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Interview // Snowboarderin Silvia Mittermüller "Früher war nicht alles besser, da war ein Rennradprofi unser Trainer"

Silvia Mittermüller hat zweimal Snowboard Geschichte geschrieben: vor elf Jahren die erste X Games Medaille für Deutschland im Slopestyle, jetzt der erste Weltcup Sieg in derselben Disziplin.

Von: Katharina Kestler

Stand: 23.03.2016 | Archiv

Silvia Mittermüller | Bild: BR / Silvia Mittermüller

Silvia Mittermüller schreibt gern Geschichte. Schon mit ihrem ersten großen, internationalen Erfolg vor elf Jahren bei den X Games: Als erste Deutsche hat sie eine Slopestyle Silbermedaille heimgebracht. Jetzt ist sie auch noch die erste deutsche Snowboarderin, die jemals einen Slopestyle Weltcup gewonnen hat - den Saisonabschluss in Tschechien. Außerdem kann sie sich über den dritten Platz im Gesamtweltcup freuen. Das nächste große Ziel: die Olympischen Spiele 2018 in Südkorea.

Starallüren hat sich Silvia im Laufe ihrer Karriere trotzdem nicht angeschafft: Sie kommt gut gelaunt zum Interview, findet zufällig einen Gymnastikball in der Redaktion und gibt erstmal Tipps gegen Rückenschmerzen.

Silvia turnt in der PULS Redaktion.

Silvia Mittermüller: Das ist eine meiner Lieblingsübungen. Ich nenne das immer "Fliegen". Erst nur die Füße hochheben und die Hände bleiben unten, dann versuchen die Hände hochzuheben und die Füße bleiben unten. Wenn beides geht, linke Hand und rechter Fuß gegenseitig hochheben. Das Endziel ist das Fliegen: beide Beine und Hände sind oben, man balanciert nur mit dem Bauch auf dem Ball. Das ist die beste Rückenübung überhaupt, weil man alles ausbalancieren und anspannen muss. Wenn man das perfekt beherrscht und im Fitnesscenter ganz arg angeben will, kann man auch noch mit der Hand auf die Schuhsohlen klopfen.

PULS Playground: Danke, das werden wir üben. Deinen Sieg beim Weltcup in Tschechien hast du auf Facebook mit deiner X Games Silbermedaille verglichen. Wie ging es dir damals und wie geht es dir heute?

Ja, die erste deutsche X Games Silbermedaille… Das war damals für mich eine große Angelegenheit. Ich war das erste Mal in den USA und dann gleich sowas. Damals konnte ich das gar nicht richtig begreifen, so überwältigt war ich. Jetzt elf Jahre später dann der Weltcupsieg als mittlerweile 32-Jährige in einem echt starken Feld – das ist schon ein großer Erfolg. Aber ich habe gemerkt, dass ich jetzt mit einem ganz anderen Gefühl rangehe. Ich habe Snowboarden auf einer viel tieferen Ebene verstanden und weiß es ganz anders zu schätzen. Heute freue ich mich über jeden Tag, an dem ich gesund bleibe, Spaß habe und gut fahre. Mit der Einstellung bin ich auch in diesen Weltcup reingegangen. Nach meinem Run, der sich dann als der Gewinner-Run herausgestellt hat, habe ich nicht mal meine Punkte gesehen. Bis mitten im Finale hatte ich keine Ahnung, dass es tatsächlich so gut war. Der Sieg war nur das Sahnehäubchen oben drauf. Es ist cool zu sehen, dass ich in meinem Sport gewachsen bin, weil ich das ganz anders verdaue als vor elf Jahren.

Ist deine Saison jetzt vorbei?

Silvia beim Nine Queens.

