Kultur - Literatur


2

Uwe Timm Currywurst und heiße Sommer

Geboren ist er in Hamburg, seit den 60ern Wahlmünchner mit einem Bein in Berlin. Alle drei Städte - und noch drei Kontinente dazu - hat er in seinen Romanen verewigt, in denen Zeitgeschichte, Biografisches und Fabuliertes eine lustvolle Menage à trois eingehen.

Von: Michael Kubitza

Stand: 01.04.2019 | Archiv

Uwe Timm und ein Zitat aus seinen Werken | Bild: BR, picture-alliance/dpa, Montage: BR / Christian Sonnberger

Die Menschen, sagt Uwe Timm, hören besonders gerne dann Geschichten, wenn die Wirklichkeit zur Katastrophe wird. Uwe Timm kommt 1940 zur Welt, seine frühesten Erinnerungen fallen in die letzten Kriegsjahre. Hamburg ist ein Trümmerfeld, der kleine Uwe kommt zu seinem Großonkel nach Coburg - Tierpräparator, Fahrradpionier, Überlebenskünstler und Held von Timms Roman "Der Mann auf dem Hochrad". Eine dunkle Zeit für Deutschland, doch "nach dem Krieg war das Erzählen für uns geradezu sinnstiftend", sagt er.

Vom Zuhörer zum Erzähler

Timm ist zwölf, als er seinen ersten, schon 74 Seiten langen Roman schreibt - was auch mit Katastrophen, nämlich persönlichen, zusammenhängt: massive Probleme in der Schule und mit dem autoritären Vater, einem Pelzhändler. Vor allem aber mit Spaß am genauen Hinschauen, Zuhören, Weiterdichten. Schon als Kind ist Timm zum passionierten Zuhörer geworden - sein Großvater ist Kapitän und versorgt ihn mit Fantastischem aus aller Welt. Er selbst lebt später so, dass er was zu Erzählen hat. Timm macht seine Lehre da, wo es stinkt und blutet - in einer Kürschnerei -, um später dort zu studieren, wo "es" in diesen Jahren passiert - in Paris und München.

Die Widersprüche der 68er

Revolution liegt in der Luft - selbst am Braunschweig-Kolleg, wo Timm zusammen mit Benno Ohnesorg auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur nachholt; auch an der Isar, wohin Timm 1966 übersiedelt. Alle debattieren, er dichtet. 1971 etabliert er sich mit dem Gedichtband "Widersprüche" als freier Schriftsteller.

Der erschossene Benno Ohnesorg 1967. Timm erinnert an ihn in "Der Fremde und der Freund".

Drei Jahre später legt er mit seinem Roman "Heißer Sommer" nach - das erste Buch, das von den Anfängen der 68er-Bewegung erzählt. Diese Zeit lässt Timm nicht los: weit mehr als bloße Kulisse, prägt sie auch den 1980 erschienenen Roman "Kerbels Flucht", "Rot" (2001) und "Der Freund und der Fremde" (2005).

Erleben, recherchieren, schreiben

Timms Werk ist politisch, dabei immer skeptisch - vielleicht wirkt seine Promotion über "Das Problem der Absurdität bei Camus" noch nach. Die sozialen Zusammenhänge hinter den Formen und Farben interessieren ihn auch, wenn er wie sein Großvater auf große Fahrt geht.

Verfilmte Bücher

1985 Morenga
1994 Rennschwein Rudi Rüssel
2003 Der Herr der Wüste
(Episode aus "Johannisnacht")
2007 Die Entdeckung der Currywurst

Für "Morenga" (1978), seinen historischen Roman über den deutschen Kolonialkrieg in Südwestafrika, reist der Autor nach Namibia, für "Kopfjäger" (1991) besucht er die Osterinseln und für "Johannisnacht" (1996) Peru. Seine Eindrücke sind so plastisch, dass sie auch verfilmt Eindruck machen; Timm ergänzt sie durch akribische Recherchen in Bibliotheken. Oft braucht er ebenso lange, um sich in ein Thema einzuarbeiten, wie zum Schreiben selbst.

