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Ruhmeshalle Pearl Jam - Ten

Sie sind die Großen der Grungebewegung: Pearl Jam und Nirvana. Ebenso wie "Nevermind" gehört "Ten" zu den epochalen Rockalben der 90er. Das war es dann aber mit den Berührungspunkten - zumindest, wenn es nach Kurt Cobain geht.

Von: Bettina Dunkel

Stand: 30.09.2011 | Archiv

Pressebilder von Pearl Jam 1992 | Bild: Sony Music

Anfang der Neunziger, ich hänge bei einer Freundin rum. Wir hocken auf der Wohnzimmercouch, reden über Schulkram, im Hintergrund läuft MTV. Alles wie immer also. Aber plötzlich bin ich wie weggetreten. Denn ich höre zum ersten Mal das Erweckungsgeheul von Eddie Vedder.

Pearl Jam stellen meine Welt auf den Kopf. Zuvor hielt ich die Bands meiner Brüder für cool: New Model Army und The Cure, The Police und natürlich Bob Marley - man fährt schließlich VW Bus. Aber Pearl Jam sind weder Folk noch Wave, sind weder Pop noch Reggae. Sie sind rohe Gewalt, lang unterdrückter Zorn und pure Emotion. Und von einer Sekunde auf die nächste bin ich Teil eines Erdrutsches, der Grunge genannt wird.

Die Mischung macht's

Pearl Jam - Ten (Cover)

Während die einen von Nirvanas "Nevermind" wachgerüttelt werden, fahren mir Pearl Jam und ihr Debütalbum "Ten" durch Mark und Bein. Da sind die fiesen Gitarrenriffs, die an Klassikrock-Legenden aus dem Küchenradio der Eltern erinnern. Melodien, die so catchy sind, dass man sofort in Wippbewegungen verfällt. Kehliger Gesang, der die Kinnlade runterklappen lässt. Refrains, die so eingängig sind, dass man lauthals mitsingen will. Und darüber hinaus Texte, die mehr sind als eine exhibitionistische Egoshow.

"Jeremy" zum Beispiel thematisiert die wahre Geschichte des 15-jährigen Jeremy Delle, der sich Mitte der 70er vor den Augen seiner Schulklasse erschossen hat. "Even Flow" handelt von Obdachlosigkeit. In "Why Go" wird ein Mädchen von ihren Eltern in ein Heim gesteckt. "Alive" ist die halbbiografische Geschichte eines Jungen, der erst im Teenageralter erfährt, dass sein Vater sein Stiefvater ist. Und "Once" ist die Fortsetzung von "Alive", in der der Junge durchdreht und wahllos Menschen ermordet.

Sozialkritik zwischen Wut und Hymne

Die Message von Eddie Vedder ist dabei immer die gleiche: Macht die Augen auf – das ist die Welt in der ihr lebt. Kümmert euch. Die in epische Wut-Hymnen gepackte Sozialkritik trifft den Nerv von Abermillionen Hörern. Anderen, wie Kurt Cobain, geht es tierisch auf die Nerven. Er hasst Pearl Jam und wirft ihnen den Ausverkauf der Grungebewegung vor. Am Erfolg von "Ten" ändert das nichts. Ganz im Gegenteil: Das Album überflügelt sogar noch die Verkaufszahlen von "Nevermind".

Anders als Nirvana zerbrechen Pearl Jam nicht an dem Druck, der auf ihnen lastet. Auch sonst hat keine der großen Grungebands bis heute Bestand - außer Pearl Jam. Rückblickend möchte man dem Cover von "Ten" fast prophetischen Charakter attestieren: Eddie Vedder und seine Mannen strecken ihre Arme in die Höhe und umgreifen einander. Eine Pose des Zusammenhalts. Die auch 20 Jahre später nichts an Symbolkraft verloren hat.


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