Turnhallen-Trauma Warum Sportunterricht für manche die Hölle ist

Manche halten Völkerball für Mobbing. Doch nicht nur Völkerball, der gesamte Sportunterricht kann uns Sport fürs Leben madig machen. Wir haben gefragt, was junge Sportlehrer*innen lernen, um das Fach für alle cool zu machen.

Von: Tobias Krone

Stand: 12.07.2019 | Archiv

Schüler sitzen in der Turnhalle um den Mittelkreis herum.  | Bild: dpa/ Daniel Reinhardt

Es gibt so Erlebnisse aus der Schulzeit, die gehen einem noch jahrelang nicht aus dem Kopf. Zum Beispiel die aus dem Sportunterricht. Völkerball sei "legalisiertes Mobbing", sagen kanadische Forscher – und haben damit unter dem Hashtag #voelkerball eine große Debatte im Netz ausgelöst. Auch in Deutschland gibt es Wissenschaftler wie Thomas Froschmeier von der TU München, die das Spiel mit dem weichen Ball problematisch sehen. Schließlich gehe es nicht darum, dass man einen Korb oder das Tor nicht getroffen habe, "sondern man wird abgeworfen. Man ist auch irgendwie blamiert."

Wie traumatisierend Völkerball nun ist – darüber streiten Experten. Doch klar ist: Sportunterricht allgemein kann uns, wenn er falsch läuft, die Lust am Sportmachen komplett nehmen.  Das bestätigt auch Filip Mess – bestens durchtrainiert und Professor an der TU München für Sport- und Gesundheitsdidaktik: "Das typische Beispiel aus dem Sportunterricht ist ja immer: Man wählt Mannschaften und am Ende bleiben zwei, drei Schüler immer übrig. Und es geht darum, wer bekommt diese schlechten Schüler, weil man ja sein eigenes Team nicht schwächen will. Oder aber dass Mindestleistungen, die von der Lehrkraft erwartet werden, nicht erreicht werden, ein Sprung über den Kasten oder eine Minimalhöhe beim Hochsprung beispielsweise."

Wer bloßgestellt wird, kann lebenslang sportlich frustriert sein

Filip Mess, Professor an der TU München für Sport- und Gesundheitsdidaktik

Solche Momente können hängenbleiben. Und Lehrer*innen können hier viel falsch machen. Zum Beispiel, indem sie den Fail am Trampolin, das Scheitern am Tor nicht zusammen mit den Schüler*innen besprechen – mit dem Ziel: Daraus lernen wir etwas. Gerade Lehrer*innen der alten Schule seien oft zu stark leistungsfixiert. Wenn sich ein*e Schüler*in dann bloßgestellt fühle, sei es zu spät, sagt Filip Mess: "Diese Kinder sind nie wieder in der Lebensspanne für Sporttreiben zu motivieren, weil diese Traumata so tief sitzen, dass daraus eine lebenslange Frustration resultiert."

Auch wenn der Professor nicht so weit geht, von echten psychischen Schäden zu sprechen, er nimmt das Problem sehr ernst. Und sensibilisiert Sportlehrer dafür. Zum Beispiel macht er ihnen klar, dass nicht alle so leistungsfähig sind, wie sie als Sport-Cracks, die eine Sporteignungsprüfung bestanden haben. Und dass sie Noten nicht nur nach dem Höher-Schneller-Weiter-Prinzip vergeben müssen, sondern zum Beispiel auch den persönlichen Lernfortschritt, die Mannschaftsleistung oder die soziale Unterstützung anderer benoten können.

Sportnoten nicht nur nach Bestleistung

Also zum Beispiel eine besondere Anerkennung für alle, die am Barren zwar nicht so die Rakete sind, dafür aber Hilfestellung geben oder beim Fußball die Schiedsrichterin machen. Das Problem beim Sportunterricht ist oft, dass Sport zu einseitig inszeniert wird, sagt Sport-Prof Filip Mess, denn neben den Erfolgserlebnissen für eigene Bestleistungen ist zum Beispiel auch Teamgeist wichtig: "Dass die Klasse, dass die anderen, die mit mir Sport treiben, für mich persönlich wichtig sind, aber ich gleichzeitig auch weiß, dass ich persönlich für die Klasse wichtig bin. Und wenn der Sportunterricht sowas vermitteln kann, steigt auch die Motivation, sich zu bewegen."

Inzwischen gibt es immer mehr Lehrer, die das kapieren – und für alle, die nicht mehr in die Schule gehen: Mannschafts- und Fitnesstrainer, die oft genau wissen, wie sie uns dazu kriegen, Sport zu machen.

Sendung: PULS vom 12. Juli 2019 – ab 15 Uhr