Kultur - Kunst und Design


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Francis Bacon Auf der Suche nach dem perfekten Schrei

Bacon hält den Schrei der Mutter in Poussins "Tötung der Neugeborenen" für den besten Schrei, der je gemalt wurde. Totzdem arbeitet er an einer noch perfekteren Version. Im Schrei will Bacon den essentiellen Moment der Wahrheit zeigen.

Stand: 23.02.2012 | Archiv

xxx | Bild: picture-alliance/dpa

Das Triptychon, das Bacon als "erstes" Werk verstanden haben will, ist seine "Studie zu drei Figuren am Fuße einer Kreuzigung", die er 1944 malt. Jedes Bild stellt eine der drei Rachegöttinnen dar. Im aufgerissenen Maul der rechten Figur kündigt sich ein Motiv an, das den Maler etliche Jahre lang nicht loslässt.

Der Schrei, der das Gesicht zerreißt

Mundfixiert: Bacons "erstes" Bild

Bacon kauft medizinische Bücher über Krankheiten des Mund- und Rachenraums. Er studiert die Abbildungen von eitrigem Zahnfleisch, Zungenbläschen und Gaumengeschwulsten. Bacons fleischliches Interesse geht allerdings noch weiter. Bei Harrod's schaut er sich Rinderhälften an, er sammelt Röntgenbilder und lässt die neugewonnenen Erkenntnisse in seine Kreuzigungsfragmente, Aktstudien und Figuren einfließen. In seinen Arbeiten ergründet er, was ein zum Schrei geöffneter Mund aus dem Gesicht macht - er zerreißt es. Bacon verfeinert dabei seine Methode, die Zähne so detailgenau wie möglich darzustellen.

1944 bis 1962

Bacons Casino, Teil 1

Bacon liebt das Glücksspiel. In seinem großen Wohnatelier am Cromwell Place in London lädt er regelmäßig zu illegalen Roulette-Abenden ein. Mit zwei großen Kronleuchtern, gutem Essen und viel Alkohol schafft er eine extravagante Atmosphäre für seine Gäste, die in Limousinen vorfahren. Auf der Straße postiert Bacon vier Wachen, die sich mit Eimern und Leitern als Anstreicher tarnen. So wird niemand verhaftet und Bacon kann in Ruhe sein finanziell durchaus erfolgreiches Casino führen.

Bacons Casino, Teil 2

Auch Bacons alte Nanny Jessie Lightfoot amüsiert sich während dieser Veranstaltungen. Sie liebt es, die Gäste zu schockieren, indem sie lauthals die Todesstrafe fordert. Und sie weiß, wie sie von den Glückspielabenden profitieren kann: Sie nimmt die Mäntel der Gäste entgegen und kassiert dafür Trinkgeld. Außerdem schließt sie die Toilette ab und rückt den Schlüssel nur gegen Geld heraus.

Die erste große Liebe

Als Bacon Peter Lacy begegnet und sich zum ersten Mal verliebt fühlt, ist er schon über 40. Lacy hasst Bacons Malerei, lädt ihn aber ein, mit ihm auf dem Land zu leben und sagt: "Du könntest eine Ecke in meinem Cottage haben. Dort könntest du auf Stroh schlafen und scheißen." Bacon sagt später, Lacy sei in jeder Hinsicht abartig gewesen, habe ihn an die Wand ketten wollen und es genossen, wenn Leute ihnen beim Sex zusahen. "Und es gefiel ihm, wenn jemand mich fickte und er mich gleich danach ficken konnte." (Michael Peppiatt: Francis Bacon. Anatomie eines Rätsels)

Schlaflos in London

Bacon kommt mit erstaunlich wenig Schlaf aus. Er verbringt den Abend oft essend und trinkend mit Freunden. Doch wenn die nach Hause gehen, ist der Tag für Bacon noch nicht zu Ende. Er zieht alleine weiter durch die Clubs, trinkt, spielt und kehrt oft erst im Morgengrauen in sein Atelier zurück, um sich dort nach drei oder vier Stunden Schlaf wieder an die Arbeit zu machen. Nicht, dass er den Schlaf nicht braucht. Er will nicht schlafen, er will leben.

Solche Freunde und solche Freunde

Bacon gehen seine Freundschaften über alles. Neue Menschen kennenzulernen, ist einer der Gründe, weshalb Bacon wie ein Fischer mit riesigem Netz durch die Bars und Clubs zieht. Je größer die Entourage, desto wohler fühlt er sich. Dabei unterscheidet Bacon schon zwischen zwei Gruppen von Freunden: Da gibt es einerseits die, mit denen er trinken und lachen kann, andererseits die, mit denen er ernsthafte Gespräche über Kunst und Literatur führt. Wenige von Bacons Freunden gehören beiden Kategorien an.

Er ist regelrecht besessen von den Farben des Mundinnenraums, dem Glitzern der Zähne. Vom übrigen Gesicht bleibt oft nicht viel zu sehen, aber gerade noch genug, dass der Betrachter über den Grund des Schreis rätseln muss. In die, vom offenen Mund abgesehen, unbewegte Mimik lassen sich sowohl Wut und Angst als auch Schmerz und Lust hineinlesen. Tatsächlich geht es Bacon nicht darum, das Entsetzen zu malen, sondern den bloßen Schrei.

Bacon und das Papst-Problem

1948 beginnt Bacon, an einer Serie zu arbeiten, mit der er sich Bild für Bild an den Papst herantastet. Sein "Kopf VI" von 1949 lässt schließlich keinen Zweifel mehr darüber bestehen, wen Bacon hier porträtiert. Auch wenn die obere Hälfte des Kopfes nicht zu sehen ist - die violette Mozetta, die die Schultern der Figur umhüllt und die im Hintergrund angedeutete Ornamentik des päpstlichen Thrones reichen aus, um das Bild richtig zu verstehen. Bacon zitiert in dieser Variation zum ersten Mal Diego Velázquez' Porträt von Papst Innozenz X. Im Bildtitel verrät er das noch nicht. Erst 1953 bezieht er sich offen auf die Vorlage. Bacon reizen die subtilen Farbtöne im Werk des Spaniers. 

Papst II, 1951

Er will diese Subtilität mit der grobkörnigen Unmittelbarkeit eines Zeitungsfotos verbinden und malt etliche Variationen: eingesperrte Päpste, schreiende Päpste, die Fausthebende Päpste und Päpste, die sich an ihren Thron klammern. Über 15 Jahre lang beschäftigt Bacon dieses Thema. Im Alter bedauert der Künstler, diese Variationen gemalt zu haben. Das Original sei so perfekt, sagt er.

Francis Bacon Superstar

Bacons Mundfixierung lässt Mitte der 50er-Jahre nach. Neben schreienden Päpsten malt er auch etliche schreiende Geschäftsmänner in Anzügen. Und immer wieder verstümmelte Menschen, die wie Klumpen rohen Fleisches in seinen Bildern kauern, hängen, liegen. Diese Arbeiten verstören die Ausstellungsbesucher mindestens genauso wie die "pietätlosen" Papstbilder. Bacon wird immer bekannter, zeigt seine Bilder in Gruppen- und Einzelausstellungen und die Presse berichtet immer wohlwollender. 1962 widmet ihm die Tate Gallery in London eine große Retrospektive mit 92 Werken. Jetzt hat er es geschafft: Bacon ist 52 Jahre alt - und ein Star.


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