Interview // Sookee "Mein Tipp gegen Lampenfieber? Masturbation!"

Girls, haltet eure Rollenbilder fest (oder besser nicht): Die Grande Dame des Zeckenraps Sookee ist mit neuem Album zurück. Wir haben mit ihr über Nazis, Masturbation und Verschwörungstheorien gesprochen.

Von: Malte Borgmann

Stand: 21.03.2017 | Archiv

Rapperin Sookee | Bild: Tainted Lenses

Für eine Rapperin mit Haltung bietet das Jahr 2017 so einige Baustellen und Fronten. Sexismus, Nationalismus und Homophobie sind dabei, wieder salonfähig zu werden, stehen in CAPITAL-LETTERS mit AUSRUFEZEICHEN!!1!! in Wahlprogrammen und machen weiße, reiche Männer zu Präsidenten. Viel zu tun für die linke Rapperin Sookee, die sich seit mehr als einem Jahrzehnt mit Punchlines für Minderheiten und gegen die Neoliberalisierung der Welt stark macht. Jetzt ist ihr neues Album erschienen.

PULS: Sookee, dein neues Album ist letzten Freitag rausgekommen. Es heißt "Mortem & Makeup". Darf ich bezüglich des Titels als alter Humanist erstmal klugscheißen?

Sookee: Und sagen, dass es der Akkusativ ist und nicht der Nominativ? Ha, ha! Ist es nicht sogar der Ablativ? Ich hatte zwar nie Latein, aber es müsste eigentlich "Mors" heißen, wenn es der Nominativ wäre. Es geht aber um DEN Tod, damit also doch Akkusativ - ha! Ich habe es mir gerade argumentiert. (lacht)

Abgesehen vom Klang, so ganz habe ich den Titel nicht verstanden. Es geht nicht direkt um Bestatter, die Tote schön schminken, oder?

Du hast es gegoogelt und dann erscheinen zwangsläufig diese Bilder! Ganz so morbide ist es aber doch nicht. Es geht vor allem um Gegensatz-Paare: Nämlich um politisch und apolitisch. Beides gilt nämlich für den Tod und eben auch für das Makeup. Der Tod ist ein Ding in der Welt, das keinerlei politische Färbung hat, weil die Menschen leben und dann sterben. Aber natürlich gibt es auch unterschiedliche Kontexte, in denen Menschen sterben und wie sie sterben. Es macht einen Unterschied, ob man im Mittelmeer ertrinkt oder in seinem Eigenheim sanft entschläft nach einem langen, gesunden und reichen Leben. Für das Makeup gilt genau dasselbe: Leute malen sich bunt an, aber was ändert das am Weltgeschehen? Das ist scheinbar trivial. Auf der anderen Seite gibt es darin aber auch eine politische Dimension: Es stellen sich hier Fragen von Body-Politics, Schönheitsnormen und Körperregimen. 

Du arbeitest sehr stark mit Subjektiven, mit den Ich-Perspektiven der anderen: Du versetzt dich in die Rolle eines Jungen, dessen Mutter Prostituierte ist oder in die Perspektive eines Kindes, dessen Eltern Nazis sind. Dazu kommen sehr persönliche Geschichten aus deiner Jugend - war das eine bewusste Entscheidung?

Ja, absolut. Ich denke, das kindliche oder jugendliche Perspektiven hochgradig unterrepräsentiert sind in dieser Gesellschaft. Es nervt mich, dass sich die Erwachsenenwelt immer so fürchterlich ernst nimmt - das hat etwas doppelzüngiges. Ein Beispiel: Ich war vor ein paar Jahren auf einem Kongress für "Psychosexuelle Entwicklung von Jugendlichen und Internetpornographie", ausgerichtet von einer Landesmedienanstalt. Da saßen diese ganzen schlauen Expertinnen und Experten in ihren Mitvierzigern und haben allen Ernstes darüber gesprochen, wie das mit den Jugendlichen und der Pornographie so ist. Dann hat man in vollem Ernst so eine Porno-Seite gemeinsam aufgerufen und erklärt, worauf man klicken muss und was man als URL eingeben sollte. Hallo? Als ob der ganze Raum nicht wusste, wie das geht? Als würden sämtliche Klicks und die Milliarden an Dollar und Euro, die mit Pornographie im Internet verdient werden, von 14-Jährigen generiert werden? Das ist unverschämt und so war es mir ein Anliegen wieder daran zu erinnern, dass Kinder und Jugendliche auch eine Wahrnehmung, Weltsicht und Gegenwart haben. Man muss nicht warten, bis sie in irgendeiner Marktlogik ankommen und dann geht mit 18 plötzlich das Leben los.

Fiel es dir leicht, dich in diese Perspektiven reinzuversetzen? Du bist nun auch keine 14 Jahre alt mehr...

