0

Wahrheits-Jongleure Die wunderbare Welt der Kommunikationsguerilla

Kommunikationsguerilleros überkleben Werbung, hacken Datenbanken oder fälschen mal eben die größte deutsche Wochenzeitung samt Onlineausgabe. Ein Überblick über die spannendsten Guerilla-Künstler unserer Zeit.

Stand: 23.03.2009 | Archiv

Eine gefälschte Ausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" liegt am Samstag (21.03.2009) in Berlin auf einer Originalausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" (Illustration). Das globalisierungskritische Netzwerk Attac verteilte das Plagiat am Samstag in mehr als 90 deutschen Städten. "Am Ende des Tunnels" lautet die Überschrift auf der Titelseite der Gratisausgabe - das Erscheinungsdatum ist der 1. Mai 2010. Etwa 150 000 Exemplare der gefälschten, acht Seiten starken "Zeit"-Ausgabe wurden von Flensburg bis Freiburg in vielen größeren und kleineren Städten Deutschlands verteilt, allein in Berlin waren es nach Angaben einer Sprecherin mehr als 10 000. Foto: Arno Burgi dpa/lbn dpa/lnw (zu dpa 0167)  +++(c) dpa - Report+++ | Bild: picture-alliance/ dpa

Sie haben die Nase voll "von der Ausschließlichkeit furztrockenen Flugblattschreibens". Der moderne Widerstand muss nicht mehr die Macht selbst angreifen, sondern ihre Symbole. Die Kommunikations-Guerilleros sind Experten der Sprache, der Mediencodes. Und Widerstand darf auch Spaß machen. Vier Strategien im Überblick.

Prinzip Nummer 1: Faking

Unter Faking fällt: Webseiten nachahmen, Zeitungen fälschen oder gleich fremde Identitäten annehmen und dann zum Beispiel Interviews als offizielle Firmensprecher geben. So kann Organisationen oder Firmen etwas in den Mund gelegt werden, was diese sonst nie zugeben würden. Spezialist für Fakes ist die italienische Künstlergruppe Les Liens Invisible. Sie hat sogar einen Website Fake-Generator, mit dem man zum Beispiel die Homepage des Bundeskanzleramts nachbauen kann. Ihr letztes Opfer: die Website zu den Olympischen Spielen in Peking. Unter der Adresse peking2008.com gab es dann erstaunlich regimekritische Stimmen oder Bilder von blutenden tibetischen Mönchen. Andere Faker verlassen sich noch auf den guten alten Brief und locken Kunden beispielsweise mit dem Versprechen, gentechnisch veränderte Produkte würden massenhaft im Supermarkt verschenkt. Natürlich gibt es dann nichts umsonst, aber so wird darüber diskutiert.

Prinzip Nummer 2: Adbusting

Adbust: Werbebotschaften umdeuten

Abdust setzt sich zusammen aus den Begriffen Ad für Advertising und Busting für Auffliegen, was so viel bedeutet wie Werbung zerstören oder verändern. Adbuster kleben beispielsweise auf die Fotos von supermageren Models Photoshop-Pfeile, die uns sagen sollen: Dieses Bild ist manipuliert. Oder auf einer Air-Berlin-Anzeige mit dem Grinsemann Johannes B. Kerner pappt der Hinweis "Ich bin ein Klimakiller". Andere Aktivisten schneiden aus riesigen Transparenten einfach das komplette Produkt oder Logo. Wenn sie schon was hinzufügen, dann bitteschön Schweineohren an klimaschädliche Autos. Das Prinzip ist simpel: Die ursprüngliche Werbebotschaft wird entstellt, bloßgestellt, verkehrt. Denn - so sagen die Adbusters - wir leiden an einer visuellen Umweltverschmutzung. Die ganze Werbung ist Dreck für unsere Augen und Köpfe. Und zur Hölle mit den maßlosen Konsumverführern.

Prinzip Nummer 3: Hacktivism

Ärmster: Opfer von Hacktivisten.

Hacken und Aktivismus ergibt: Hacktivism. Die Kommunikations-Guerilleros manipulieren Newsseiten oder schleichen sich, wie zum Beispiel Tobias Leingartner, in die Studi-VZ Datenbank ein. Sein Love Bot soll einsame Herzen zusammenführen und zeigt gleichzeitig, wie nachlässig StudiVZ mit Datenschutz umgeht. Auch eine beliebte Plattform zum Protestieren: Ebay. Der User mit dem Namen Powerseller08 bietet einen "wunderschönen Pelzmantel" oder einen "Adidas Bikini, sexy". Wer auf das Angebot klickt, bekommt aber vor allem viele unangenehme Infos über die Produktionsbedingungen der Textilindustrie. Auch immer vorne mit dabei: das österreichische Künstlerduo "Übermorgen". Ihr skurrilstes Projekt bis jetzt: Um gegen die Datenmacht und den Börsengang von Google zu demonstrieren, schaffen sie das Projekt: "Google will eat itself". Auf versteckten Webseiten werden Google-Adwords untergebracht, mit dem Erlös werden wiederum Google-Aktien gekauft. Das Ganze sollte so lange gehen, bis Google dann endlich komplett aufgekauft ist und den Nutzern gehört.

Prinzip Nummer 4: Chaos im öffentlichen Raum

Okay, Flashmobs sind irgendwie vorbei, aber da gibt's noch mehr. Immer wieder für schöne und absurde Situationen im öffentlichen Raum verantwortlich sind die US-Prankster von "Improv Everywhere". Sie treffen sich zu Tausenden auf öffentlichen Plätzen, fahren nackt in der U-Bahn oder demonstrieren vor einer Wendys-Burger-Filiale in den USA. Ihr größter Coup bis jetzt: das Nachstellen eines U2-Konzertes auf einem Hochhaus, einen Tag bevor das echte Konzert stattfinden sollte. Die Message der Spaß-Guerilla-Aktivisten: Hey Leute, die Welt da draußen ist aufregend genug. Für deine Unterhaltung musst du nicht vor der Glotze versauern.

Am cleversten geht es aber bei der österreichischen Künstlergruppe Monochrom zu, die schon so viele Coups auf ihrem Konto hat, dass sie inzwischen Schulstoff in jedem österreichischen Gymnasium sein sollten. Eines ihrer Highlights: der Streichelnazi, ausgestellt auf einem großen Wiener Platz. Jeder darf mal anfassen. Damit Österreich zu seinen wahren Gefühlen steht und "die Nazi-Vergangenheit endlich ausreichend würdigt".

Das Ziel aller Guerilleros: Für Irritationen sorgen - und wenn jemand nur eine Sekunde darüber nachdenkt, "was wollen die denn?", dann haben sie ihr Ziel eigentlich schon erreicht.


0