Meine Saison fängt nie richtig an und hört nie richtig auf. Ich bin das ganze Jahr so viel wie möglich auf Schnee. Ich habe aber auch gelernt, dass es besser ist mal eine Pause einzulegen, bevor mein Körper mich dazu zwingt. Letztes Jahr habe ich sieben Wochen in Indonesien verbracht und mich dann prompt den Winter danach auch nicht verletzt – also werde ich auch dieses Jahr wieder ein kleines Sonnenloch einlegen, in München am Eisbach oder in Indonesien auf dem Weg nach Australien. Aber bis Ende April, Anfang Mai werde ich mindestens noch Snowboard fahren und ab Juli wieder in der südlichen Hemisphere – zum Beispiel den Weltcup im August in Neuseeland. Dann geht da schon wieder der nächste Winter los.

Im Winter lebst du in Breckenridge. Warum?

Ich bin aus vielen Gründen semi-offiziell nach Breckenridge ausgewandert. Der Hauptgrund ist, dass die Bedingungen da die allerbesten sind, die ich in meiner gesamten Karriere international gefunden hab. Die Parks sind so gut wie nirgendwo sonst.

Du hast mal gesagt, du bist "professionell obdachlos" – wo ist deine Heimat?

Heimat ist ziemlich nah an Daheim und Daheim ist in Waldtrudering in München. Das wird auch immer so bleiben! Aber Breckenridge ist meine snowboarderische Heimat. Trotzdem: professionell obdachlos stimmt. Ich bin das ganze Jahr unterwegs und habe nirgendwo einen dauerhaften Mietvertrag. Meine Mama nennt mich moderne Nomadin.

Was sagen deine Eltern denn grundsätzlich zu deinem Leben?

Da kommt schon oft: Mei, wenn ich du gewesen wäre, hätte ich nach dem ersten Kreuzband schon aufgehört. Und wenn du an der Uni wärst, wäre das auch nicht passiert. Deswegen bin ich lieber weit von Deutschland weg, wenn ich mich verletzte - wie bei meinem Achillessehnenriss im Dezember 2013. Den habe ich komplett in den USA auskuriert und bin erst wieder heim, als es mir wieder gut ging. Weil ich dieser gut gemeinten Klugscheißerei von meinen Eltern aus dem Weg gehen will. Am besten verletze ich mich nicht mehr, dann brauche ich mir das auch nicht anhören.

Du hattest schon viele Verletzungen – wird man dadurch furchtloser?

Das kommt auf die Persönlichkeit an. Das sieht man an anderen, sehr guten Snowboardern - entweder sie hören auf, gehen wieder zur Schule oder fangen ein anderes Leben an, weil sie nicht wollen, dass sowas nochmal passiert. Oder man versteht, warum man sich verletzt hat, traut sich zu daraus zu lernen und es so weit wie möglich zu vermeiden – so wie ich. Und wenn es tatsächlich nochmal passiert, dann denke ich mir: Da sind 999 gute Tage und ein Scheißtag, wegen dem ich ein halbes Jahr ausfalle – ich glaube das ist es mir wert. Wenn man es schafft diesen zweiten Weg einzuschlagen, dann kann man daraus mentale Stärke ziehen, die im Snowboarden wichtig ist. Zum Beispiel gerade erst im Finale in Tschechien: Da war es am Ende dann doch zwei, drei, vier Uhr am Nachmittag, ein bisschen windig, kein guter Schnee … Dann muss man sich sagen: Es ist nicht perfekt, aber ich bin schon so oft bei solchen Bedingungen Snowboard gefahren, ich weiß wie ich das anstellen muss und ich kann das.

Was machst du, wenn du ein blödes Gefühl hast, aber trotzdem in einem wichtigen Moment deine beste Leistung abrufen willst?

