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Ruhmeshalle Beck - Mellow Gold

Es gibt gute Platten. Und es gibt sehr gute Platten. Es gibt aber auch Platten, die dein Leben mit einem Schlag verändern. Becks "Mellow Gold" ist so eine. Sie wird dir immer wieder den Arsch retten.

Von: Florian Kreier

Stand: 17.07.2013 | Archiv

Der US-Musiker Beck zu Zeiten seines Hit-Albums "Mellow Gold" | Bild: Martyn Goodacre

Sommer 1994, Freitagabend, kurz nach 22:00 Uhr: Ich sitze in meinem Kinderzimmer mit beiden Händen am Kassettenrekorder. Im Radio läuft die Bayern3 Rocknacht und ich warte auf meine neue Lieblingsband: Nirvana. Aber es kommt kein Nirvana. Stattdessen scheppert eine seltsame Gitarre aus dem Radio, humpelnde Drums setzen ein und eine seltsame Stimme beginnt auf eine noch viel seltsamere Art zu singen. Als der Chorus kommt, tanze ich durchs Zimmer. Zum Glück habe ich davor die Record-Taste gedrückt.

Absage an jegliche Genre-Grenzen

Beck - Mellow Gold (Cover)

Fünf Jahre später: Kassettenrekorder hat kein Mensch mehr, die Nirvana-CDs wurden gegen Wu-Tang-Alben getauscht. Ich chille mit meiner HipHop-Crew auf der Couch. Mein DJ steht auf und meint: "Ich hab' gestern 'ne endgeile Platte gehört, also irgendwie auch total strange aber auch endgeil. Beck heißt der Typ... " und bei mir klingelt's: Der schon wieder? Ja genau, der schon wieder. In einer knappen Dreiviertelstunde lehrt Beck Hansen mich drei Lektionen. Erstens: Musik kennt keine Grenzen. Zweitens: Coolness ist eine Frage des Konzepts. Drittens: Nichts ist heilig, nicht einmal HipHop.

Mit "Mellow Gold" ist HipHop ist passé. Das neue Ding ist dieser verschrobene Typ, der weder rappen noch singen kann, weder Gitarre spielen noch Beats programmieren. Dessen Arrangements vorne und hinten auseinander fallen, der einfach irgendwelche Geräusche und Straßenaufnahmen in seine Musik einbaut. Der obendrein nur verballerten Mist reimt, absurde Geschichten und dadaistischen Wahnsinn.

Lebensgefühl auf den Punkt gebracht

Der wirkliche Verdienst von Beck, diesem herrlich-gestörten Visionär, ist aber folgender: Er hatte die Eier und den Pioniergeist, in der Hochzeit des Indie-Rock und den Geburtswehen des 90er-HipHop einfach beides in einen Topf zu pfeffern: Rock und HipHop, dazu Folk, Country, Funk und eine abgefahrene Mischung aus Samples und Zitaten. Plus: wunderschöne Kaputtness.

Trotz des wilden Genremixes und der sinnfreien Texte bringt die Platte ein Lebensgefühl auf den Punkt: Das "Alles scheiße, mir doch egal"-Lebensgefühl, das "Ich bin ein Loser, bring mich doch um"-Lebensgefühl. Sie ist ein psychologisches Allheilmittel gegen Pickel und schlechte Noten, gegen Liebeskummer, Abi-Stress und Zukunftsangst. Bestimmt hilft "Mellow Gold" auch gegen den "Scheiße, meine Kinder sind schlecht in der Schule"-Blues und die "Shit, ich bekomm' keine Rente, weil ich meine ganze Kohle für Platten ausgegeben habe"-Sorgen. Was ich eigentlich sagen will: Diese Platte wird dir immer wieder den Arsch retten.


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