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Vorgestellt // Jessie J Offenheit als Konzept

Jessie J ist auf dem Weg nach oben: Zum vierten Mal in Folge küren die Briten eine Frau mit dem "Critics Choice Brit Award". Aber auf den ersten Blick fragt man sich, was die Briten an dieser Dame so großartig finden.

Von: Amy Zayed

Stand: 09.11.2012 | Archiv

Jessie J | Bild: Universal

Sie ist eine unter vielen, eine Popgöre, die ihren straffen Körper gekonnt in die Kamera hält, naiv von der großen Karriere träumt, mit ihrer computergeschönten Stimme die Massen betört und so ihre Single "Do It Like A Dude" in die Charts gemogelt hat. Das ist der erste Eindruck. Doch auf den zweiten Blick erkennt man, dass Jessie J mit ihren 22 Jahren mehr zu bieten hat.

Ein Anfänger ist sie nicht: Mit 15 hat sie ihre ersten Songs geschrieben. Sie war an einer Privatschule für Künstler und hatte mit 17 schon ihren ersten Plattenvertrag – noch nicht als Solokünstlerin, sondern als Songwriterin. In ihrer Vita kann sie Songs präsentieren, die sie für Christina Aguilera und Miley Cyrus geschrieben hat. 2011 präsentiert sie jetzt ihr Debüt "Who Are You". Obendrauf packt Jessie J noch ein erfrischendes Konzept, dass ihr alle Tore und Märkte öffnet.

Volumen

Mal vorneweg: Jessies Stimme ist einzigartig, sodass man meinen könnte, sie hätte Unterricht bei Ella Fitzgerald genommen. Mal schmettert sie ihren Stolz in die Welt, in "Mama Knows Best" bekommen die Eltern ihr Fett weg. In "Casualty Of Love" säuselt sie Liebesbekundungen so intim ins Mikro, dass sie Beyoncé und Mariah Carey gewaltig Konkurrenz macht. Selbst das anfangs belächelte "Do It Like A Dude" hat es in sich. Es ist ein simpler Popsong, bei dem Jessies Stimme elektronisch verzerrt wird. Doch der Text hat im Gegensatz zu so vielen anderen Popsongs nichts mit dem gängigen "Girl loves Boy"-Klischee zu tun. Hier geht es um wahre Frauenpower: "Ich kann genauso cool und machomäßig drauf sein wie ihr", singt sie.

Im Interview erzählt Jessie J, dass sie bei diesem Song zeigen wollte, dass "ein Mädchen auch Eier haben kann". Auf der Bühne hat Jessie J keine Angst davor, alles zu geben und im schlimmsten Fall ausgebuht zu werden. Sie bleibt souverän, auch wenn ihr Becher an den Kopf fliegen. "Ich habe immer das Gefühl, einer Frau traut man in diesem Business nichts zu. Selbstsichere junge Frauen, die polarisieren, werden gerne als Schlampen oder als Lesben abgetan." Auch in punkto Erfolg sieht Jessie noch große Unterschiede zwischen Männern und Frauen.

"Jungs greifen sich einfach an die Eier, klimpern mit ihren Goldkettchen und stellen sich ein paar halbnackte Mädels als Videostatisten hin. Sie singen irgendwas von Geld und vom Vögeln, und landen damit direkt auf Platz eins der Charts. Bei Mädchen ist das ganz anders."

Jessie J

Feministische Thesen, klare Ansagen und ein lautes Dagegen - schick verpackt. Genau das macht Jessie zu etwas Neuem in der Musikszene. Bei den Spice Girls war es Masche, Sugababes und All Saints haben sich hinter Popsongs versteckt, andere britische Popdamen wie La Roux wollen gar keine Vorbildfunktion für junge Mädchen übernehmen – selten ist jemand mit Girlpower so offen umgegangen wie Jessie J, und schon gar nicht in der Glamourwelt des Pop.

Kontra

Jessie J polarisiert auf ganzer Linie. Sie ist weiß und singt "schwarzen" R'n'B. Als Britin dringt sie in eine Sparte ein, die normalerweise US-amerikanischen Künstlerinnen wie Beyoncé und Rihanna vorbehalten ist. Und anstatt über Liebe, Lust und Leidenschaft zu singen, geht es bei ihr primär um Homophobie, Rassenhass und Gleichberechtigung. Sie spielt mit den Themen, reizt sie aus, und geht auch mit ihrer eigenen Sexualität sehr offen um.

"Ich hatte Beziehungen mit Jungs und Mädels. Ich will ein Vorbild für Leute sein, die auch nicht klar wissen, wie es um ihre sexuelle Orientierung steht. Mich nerven Klischees allgemein. Mich nervt, dass man bei Shows wie 'American Idol' immer verlangt, dass die Leute sich entscheiden müssen, was für eine Musik sie machen wollen. Man muss sich entscheiden, ob man Jungs oder Mädchen liebt, man muss sich entscheiden, ob man weiblich oder männlich rüberkommen will. Warum eigentlich?"

Jessie J

Das Konzept

Offenheit wird hier zum Konzept erklärt, und dieses Konzept geht weltweit auf: Jessie J hat in ihrer Heimat Großbritannien Platinstatus erreicht, sie ist mit ihrem Album in den USA in den Top 20 gelandet, auf Platz eins der BBC-Liste "Sounds of 2011" und Platz eins der deutschen Airplaycharts.

Nun hat Jessie J bereits mit ihrem ersten Album so viel ausgereizt. Es ist fast kein Song wie der andere. Die Texte polarisieren ungemein. Welche Tabus kann sie in ihrem nächsten Album, an dem sie bereits arbeiten, noch liefern? Darüber schweigt die 22-Jährige. Zwischen all der Offenheit ist wohl das Geheimnis trotzdem noch eine berechenbare Waffe.


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