Da gibt es einen Trick. Der funktioniert nicht nur beim Snowboardfahren, sondern gilt fürs ganze Leben – also keine Sportlerweisheit, sondern eine Lebensweisheit. Man braucht die Fähigkeit, in sich selbst zu gehen und so präsent wie möglich zu sein. Man muss Vergangenheit, Zukunft und alle blöden Gedanken ausschalten. Man muss realisieren, dass in diesem kleinen Moment, in dieser viertel Sekunde doch alles ganz in Ordnung ist: Ich atme, ich bin hier, mir geht es gut. Aus diesem Sekundenbruchteil heraus muss man das Gefühl – den Frieden, den man gefunden hat – ausweiten auf die ganze Situation und das Beste daraus machen.

Mit 32 nicht mehr 25 – wie bereitest du dich auf Contests vor?

Ich mache sehr viel Krafttraining. Bei höhergewichtigem Krafttraining ist es wie beim Snowboardfahren: Es zwingt dich in den Moment hinein, dein Gehirn schaltet sich aus, du bist einfach komplett präsent und denkst nichts, denn wenn dein Körper und Geist nicht gemeinsame Sache machen, dann geht es nicht. Es macht mir Spaß und bereitet mich darauf vor, dass es mich öfter mal hinhaut. In manchen Momenten bringt das beste Training nichts, dann ist es aber auch egal, ob ich 19 oder 32 bin. Aus sechs Metern Höhe auf dem Kopf landen, ist einfach schlecht.

Wie bist du zum Snowboarding gekommen?

Mit 13 Jahren habe ich mich aus einer äußerst mädchenhaften Kinderzeit mit Ballett, Pferden und Klavier gelöst, indem ich mir ein Skateboard gekauft habe. Das hat sich wahnsinnig verboten angefühlt. Ich war relativ untalentiert, weil ich vorher nie einen Sport gemacht hatte, bei dem man hinfällt und schnell reagieren muss. Im nächsten Winter wollten meine Eltern Snowboardfahren lernen. Ich habe mitgemacht und war genauso untalentiert wie beim Skateboardfahren. Aber gerade wenn etwas richtig schwierig ist, feuert mich das doppelt an und wenn es dann irgendwann wirklich funktioniert, dann bin ich richtig glücklich. Gerade weil es so schwierig für mich war, bedeutet es mir immer noch so viel. Ich habe es so weit geschafft, obwohl es mir nicht in den Genen liegt.

Warum ist Slopestyle deine Lieblingsdisziplin?

Weil es vielfältiger ist als alles andere. Dinge auf Zeit zu machen, war nie mein Ding. Ich genieße es etwas schön zu machen. Slopestyle gibt einem viel Raum für Kreativität. Ich hoffe, dass die Regeln da nicht immer strikter werden bis hin zum Kunstturnen. Gerade ist Freestyle Snowboarden zum Glück immer noch Freestyle. Man kommt an einen Wettbewerbsort und sieht einen Kurs, den man so noch nie gesehen hat. Innerhalb von ein paar Tagen muss man versuchen, den bestmöglichsten Lauf auf diesem Kurs für sich zusammenzustellen und umzusetzen. Diese Herausforderung, nie zu wissen, was einem am nächsten Wettbewerbsort erwartet, das genieße ich.  

Du hast dir deine Karriere so gut wie selbst organisiert…

Ja, so ziemlich alles - natürlich mit Hilfe von Sponsoren. Das ist mitunter auch ein Grund, warum ich in der letzten Saison so viele Weltcups gefahren bin und jetzt auch wieder gemeinsame Sache mit dem Snowboardverband mache. Das war nicht immer einfach, weil es keine Slopestyle-Strukturen gegeben hat. Das ist einfach wahnsinnig schade, weil Freestyle die Zukunft des Contest-Snowboardens ist und wir in Deutschland ja definitiv einen Nachwuchs haben. Deswegen habe ich mir das Ziel gesetzt, bei angesehenen Events wie den Weltcups zu starten und hoffentlich gut zu fahren, damit es mehr Fördergelder fürs Freestyle Snowboarden gibt. Damit die, die nach mir kommen nicht komplett auf sich selbst gestellt sind. Bei mir hat es damals funktioniert, weil die Industrie noch stärker war und ich zeitweise gute Sponsorenverträge hatte, mit denen ich mich gut über Wasser halten konnte. Mittlerweile ist es schwer von Sponsorengeldern zu leben. Deswegen ist es wichtig, dass wir was in Deutschland auf die Beine stellen und es tut sich auch einiges. Ich hoffe, dass durch meinen dritten Platz im Gesamtweltcup noch ein bisschen mehr geht.

