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Herzinfarkt bei jüngeren Frauen Wenn das Herz nicht mithält

Ein Herzinfarkt ist immer auch eine psychische Belastung. Gerade, wenn es junge Menschen trifft. Auch Reha-Kliniken sehen immer wieder solche Fälle. Reporter Fero Andersen begegnet zwei Frauen, die mit den Folgen eines Infarkts klarkommen müssen.

Von: Susanne Wimmer

Stand: 24.07.2023

Ende Juni ist der Herzinfarkt von Stefanie Wernitz gerade mal zweieinhalb Wochen her. Auf ihrer Terrasse wollte sie gerade mit einer Freundin und ihrem Sohn brunchen.  

"Auf einen Schlag hat es sich so angefühlt, als würden meine Lungen zugehen. Daraufhin hat meine Freundin gesagt, nimm mal mein Asthmaspray, dann gehen die Lungen wieder auf. Das habe ich gemacht mit zwei Hüben. Es wurde aber natürlich nicht besser und dann hat sich das so angefühlt, als würde der Brustkorb einfach in einer Schraubzwinge drinhängen. Das wurde immer enger und hat immer mehr zugemacht. Ich habe angefangen zu schwitzen, Kaltschweiß. Es hat in den Rücken reingezogen und in den Arm. Und dann habe ich zu meiner Freundin gesagt, ruf bitte den Notarzt, da stimmt etwas nicht."

Stefanie Wernitz

Diagnose: Koronar-Dissektion

Die ganze Zeit über ist auch ihr 12-jähriger Sohn Jeremy mit dabei. Er sieht, wie die Mutter zusammensackt, nach Luft ringt – und wie die Freundin sie auf ihren Schoß legt und ihr gut zuredet. 

"Es war schrecklich. Sie lag am Boden in den Armen ihrer Freundin. Sie hatte Krämpfe und wir hatten natürlich Angst."

Jeremy 

Jeremy alarmiert den Notarzt. Die Notärztin lässt ein EKG schreiben und veranlasst, dass Stefanie Wernitz ins Herzzentrum nach München gebracht wird. Dort wird eine Koronar-Dissektion diagnostiziert. Dabei reißt die Arterienwand eines Herzkranzgefäßes ein. So etwas geschieht nur sehr selten.   

Pumpleistung des Herzens

Im Herzzentrum kontrolliert Dr. Teresa Trenkwalder per Ultraschall, ob sich die Pumpleistung des Herzens seit dem Infarkt verbessert hat. Normal ist eine Pumpleistung zwischen 55 und 60 Prozent. Stefanie Wernitz Herz schafft derzeit etwa 40 Prozent.

"In der Regel verbessert sich vor allem das umliegende Gewebe noch. So dass eine Verbesserung durchaus möglich ist. Eine komplette Normalisierung ist eher unwahrscheinlich."

 PD Dr. med. Teresa Trenkwalder, Kardiologin, Deutsches Herzzentrum München

Koronare Herzerkrankungen entwickeln sich normalerweise langsam

Aber wie konnte es überhaupt zu diesem Infarkt kommen? Prof. Heribert Schunkert zeigt Stefanie Wernitz die Bilder der Herzkatheter-Untersuchung, die gleich nach ihrer Einlieferung gemacht wurden. Vom Handgelenk aus wurde ein kleiner Kunststoffschlauch über eine Ader zum Herzen geschoben. Stefanie Wernitz war die ganze Zeit bei vollem Bewusstsein. Auf den Aufnahmen der linken Kranzarterie erkennt man eine Ader, die aussieht wie ein Korkenzieher.

"Da hat sich offensichtlich die Innenhaut der Arterie abgelöst und stülpt sich in das Innere der Ader rein. Das blockiert die Durchblutung."

Prof. Dr. med. Heribert Schunkert, Kardiologe, Deutsches Herzzentrum München

Und was ist der Unterschied zu einem gewöhnlichen Herzinfarkt?

"In ihrem Fall waren diese Adern völlig gesund. Wenn wir die gleiche Untersuchung einen Tag vorher gemacht hätten, dann hätten die Untersucher gesagt, so schöne Herzkranzarterien sehen wir hier selten. Wohingegen die normale koronare Herzerkrankung sich über Jahre und Jahrzehnte langsam entwickelt. Dann bilden sich Ablagerungen in der Gefäßwand."

Prof. Dr. med. Heribert Schunkert, Kardiologe, Deutsches Herzzentrum München

Um eine seltene genetische Ursache auszuschließen, nimmt Dr. Teresa Trenkwalder Stefanie Wernitz Blut ab und lässt auch weitere Gefäße untersuchen, so zum Beispiel die Halsschlagader. Zum Glück ist alles unauffällig. Jetzt geht es für sie darum, wieder fit zu werden und das Erlebte zu verarbeiten.

Herzinfarkt mit 50 Jahren

Sigrid Hoffmann ist noch mitten drin in diesem Prozess. Vor drei Jahren hatte sie einen Herzinfarkt – mit gerade einmal 50 Jahren. Ihre Freundin wurde an diesem Tag beerdigt. Die Beisetzung fand in einem Wald statt und Sigrid Hoffmann dachte zuerst, dass etwas mit ihren Heuschnupfen-Medikamenten nicht stimmte.

