend auf Landstraßen und Highways spielt. Die Reise wird dabei zur Metapher für Freiheit und Unabhängigkeit. Peter Fonda und Dennis Hopper wurden 1969 so zu Helden einer ganzen Generation und ihr Film "Easy Rider" Kult. Lange vor diesem Filmklassiker, im Jahre 1954, erzählt der große italienische Regisseur Federico Fellini in dem Melodram "La Strada - das Lied der Straße" die Geschichte von ungewöhnlichen Zirkusmenschen, die auf der Straße umherziehen und wir erleben ihren täglichen existentiellen Kampf. Der Film ist eine Allegorie des Daseins und geht der Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens nach.

Fellini wird in Rimini geboren, sein Lebensweg führt ihn in die Stadt Rom, und diese bleibt bis zu seinem Tod sein Arbeits- und Lebensmittelpunkt. Viele seiner Filme spielen in dieser Stadt und vor allem mit seinem Film "Roma" setzt er seiner Lieblingsstadt ein imponierendes Portrait. 1993 stirbt Fellini in Rom, der Kreis schließt sich damit, denn alle Wege führen nach Rom.


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