Glaubst du, dass es früher leichter war?

Als ich angefangen habe, war ich eine der wenigen Europäerinnen in einem amerikanisch dominierten Sport. Ich bin ins Blaue nach Amerika geflogen, als ich eine Wildcard fürs Vans Triple Crown bekommen habe. Damals habe ich mir im Slopestyle mit drei Stürzen in einem Run die Hand gebrochen und mich aber dann in der Halfpipe mit Gips für die X Games qualifiziert. In Eigenregie und mit Sponsorenhilfe war ich dann bei den X Games. Das hat definitiv viel Mut gekostet und ist mir nicht geschenkt worden. Aber der Sponsorensupport damals war gut und ich hatte auch Glück. Heutzutage ist es vielleicht leichter, weil der Sport mittlerweile olympisch ist und es Contest-Serien gibt, die nationalen Wert haben. Es wird einem zwar nirgendwo Geld nach geworfen, aber zumindest gibt es einen klaren Plan, wo man hin muss, um die Nationalteam-Schiene zu fahren. Man weiß, was zu tun ist, wenn man als Snowboarder ins Nationalteam will.

Bist du uneingeschränkter Fan von Snowboarding bei Olympia? 

Da muss ich diplomatisch überlegen, um nichts Falsches zu sagen. Es gibt Gutes und Schlechtes. Klar hat das den Sport verändert. Aber es hat ihm auch sehr viel Aufmerksamkeit beschert und ihn in eine neue Richtung bewegt. Veränderung bedeutet am Leben zu sein. Und wenn der Sport sich verändert, sei es gut oder schlecht, heißt das doch, dass Snowboarden nach wie vor lebt. Und das ist doch eine gute Sache.

Du hast gesagt: Die Industrie ist nicht mehr so stark, machst du dir manchmal Sorgen um deinen Sport?

Ja, manchmal schon. Aber ich habe ja auch romantische Erinnerungen daran, wo es hergekommen ist und wie es mal war. Es ist immer etwas beängstigend, wenn man in eine ungewisse Zukunft schaut. Nicht nur die schwache Industrie oder Olympia, auch dass zum Teil Kinder gedrillt werden und mit einem komischen Verständnis von Snowboarding aufwachsen, da sind schon viele Punkte, über die man sich Sorgen machen könnte. Aber es ist leicht sich zu sorgen und eine positive Einstellung ist da vielleicht ganz gut.

Also früher war nicht alles besser?

Nein. Früher gab es noch Boxen aus Holz. Da ist man mit der Kante hängengeblieben und auf's Gesicht gefallen. Mittlerweile ist das sehr viel besser gebaut. Auch die Sprünge haben jetzt längere Landungen und sind viel sicherer gebaut.  Auch wenn ich mir die Nationaltrainer anschaue: Früher war das ein Rennrad-Profi, der uns zum Radl-Lehrgang am Chiemsee verdonnert hat und selber kaum Snowboardfahren konnte. Jetzt sind echte Snowboarder dabei, die was davon verstehen. 

Hast du einen Tipp für Leute, die sagen, so wie die Silvia will ich das auch machen?

Dann sag ich: Wir machen am 26. März die Girls Shred Session in Mayrhofen im Vans Penken Park. Da ist jedes Mädel, jede Frau, jede Oma, die Spaß am Snowboarden hat eingeladen. Komm‘ vorbei, fahr‘ mal mit mir Lift und dann überlegen wir uns einen Schlachtplan!


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