Nicht ganz, nein. (lacht) Aber ich erinnere mich noch ziemlich gut daran, wie das war. Ich erinnere nicht mehr an alles im Detail, weil ich gut konsumiert habe. Aber ich erinnere mich an das Gefühl überhört zu werden und sich unverstanden zu fühlen. Ich habe versucht gut zu recherchieren, mir einiges anzulesen und habe mit vielen jungen Menschen Gespräche geführt. Vor allem soll es ja keine "junge Sprache" adaptieren, das ginge nicht und wäre lächerlich - aber klar, als Rapperin bin ich auch Berufsjugendliche. Mir war es ein Anliegen, das literarisch neu anzugehen und bisher ist das Feedback gut. 

Deine Songs arbeiten oft sehr stringent ein bestimmtes Thema ab - das ist nur selten ein Stream Of Concioussness. Steht für dich ein Thema, ein Bild, eine Zeile am Anfang eines Songs?

Es ist ein thematisches Feld. Es gibt so ein Initial und von da aus lasse ich die Geschichten laufen und schaue, wo sie hingehen. Aber ich will mich selbst darin auch nicht verlieren und wenn ich merke, dass ich mich entferne von der Idee, die ich darin einmal sah - gehe ich auch wieder fünf Schritte zurück und streiche zwölf Zeilen durch. 

Wie war das bei "Hüpfburg", dem Song über ein Kind, dessen Eltern Nazis sind? 

Ich hatte da dieses Bild von den NPD-Festen, wo diese Hüpfburg als Faktum anzutreffen ist. Es gibt dort Rechtsrock-Konzerte und Infostände und den Versuch, den Stiefel-Nazi der 90er-Jahre wegzuimaginieren, indem man auf Familie und Mitte der Gesellschaft macht. Das Bild dieser Hüpfburg oder von Fackelmärschen und Demonstrationen, wo genug Leute auch Kinderwägen schieben und Eltern ihren Kindern Schilder mit Aufschriften wie "Danke Mama, dass ich leben darf!" geben, waren da Vorstellungen, mit denen ich diesen Song begonnen habe. Es ist wirklich krass, wie Eltern ihre Kinder für ihre persönlichen ideologischen Schieflagen instrumentalisieren. Ich könnte natürlich auch nicht behaupten, dass ich mein Kind nicht ebenfalls mit einer gewissen Weltsicht erziehe - aber diese Sekten und Vereine sind ja absolut menschenfeindlich. Ich frage mich da eben: "Wie lebt ein Kind in so einem Kontext, wie wird es erwachsen?" Man kennt die Geschichten von Jugendlichen, die sich in so eine Szene als pubertäre Rebellion reinbegeben, aber was ist mit denen, die nichts anderes kennen als das? Die da reingeboren sind? Es ist schlicht eine Form der Misshandlung, Menschen mit und zum Hass zu erziehen. 

Im Song "Die Freundin von" berichtest du dann sehr offen über deine eigene Pubertät, über Peer-Pressure, Unsicherheit, Kiffen, Scheiße-Bauen. War das der Ansatz, nach den Biographien der anderen Figuren, sich auch selbst ein bisschen nackig zu machen?

Na, selbstverständlich. Da habe ich auch gar kein Problem damit. Ich kann zu allem stehen, was ich getan habe - auch wenn es schmerzhaft ist. Es sollte mich echt sehr wundern, wenn jemand eine Geschichte ausgraben könnte, von der ich nicht wollen würde, dass sie jemand hört. Ohne mich großartig exibitionieren zu wollen, finde ich es dennoch wichtig, zu den eigenen Verkackungen, der eigenen Geschichte zu stehen. Zu sagen: "Ja, da war ich ein Idiot, da habe ich mich beeindrucken und von Leuten mitreißen lassen!" Ich finde, das ist auch so ein Erwachsenenphänomen, einer nachfolgenden Generation zu sagen, wie schlimm und brutal alles geworden ist, aber die eigene Geschichte total zu vergessen. 

Jetzt zu den Verschwörungstheorien: Dein Song "Bilderbücher Konferenz" ist eine wahnwitzige Sammlung aller Verschwörungstheorien der Welt. Warum glaubst du, sind solche Theorien gerade im HipHop so verbreitet?

Es gibt im Rap in den letzten Jahren eine klare Politisierungswelle und da verwechseln viele Leute eben Verschwörungs-Knowledge mit tatsächlichen politischen Statements. Das sieht immer aus, als wäre es Politik, aber am Ende heißt es dann doch immer nur "die da oben". Dann werden die entsprechenden Bilder aufgerufen und das plötzliche Interesse an politischer Popmusik und politischer Rapmusik führt dazu, dass Leute etwas Politisches machen wollen und dann kommt viel Murks bei rum. Am Ende geht's immer um die gleichen Feindbilder und Ressentiments. 

Letzte Frage: Auf dem finalen Song deines Album geht's nach einem wilden Ritt durch Themen und Diskurse nur noch um das Bedürfnis nach Ruhe. Hättest du einen Entspannungstipp?

Bauchatmung! Ganz wichtig! Nicht Kampf- und Wegrenn-Geatme in der oberen Körperhälfte, sondern wirklich versuchen, tief in den Bauch zu atmen. Das ist das Gegenteil von Hyperventilieren und kann erstaunlich beruhigen. Das funktioniert toll, um langfristig zu entspannen. Ansonsten, heißer Tipp von mir gegen Lampenfieber: Masturbation.