Ein Wahlmünchner zwischen Hamburg und Berlin

Wenn er nicht gerade als Gastdozent in Frankfurt und Lüneburg liest, lebt der gebürtige Hamburger bis heute in München und baut sein vielfältiges Werk beharrlich aus: Neben seinen Romanen und Lyrikbänden veröffentlicht er Erzählungen, Essays sowie Kinder- und Jugendbücher. Vier seiner Bücher sind inzwischen verfilmt. Dass seine Wahlheimat heute weniger am Puls der Zeit ist als Hamburg und Berlin, kommt dem jungen 70-Jährigen dabei eher entgegen: Es ist die Stadt, die ihn "in Ruhe lässt".

Werke in Auswahl

1974

Heißer Sommer

Ullrich ist einer der Studenten, die nicht so recht vorankommen. Im heißen Sommer 1968 sitzt er im trägen München, und sogar hier bekommt er mit, dass in Deutschland die Stimmung kippt. Er geht nach Hamburg, wo ihm allmählich klar wird, was eigentlich gerade passiert. Uwe Timms Debütroman ist das literarische Zeugnis von einem, der dabei war, als wütende junge Menschen 1968 das gesellschaftliche Bewusstsein revolutionierten.

1984

Der Mann auf dem Hochrad

Schauplatz dieser fantasievollen Familienlegende ist Coburg. Als der Tierpräparator Franz Schröder eines Tages Ende des 19. Jahrhunderts mit einem Hochrad durch die Straßen fährt, gerät die kleine Stadt in Bewegung. Bald stehen sich Freunde und Gegner des Hochrads in erbittertem Streit gegenüber. Uwe Timm setzt in diesem Roman seinem Großonkel Franz Schröder ein Denkmal. Als kleiner junge kam Timm vorübergehend bei ihm in Coburg unter, nachdem die Familie in Hamburg ausgebombt war

1989

Rennschwein Rudi Rüssel

Als Zuppi bei einer Tombola ein Ferkel gewinnt, ändert sich alles schlagartig. Der Hausbesitzer ist von dem Neuzuwachs gar nicht angetan - die Familie muss ausziehen, findet aber ein Haus am Rand eines Fußballfelds. Zuppis Vater wird Platzwart und Rudi Rüssel entdeckt ein ungeahntes sportliches Talent. Uwe Timms Kinderbuch war ein Bestseller. Als die Verfilmung 1995 ins Kino kam, stiegen die Verkaufszahlen noch einmal enorm.

1993

Die Entdeckung der Currywurst

Auf den Spuren seiner Kindheit in Hamburg begegnet der Erzähler der ehemaligen Besitzerin einer Imbissbude. Lena Brückner, die inzwischen in einem Altersheim lebt, erzählt ihm von den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Lena hatte einen deutschen Soldaten in ihrem Haus versteckt. Für Lena Brückner hatte Uwe Timm ein reales Vorbild. In der Küche seiner Tante in Hamburg lernte er eines Tages eine Frau kennen, die während des Krieges einen Soldaten bei sich vesteckt hielt.

2001

Rot

Thomas Linde ist Jazzkritiker und Beerdigungsredner. Eigentlich müsste man sagen "war", denn Lindes Geschichte beginnt mit seinem Tod. Mit einem Sprengsatz in der Tasche überquert er bei Rot die Straße und wird überfahren. Uwe Timm lässt in diesem Roman ein ganzes ereignisreiches Leben Revue passieren, mit allem, was dazugehört. Eine leidenschaftliche Romanze, die 68er-Bewegung und viele Wegbegleiter. Einige Literaturkritiker halten "Rot" für Timms besten Roman.

2008

Halbschatten

Auf dem Invalidenfriedhof in Berlin steht der Erzähler und wartet auf den Stadtführer. Von hier aus geht er der Geschichte der Pilotin Marga von Etzdorf nach, die sich 1933 mit 25 Jahren nach einer Bruchlandung das Leben nahm. Uwe Timm nimmt in seinem jüngsten Roman das ganze 20. Jahrhundert ins Visier.

Geburtstag

*30. März 1940 in Hamburg
  lebt in München


2