"Ich bin heimgefahren und zu Hause ging das dann Schlag auf Schlag: die Enge in der Brust. Und du kämpfst. Du kämpfst richtig um dein Leben. Du weißt eigentlich nicht, was los ist. Du kriegst keine Luft mehr, du atmest und atmest und du durchlebst da eine Phase - das kann man nicht richtig real wiedergeben."

Sigrid Hoffmann

Panikattacken und Ängste

Zweimal muss Sigrid Hoffmann wiederbelebt werden. Als sie zu sich kommt, liegt sie mit vier Stents auf der Intensivstation. Bis heute begleiten sie Ängste und Panikattacken.

Die Dinge, die sie belasten, in den Griff zu kriegen - das versucht sie seit zweieinhalb Wochen in der Rehaklinik Höhenried am Starnberger See. Sie merkt, dass es zumindest konditionell aufwärts geht. Beim Kraft-Ausdauer-Training soll jeder nach seinen Möglichkeiten gefordert oder auch gebremst werden. Sigrid Hoffmann trainiert dreimal die Woche je 20 Minuten. Drei Jahre nach dem Infarkt fühlt sie sich körperlich wieder recht fit. Doch auch die Seele braucht Stabilität.

"Die ganze Stress-Situation schlägt auf die Psyche. Das hat sich immer weiter aufgebaut. Bis mein Hausarzt gesagt hat: So geht es nicht mehr, Sie brauchen wirklich professionelle Hilfe."

Sigrid Hoffmann

Stress spielt oft eine Rolle

In der Tat können psychische und soziale Faktoren zu Herzerkrankungen führen und umgekehrt. In der Psychokardiologie in Höhenried werden Betroffene daher von einem interdisziplinären Team betreut. In der Therapie bei Psychologin Dr. Frauke Gerlach geht es bei Sigrid Hoffmann um das Thema Stress.

"Der Faktor Stress spielt bei ganz vielen Patienten eine Rolle. Die Sorge, dass wieder etwas passieren könnte, dass ein erneuter Herzinfarkt kommt oder andere Herzprobleme. Die Patienten haben ja meist zum ersten Mal erfahren: Ich bin nicht unverletzbar."

Dr. rer. biol. hum. Frauke Gerlach, Psychologische Psychotherapeutin, Klinik Höhenried

Langzeit-EKG misst Herztätigkeit

Auch Herzinfarkt-Patientin Stefanie Wernitz geht zur Reha in die Klinik Höhenried - für insgesamt drei Wochen. In der ersten Woche macht sie viel Sport, Bewegungstherapie und Ergometer-Training. Dazu bekommt sie ein Langzeit-EKG: Die Elektroden messen die Herztätigkeit für 24 Stunden. Ein kleines Kästchen zeichnet alles auf.   

"In der Klinik ist Frau Wernitz vornehmlich im Bett gelegen und war nicht besonders mobil. Hier macht sie Sport, geht wieder zurück in ihr tägliches Leben. Wir wollen sehen, ob unter diesen ganz normalen Belastungen Herzrhythmusstörungen auftreten, die bei manchen Menschen durch einen Herzinfarkt verursacht sein können."

 Dr. med. Christa M. Bongarth, Kardiologin, Klinik Höhenried

Psychokardiologische Therapie

Während bei Stefanie Wernitz das Reha-Programm weitergeht, hat Reporter Fero Andersen Fragen an Dr. Christa Bongarth: Wie erklärt sie sich, dass ausgerechnet zwei jüngere Frauen einen Herzinfarkt bekommen?

"Man kann dafür keine pauschalen Erklärungen abgeben. Man muss sich bei den Patienten die klassischen Risiko-Faktoren anschauen: genetisch bedingte Fettstoffwechselstörungen, rauchen, hoher Blutdruck. Und je nachdem, wie ausgeprägt diese sind, können auch jüngere Frauen einen Herzinfarkt haben."

Dr. med. Christa M. Bongarth, Kardiologin, Klinik Höhenried

Sie erklärt, was das Besondere am psychokardiologischen Therapieansatz in der Reha-Klinik ist:

"Diese Therapie kommt für Patientinnen und Patienten infrage, die sowohl eine Herzerkrankung haben, als auch eine psychische Nebendiagnose. Die sich danach nicht mehr trauen, in ihren Beruf zurückzukehren oder die mit Schlafstörungen zu kämpfen haben. Die Angst haben, dass solch ein Infarkt immer wieder auftreten kann."

Dr. med. Christa M. Bongarth, Kardiologin, Klinik Höhenried

Eigenes Therapiekonzept für Frauen

In der Kardiologie in Höhenried liegt der Altersschnitt derzeit bei 58 Jahren. Mit 77 Prozent ist der Anteil der Männer noch deutlich höher als der der Frauen. Weil koronare Herzerkrankungen bei Frauen häufig anders verlaufen als bei Männern, bekommen die Frauen ein speziell auf sie abgestimmtes Therapieprogramm.

Wie geht es Stefanie Wernitz nach ihrer Reha?

"Alle sind froh, dass ich wieder zuhause bin. Doch leider hat sich meine Pumpleistung nur um ein Prozent verbessert. Das heißt für mich, ich brauche jetzt einfach noch ein bisschen mehr Geduld."

Stefanie Wernitz


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