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Ruhmeshalle The Prodigy - Experience

Rave, Acid-House, Jungle, Breakbeats, Reggae- und Rap-Samples. Der Sound auf "Experience" ist einzigartig. Mit dieser Platte schaffen The Prodigy einen Meilenstein.

Von: Franz Liebl

Stand: 10.08.2010 | Archiv

Keith Flint, Mitglied von The Prodigy, beim Roskilde Festival 2010 | Bild: DPA/Martyn Goodacre

1992: Ich bin 13 und mit einem älteren DJ befreundet, der am Sonntagnachmittag eine Stunde bei der Jugenddisco in der örtlichen Bauerndisse Techno und Rave auflegt. Einmal in der Woche darf ich mir bei ihm die neuesten Scheiben anhören.

An diesem einen Tag steht eine weiße Doppel-LP mit schlichtem schwarzem Schriftzug da. Das Cover spricht mich gleich an. Ich frag ihn: "Wos is des?" Er nimmt die zweite Platte heraus, schmeißt sie auf seinen 1210er, reißt die Anlage auf und meint nur: "Das hier ist unfassbar!" Er spielt mir "Fire" von The Prodigy in der Sunrise Version vor.

Vier bis fünf Songideen in einem Track

Albumcover "The Experience" von The Prodigy | Bild: XL Recordings

The Prodigy - Experience (Cover)

"Experience", das Debüt-Album von The Prodigy, hat nicht nur mich als 13-Jährigen einfach weggeblasen. Die Fülle an unterschiedlichen Stilen und ihre perfekte Mischung, teilweise vier bis fünf Songideen in einem Track - das konnte ich damals kaum verkraften. Rave, Acid House, Jungle, schnelle Breakbeats, Reggae-Samples und Rap-Fetzen. Wahnsinn!
Dazu die noch nie gehörten Techno-Sounds, die in jedem Track mehrfach auftauchen, von denen jeder einzelne auch heute noch ein ganz eigenes Klangerlebnis ist. Was Liam Howlett, musikalischer Kopf hinter The Prodigy, mit "Experience" geschaffen hat, ist auch heute noch für mich einzigartig und unkopierbar.

Elektronisch und trotzdem eine Band

Howletts Sound-Perfektionismus ist das eine. Die Songstrukturen das andere. Alle Tracks haben ein durchdachtes Arrangement, stehen für sich alleine, haben ein wiedererkennbares Vocal-Element und sind nicht einfach nur vier Minuten Filterspielerei. "Out of Space" ist das Paradebeispiel. Der Refrain, gesampelt vom Reggae-Hit "I Chase the Devil" von Max Romeo, macht den Song zum Hit.

Aber nicht nur die Musik hat mich bei The Prodigy beeindruckt. Sie waren von Anfang an eine Band. Im Booklet von "Experience" hat jeder seine feste Aufgabe: Liam Howlett fungiert als Soundtüftler, Leroy Thornhill ist der Tänzer, Keith Flint, auch Tänzer, macht später den "Firestarter"-Punk, Maxim arbeitet als MC. Jeder der Mitglieder ist unverwechselbar, eine Type. Ein Erfolgsgarant im Mutterland der Boygroups Anfang der 1990er.

Vorreiter für die Generation "Big Beat"

Klar, dass ich nicht der einzige war, dessen Welt Prodigy durcheinander gewirbelt haben. Auf "Experience" erfinden sie ganz nebenbei den Big Beat. Fatboy Slim, der Big Beater überhaupt, hat auf seinem Hit-Album "You've Come A Long Way, Baby" von 1998 - also sechs Jahre später - die gleichen Zutaten: Breakbeats, Technosounds, rhythmische Wortfetzen.

Und: Der letzte Song auf "Experience" nimmt schließlich noch ein Genre vorweg, dass sich erst Ende der Nuller-Jahre etablieren wird.

Die Techno-Beats sind laut und hart, Rapper Maxim spießt einen quasi auf mit seinen scharfen Vocals. Es ist eine Frühform dessen, was heute als Techno-Rap bezeichnet wird. Der ist natürlich auch vom Eurodance-Wahnsinn und von Drum'n'Bass-Beats beeinflusst. Aber ohne The Prodigy als Live-Band gäbe es kein Deichkind, keinen Frauenarzt und keine Frittenbude.


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